Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Deutsche Theologie

Theologie an diesem Buche zu prüfen, und dann zu sagen, ob er wirklich den
Vorwurf verdiene, ein Neuerer zu sein. Man werde finden, daß das, was er
sage, schon in jenem Buche enthalten sei, und das sei ja nicht neu. "Sagt
man uns aber, wie einst auch, wir seien deutsche Theologen, so nehmen wir
das gern an. Ich wenigstens danke Gott, daß ich in deutscher Sprache meinen
Gott also höre und finde, wie ich -- und sie auch -- ihn bisher nicht gefunden
haben, und zwar weder in lateinischer, noch in griechischer oder hebräischer Sprache.
Gott gebe, daß dieser Büchlein mehr an den Tag kommen, so werden wir finden,
daß die deutschen Theologen ohne Zweifel die besten Theologen sind."

Und hiermit hat nun freilich Luther gerade das ausgesprochen, worauf es
ankommt, und was ihn zu der Benennung des Buches als einer "Deutschen"
Theologie veranlaßt hat. Allerdings scheint dieser Name auf den ersten Blick
wenig glücklich; denn wir Heutigen wenigstens verstehen unter "Theologie" eine
Wissenschaft, nicht aber ein Gebot, wie man leben und handeln solle. Die
deutsche Theologie war Luther aber nicht sowohl eine deutsche Wissenschaft, als
vielmehr ein Hinweis darauf, wie der Deutsche Christus nachfolgen und in die
Gemeinschaft mit Gott eingehen solle. Eine solche besondere Lehre war aber
gegenstandslos, sobald man die Meinung verließ, daß Gottes Wort dem Ver¬
ständnis eines jeden einzelnen Volkes besonders angepaßt werden müsse. Duldete
das Evangelium nur eine einzige mögliche Auslegungsform, so konnte es keinen
Unterschied mehr machen, ob man es Juden, Griechen. Römern oder Deutschen
verkündete -- ebenso wie auch die Wahrheiten der Mathematik oder der Chemie
für den Hottentotten wie für den Chinesen stets ein und dieselben sein müssen.
So ist denn "eine deutsche Theologie" in jenem Sinne des Wortes die Form,
in der Gott sich den Deutschen zu erkennen gibt, die Sprache, in der er zu
einem jeden unter uns redet, und es war nur natürlich, daß diese Sprache in
dem Augenblicke nicht mehr verstanden wurde, in dem an die Stelle des ersten
lebendigen Glaubens mehr und mehr ein Wühlen in Bekenntnisformeln aller
Art trat, und als man nach dem Vorbilde der eben jetzt überall auftauchenden
römischen Juristen die Bibel nicht mehr anders handhabte, als diese ihr
Lorpu8 ^uris, zu dem Zweck, Beweis und Gegenbeweis für jede beliebige
Behauptung daraus zu ziehen.

Die "Deutsche Theologie" fiel denn auch bei den zünftigen Theologen recht
bald in Ungnade. Diese haben sie nur insoweit beachtet, als sie im Gegensatz
zu der herrschenden Lehre von der Anwendungsmöglichkeit logischer Verfahren
auf das Verhältnis zwischen Gott und Welt, dem Gefühl den ihm gebührenden
Rang einräumten. So waren denn Johann Arndt (1555--1621), der Ver¬
fasser des "Wahren Christentums", und Philipp Jakob Spener (1635--1705).
der Vater des Pietismus -- man hatte ihm vom Standpunkt toter Recht¬
gläubigkeit nicht weniger als zweihundertvierundsechzig Ketzereien vorgeworfen --
die einzigen, weiteren Kreisen bekannten Theologen, die die "Deutsche Theologie"
warm empfohlen haben. Allerdings, gewirkt hat sie dennoch auf so manchen Geist,


Die Deutsche Theologie

Theologie an diesem Buche zu prüfen, und dann zu sagen, ob er wirklich den
Vorwurf verdiene, ein Neuerer zu sein. Man werde finden, daß das, was er
sage, schon in jenem Buche enthalten sei, und das sei ja nicht neu. „Sagt
man uns aber, wie einst auch, wir seien deutsche Theologen, so nehmen wir
das gern an. Ich wenigstens danke Gott, daß ich in deutscher Sprache meinen
Gott also höre und finde, wie ich — und sie auch — ihn bisher nicht gefunden
haben, und zwar weder in lateinischer, noch in griechischer oder hebräischer Sprache.
Gott gebe, daß dieser Büchlein mehr an den Tag kommen, so werden wir finden,
daß die deutschen Theologen ohne Zweifel die besten Theologen sind."

Und hiermit hat nun freilich Luther gerade das ausgesprochen, worauf es
ankommt, und was ihn zu der Benennung des Buches als einer „Deutschen"
Theologie veranlaßt hat. Allerdings scheint dieser Name auf den ersten Blick
wenig glücklich; denn wir Heutigen wenigstens verstehen unter „Theologie" eine
Wissenschaft, nicht aber ein Gebot, wie man leben und handeln solle. Die
deutsche Theologie war Luther aber nicht sowohl eine deutsche Wissenschaft, als
vielmehr ein Hinweis darauf, wie der Deutsche Christus nachfolgen und in die
Gemeinschaft mit Gott eingehen solle. Eine solche besondere Lehre war aber
gegenstandslos, sobald man die Meinung verließ, daß Gottes Wort dem Ver¬
ständnis eines jeden einzelnen Volkes besonders angepaßt werden müsse. Duldete
das Evangelium nur eine einzige mögliche Auslegungsform, so konnte es keinen
Unterschied mehr machen, ob man es Juden, Griechen. Römern oder Deutschen
verkündete — ebenso wie auch die Wahrheiten der Mathematik oder der Chemie
für den Hottentotten wie für den Chinesen stets ein und dieselben sein müssen.
So ist denn „eine deutsche Theologie" in jenem Sinne des Wortes die Form,
in der Gott sich den Deutschen zu erkennen gibt, die Sprache, in der er zu
einem jeden unter uns redet, und es war nur natürlich, daß diese Sprache in
dem Augenblicke nicht mehr verstanden wurde, in dem an die Stelle des ersten
lebendigen Glaubens mehr und mehr ein Wühlen in Bekenntnisformeln aller
Art trat, und als man nach dem Vorbilde der eben jetzt überall auftauchenden
römischen Juristen die Bibel nicht mehr anders handhabte, als diese ihr
Lorpu8 ^uris, zu dem Zweck, Beweis und Gegenbeweis für jede beliebige
Behauptung daraus zu ziehen.

Die „Deutsche Theologie" fiel denn auch bei den zünftigen Theologen recht
bald in Ungnade. Diese haben sie nur insoweit beachtet, als sie im Gegensatz
zu der herrschenden Lehre von der Anwendungsmöglichkeit logischer Verfahren
auf das Verhältnis zwischen Gott und Welt, dem Gefühl den ihm gebührenden
Rang einräumten. So waren denn Johann Arndt (1555—1621), der Ver¬
fasser des „Wahren Christentums", und Philipp Jakob Spener (1635—1705).
der Vater des Pietismus — man hatte ihm vom Standpunkt toter Recht¬
gläubigkeit nicht weniger als zweihundertvierundsechzig Ketzereien vorgeworfen —
die einzigen, weiteren Kreisen bekannten Theologen, die die „Deutsche Theologie"
warm empfohlen haben. Allerdings, gewirkt hat sie dennoch auf so manchen Geist,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331510"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Deutsche Theologie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_291" prev="#ID_290"> Theologie an diesem Buche zu prüfen, und dann zu sagen, ob er wirklich den<lb/>
Vorwurf verdiene, ein Neuerer zu sein. Man werde finden, daß das, was er<lb/>
sage, schon in jenem Buche enthalten sei, und das sei ja nicht neu. &#x201E;Sagt<lb/>
man uns aber, wie einst auch, wir seien deutsche Theologen, so nehmen wir<lb/>
das gern an. Ich wenigstens danke Gott, daß ich in deutscher Sprache meinen<lb/>
Gott also höre und finde, wie ich &#x2014; und sie auch &#x2014; ihn bisher nicht gefunden<lb/>
haben, und zwar weder in lateinischer, noch in griechischer oder hebräischer Sprache.<lb/>
Gott gebe, daß dieser Büchlein mehr an den Tag kommen, so werden wir finden,<lb/>
daß die deutschen Theologen ohne Zweifel die besten Theologen sind."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_292"> Und hiermit hat nun freilich Luther gerade das ausgesprochen, worauf es<lb/>
ankommt, und was ihn zu der Benennung des Buches als einer &#x201E;Deutschen"<lb/>
Theologie veranlaßt hat. Allerdings scheint dieser Name auf den ersten Blick<lb/>
wenig glücklich; denn wir Heutigen wenigstens verstehen unter &#x201E;Theologie" eine<lb/>
Wissenschaft, nicht aber ein Gebot, wie man leben und handeln solle. Die<lb/>
deutsche Theologie war Luther aber nicht sowohl eine deutsche Wissenschaft, als<lb/>
vielmehr ein Hinweis darauf, wie der Deutsche Christus nachfolgen und in die<lb/>
Gemeinschaft mit Gott eingehen solle. Eine solche besondere Lehre war aber<lb/>
gegenstandslos, sobald man die Meinung verließ, daß Gottes Wort dem Ver¬<lb/>
ständnis eines jeden einzelnen Volkes besonders angepaßt werden müsse. Duldete<lb/>
das Evangelium nur eine einzige mögliche Auslegungsform, so konnte es keinen<lb/>
Unterschied mehr machen, ob man es Juden, Griechen. Römern oder Deutschen<lb/>
verkündete &#x2014; ebenso wie auch die Wahrheiten der Mathematik oder der Chemie<lb/>
für den Hottentotten wie für den Chinesen stets ein und dieselben sein müssen.<lb/>
So ist denn &#x201E;eine deutsche Theologie" in jenem Sinne des Wortes die Form,<lb/>
in der Gott sich den Deutschen zu erkennen gibt, die Sprache, in der er zu<lb/>
einem jeden unter uns redet, und es war nur natürlich, daß diese Sprache in<lb/>
dem Augenblicke nicht mehr verstanden wurde, in dem an die Stelle des ersten<lb/>
lebendigen Glaubens mehr und mehr ein Wühlen in Bekenntnisformeln aller<lb/>
Art trat, und als man nach dem Vorbilde der eben jetzt überall auftauchenden<lb/>
römischen Juristen die Bibel nicht mehr anders handhabte, als diese ihr<lb/>
Lorpu8 ^uris, zu dem Zweck, Beweis und Gegenbeweis für jede beliebige<lb/>
Behauptung daraus zu ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_293" next="#ID_294"> Die &#x201E;Deutsche Theologie" fiel denn auch bei den zünftigen Theologen recht<lb/>
bald in Ungnade. Diese haben sie nur insoweit beachtet, als sie im Gegensatz<lb/>
zu der herrschenden Lehre von der Anwendungsmöglichkeit logischer Verfahren<lb/>
auf das Verhältnis zwischen Gott und Welt, dem Gefühl den ihm gebührenden<lb/>
Rang einräumten. So waren denn Johann Arndt (1555&#x2014;1621), der Ver¬<lb/>
fasser des &#x201E;Wahren Christentums", und Philipp Jakob Spener (1635&#x2014;1705).<lb/>
der Vater des Pietismus &#x2014; man hatte ihm vom Standpunkt toter Recht¬<lb/>
gläubigkeit nicht weniger als zweihundertvierundsechzig Ketzereien vorgeworfen &#x2014;<lb/>
die einzigen, weiteren Kreisen bekannten Theologen, die die &#x201E;Deutsche Theologie"<lb/>
warm empfohlen haben. Allerdings, gewirkt hat sie dennoch auf so manchen Geist,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] Die Deutsche Theologie Theologie an diesem Buche zu prüfen, und dann zu sagen, ob er wirklich den Vorwurf verdiene, ein Neuerer zu sein. Man werde finden, daß das, was er sage, schon in jenem Buche enthalten sei, und das sei ja nicht neu. „Sagt man uns aber, wie einst auch, wir seien deutsche Theologen, so nehmen wir das gern an. Ich wenigstens danke Gott, daß ich in deutscher Sprache meinen Gott also höre und finde, wie ich — und sie auch — ihn bisher nicht gefunden haben, und zwar weder in lateinischer, noch in griechischer oder hebräischer Sprache. Gott gebe, daß dieser Büchlein mehr an den Tag kommen, so werden wir finden, daß die deutschen Theologen ohne Zweifel die besten Theologen sind." Und hiermit hat nun freilich Luther gerade das ausgesprochen, worauf es ankommt, und was ihn zu der Benennung des Buches als einer „Deutschen" Theologie veranlaßt hat. Allerdings scheint dieser Name auf den ersten Blick wenig glücklich; denn wir Heutigen wenigstens verstehen unter „Theologie" eine Wissenschaft, nicht aber ein Gebot, wie man leben und handeln solle. Die deutsche Theologie war Luther aber nicht sowohl eine deutsche Wissenschaft, als vielmehr ein Hinweis darauf, wie der Deutsche Christus nachfolgen und in die Gemeinschaft mit Gott eingehen solle. Eine solche besondere Lehre war aber gegenstandslos, sobald man die Meinung verließ, daß Gottes Wort dem Ver¬ ständnis eines jeden einzelnen Volkes besonders angepaßt werden müsse. Duldete das Evangelium nur eine einzige mögliche Auslegungsform, so konnte es keinen Unterschied mehr machen, ob man es Juden, Griechen. Römern oder Deutschen verkündete — ebenso wie auch die Wahrheiten der Mathematik oder der Chemie für den Hottentotten wie für den Chinesen stets ein und dieselben sein müssen. So ist denn „eine deutsche Theologie" in jenem Sinne des Wortes die Form, in der Gott sich den Deutschen zu erkennen gibt, die Sprache, in der er zu einem jeden unter uns redet, und es war nur natürlich, daß diese Sprache in dem Augenblicke nicht mehr verstanden wurde, in dem an die Stelle des ersten lebendigen Glaubens mehr und mehr ein Wühlen in Bekenntnisformeln aller Art trat, und als man nach dem Vorbilde der eben jetzt überall auftauchenden römischen Juristen die Bibel nicht mehr anders handhabte, als diese ihr Lorpu8 ^uris, zu dem Zweck, Beweis und Gegenbeweis für jede beliebige Behauptung daraus zu ziehen. Die „Deutsche Theologie" fiel denn auch bei den zünftigen Theologen recht bald in Ungnade. Diese haben sie nur insoweit beachtet, als sie im Gegensatz zu der herrschenden Lehre von der Anwendungsmöglichkeit logischer Verfahren auf das Verhältnis zwischen Gott und Welt, dem Gefühl den ihm gebührenden Rang einräumten. So waren denn Johann Arndt (1555—1621), der Ver¬ fasser des „Wahren Christentums", und Philipp Jakob Spener (1635—1705). der Vater des Pietismus — man hatte ihm vom Standpunkt toter Recht¬ gläubigkeit nicht weniger als zweihundertvierundsechzig Ketzereien vorgeworfen — die einzigen, weiteren Kreisen bekannten Theologen, die die „Deutsche Theologie" warm empfohlen haben. Allerdings, gewirkt hat sie dennoch auf so manchen Geist,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/100>, abgerufen am 25.08.2024.