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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

wenig förderlich gewirkt. Nun da Englands Wetthandelsstellung gefährlich
bedroht ist -- nicht nur durch die Kriegsereignisse mit der Schaffung der Straße
durch den Balkan und der ständigen Gefahr für den Suezkanal, sondern auch
durch die Änderungen im Tarifwesen infolge der Verbilligung der Landtrans¬
portmittel und des schnellen Emporkommens der deutschen Schiffahrt -- ist England
in die Zwangslage geraten, genau wie es von der Bekämpfung des Militaris¬
mus selber zum Militarismus übergegangen ist, auch seine wirtschaftlichen
Grundsätze zu verleugnen: seinen freihändlerischen Standpunkt umzudenken in
einen schutzzöllnerischen. Es sind also durchaus Ideen einer merkantilistischen
Handelspolitik, die von den Pariser Beschlüssen zum Programm erhoben worden
sind, ja, der Krieg hat uns, wie es der schwedische Nationalökonom Gustav
Cassel ausgedrückt hat, sogar plötzlich in eine "Hochrenaissance dieses Merkan¬
tilismus versetzt, die den alten Ideen niegeahnte Lebenskraft verliehen hat und
dieselben Methoden wieder hat aufleben lassen." Im Mittelpunkt der Bestre¬
bungen dieses Geistes steht der Wille, die Zentralmächte von einer Meistbe¬
günstigung in den Gebieten der Alliierten auszuschließen. Nach Asquith "haben
sich die Verbündeten untereinander verpflichtet, den feindlichen Mächten für
eine Anzahl Jahre die Behandlung auf der Basis der Meistbegünstigung zu
verweigern und in dieser Zeit der Erholung vom Kriege ihre Hilfsmittel unter
Bedingungen so auszutauschen, daß die Maßregeln Deutschlands, sich Vorräte und
Material aus den neutralen Ländern zu sichern, durchkreuzt würden." Eine kurze
Überlegung läßt schon erkennen, daß hier der wunde Punkt des Pariser Programms
liegt. Abgesehen davon, daß die Interessen der einzelnen Ententegenossen viel zu
sehr auseinanderstreben und viel zu wenig Gemeinsames haben, ist der Gedanke
der Schaffung einer solchen abgeschlossenen Einheit absurd zu nennen, da sich
die Gesetze von Produktion und Umsatz nicht von heute auf morgen ändern
lassen. Weiter ist das Aufeinanderangewiesensein bei der heutigen innigen
Weltverflechtung aller am Weltmarkt teilnehmenden Nationen so stark aus¬
gebildet, daß anzunehmen ist, bald nach Friedensschluß werde das oberste
ökonomische Prinzip des wohlverstandenen Eigennutzes politische Rücksichten
leicht in den Hintergrund drängen. Das Rad der Weltgeschichte läßt sich nicht
zurückdrehen. Die Zeit der Nationalökonomie ist längst ersetzt durch die einer
Weltökonomie. Ist das eine naturgegebene Gegenwirkung gegen die englischen
Pläne, so stellen sich außerdem noch eine Unmenge von Hemmungen ein, die
die Probleme erschweren und ihre Lösung fast utopisch erscheinen lassen. Be¬
trachten wir diese näher, so stehen technische Schwierigkeiten obenan; denn die
Versagung der Meistbegünstigung an Deutschland heißt unbedingt für England
die Einführung des Schutzzolles. Das bedeutet weiter die Notwendigkeit der
Schaffung von Freibeznken in sämtlichen Welthäfen der Entente und unendliche
Beschwerlichkeiten in der Zollbehandlung der Güter nach ihrem Ursprungslande.
Ausgleichsmärkte anzulegen, dieser Gedanke entspricht ganz und gar den kleinen
Geistern, die heute die englische Politik machen. Immer wird ein Kunde dort


Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

wenig förderlich gewirkt. Nun da Englands Wetthandelsstellung gefährlich
bedroht ist — nicht nur durch die Kriegsereignisse mit der Schaffung der Straße
durch den Balkan und der ständigen Gefahr für den Suezkanal, sondern auch
durch die Änderungen im Tarifwesen infolge der Verbilligung der Landtrans¬
portmittel und des schnellen Emporkommens der deutschen Schiffahrt — ist England
in die Zwangslage geraten, genau wie es von der Bekämpfung des Militaris¬
mus selber zum Militarismus übergegangen ist, auch seine wirtschaftlichen
Grundsätze zu verleugnen: seinen freihändlerischen Standpunkt umzudenken in
einen schutzzöllnerischen. Es sind also durchaus Ideen einer merkantilistischen
Handelspolitik, die von den Pariser Beschlüssen zum Programm erhoben worden
sind, ja, der Krieg hat uns, wie es der schwedische Nationalökonom Gustav
Cassel ausgedrückt hat, sogar plötzlich in eine „Hochrenaissance dieses Merkan¬
tilismus versetzt, die den alten Ideen niegeahnte Lebenskraft verliehen hat und
dieselben Methoden wieder hat aufleben lassen." Im Mittelpunkt der Bestre¬
bungen dieses Geistes steht der Wille, die Zentralmächte von einer Meistbe¬
günstigung in den Gebieten der Alliierten auszuschließen. Nach Asquith „haben
sich die Verbündeten untereinander verpflichtet, den feindlichen Mächten für
eine Anzahl Jahre die Behandlung auf der Basis der Meistbegünstigung zu
verweigern und in dieser Zeit der Erholung vom Kriege ihre Hilfsmittel unter
Bedingungen so auszutauschen, daß die Maßregeln Deutschlands, sich Vorräte und
Material aus den neutralen Ländern zu sichern, durchkreuzt würden." Eine kurze
Überlegung läßt schon erkennen, daß hier der wunde Punkt des Pariser Programms
liegt. Abgesehen davon, daß die Interessen der einzelnen Ententegenossen viel zu
sehr auseinanderstreben und viel zu wenig Gemeinsames haben, ist der Gedanke
der Schaffung einer solchen abgeschlossenen Einheit absurd zu nennen, da sich
die Gesetze von Produktion und Umsatz nicht von heute auf morgen ändern
lassen. Weiter ist das Aufeinanderangewiesensein bei der heutigen innigen
Weltverflechtung aller am Weltmarkt teilnehmenden Nationen so stark aus¬
gebildet, daß anzunehmen ist, bald nach Friedensschluß werde das oberste
ökonomische Prinzip des wohlverstandenen Eigennutzes politische Rücksichten
leicht in den Hintergrund drängen. Das Rad der Weltgeschichte läßt sich nicht
zurückdrehen. Die Zeit der Nationalökonomie ist längst ersetzt durch die einer
Weltökonomie. Ist das eine naturgegebene Gegenwirkung gegen die englischen
Pläne, so stellen sich außerdem noch eine Unmenge von Hemmungen ein, die
die Probleme erschweren und ihre Lösung fast utopisch erscheinen lassen. Be¬
trachten wir diese näher, so stehen technische Schwierigkeiten obenan; denn die
Versagung der Meistbegünstigung an Deutschland heißt unbedingt für England
die Einführung des Schutzzolles. Das bedeutet weiter die Notwendigkeit der
Schaffung von Freibeznken in sämtlichen Welthäfen der Entente und unendliche
Beschwerlichkeiten in der Zollbehandlung der Güter nach ihrem Ursprungslande.
Ausgleichsmärkte anzulegen, dieser Gedanke entspricht ganz und gar den kleinen
Geistern, die heute die englische Politik machen. Immer wird ein Kunde dort


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/90>, abgerufen am 23.07.2024.