Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

ohnmächtige Wut gegen die Beaufsichtigung ihres Handels durch die Engländer
eben doch nur eine ohnmächtige Wut ist. Gibt es heute überhaupt noch
Neutrale? Die Frage erscheint gerechtfertigt in dem Augenblick, da man sich
überlegt, daß der Krieg in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen heute keinen-
Staat unangetastet gelassen hat. Soweit freilich braucht die Folgerung nicht
zu gehen, daß die so gemeinte Unneutralität mit einer offenen Feindseligkeit
gegen die Mittelmächte gleichgesetzt werden dürfte. Der Not gehorchend, nicht
dem eigenen Triebe, gilt auch hier für die meisten der Neutralen.

Wir stehen noch mitten in den schwersten Kämpfen auf allen Fronten.
Die Furcht vor der Wahrheit und die aufdämmernde Einsicht, uns militärisch
nicht unterkriegen. zu können, ist die wahre Ursache zu der erheblichen Ver¬
schärfung des Wirtschaftskampfes. Es ist bei ihm deutlich zu unterscheiden:
das Bestreben, den Aushungerungsplan zur Wirksamkeit zu bringen, um uns
zu einer schimpflichen Kapitulation zu zwingen; dann darüber hinausgehend,
bereits jetzt mit dem Kampf gegen den Wirtschaftskonkurrenten Deutschland mit.
aller Gewalt einzusetzen, um uns in Friedenszeiten für den Weltmarkt wett¬
bewerbsunfähig zu machen. Das sind die nächsten Ziele der englischen nun¬
mehrigen Handelspolitik. Sie zielen also ab auf den Gegner Deutschland. In
diesem Verhältnis wird sich bis zum Friedensschluß tatsächlich so gut wie nichts
ändern und ändern lassen. Der Krieg hat von selber ein Prohibitivsvstem für
alle Beteiligten geschaffen auf Grund der Abschließung, Einkreisung und
Blockierung der Mittelmächte. Wenn auch unser Außenhandel während des
letzten Jahres gegenüber dem ersten Kriegsjahr sich gehoben hat, will das doch
nichts besagen, sofern man sich vergegenwärtigt, daß unser Export, der in
Friedenszeiten rund zehn Milliarden Mark betrug, zum allergrößten Teil heute
sint liegt und keine nennenswerten Erträgnisse liefert. Unsere Industrie ist zur
Kriegsmaschinerie ausgebaut worden, unsere Rohstoffe und unsere Arbeitskräfte
sind in erster Linie da, den deutschen Sieg zu erringen. Wir müssen uns an
Wahrheiten halten und dürfen uns an keine Illusion verlieren. Die Rede
Asquiths zu den Pariser Beschlüssen, die ganz diktiert ist von der Angst der
deutschen Invasion auf den Weltmärkten, ist zwar ein unfreiwilliges Kompliment
für die Tüchtigkeit des deutschen Kaufmannsstandes und das hervorragende
deutsche Organisationstalent, aber weiter nichts. Wie die anderen Krieg-
führenden, so haben auch wir große Verluste an Menschenleben, seien sie
Intelligenz oder rein mechanische Arbeitskräfte, zu verzeichnen. Unsere Rohstoffe,
für die wir nicht selbst Hilfsquellen im Lande besitzen, sind zum großen Teil
aufgezehrt. Es ist also lediglich ein Märchen, wenn uns von der feindlichen
oder neutralen Seite immer wieder große Vorräte an fertigen oder halbfertigen
Erzeugnissen angedichtet werden, mit denen wir unmittelbar nach Friedensschluß
den Weltmarkt überschwemmen könnten. Wir werden im Gegenteil das Sinnen
und Trachten darauf richten müssen, unter Ausschaltung jeglicher Erschwernis
des Handels mit den Neutralen unsere Bestände so zu ergänzen, daß die deutsche


Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

ohnmächtige Wut gegen die Beaufsichtigung ihres Handels durch die Engländer
eben doch nur eine ohnmächtige Wut ist. Gibt es heute überhaupt noch
Neutrale? Die Frage erscheint gerechtfertigt in dem Augenblick, da man sich
überlegt, daß der Krieg in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen heute keinen-
Staat unangetastet gelassen hat. Soweit freilich braucht die Folgerung nicht
zu gehen, daß die so gemeinte Unneutralität mit einer offenen Feindseligkeit
gegen die Mittelmächte gleichgesetzt werden dürfte. Der Not gehorchend, nicht
dem eigenen Triebe, gilt auch hier für die meisten der Neutralen.

Wir stehen noch mitten in den schwersten Kämpfen auf allen Fronten.
Die Furcht vor der Wahrheit und die aufdämmernde Einsicht, uns militärisch
nicht unterkriegen. zu können, ist die wahre Ursache zu der erheblichen Ver¬
schärfung des Wirtschaftskampfes. Es ist bei ihm deutlich zu unterscheiden:
das Bestreben, den Aushungerungsplan zur Wirksamkeit zu bringen, um uns
zu einer schimpflichen Kapitulation zu zwingen; dann darüber hinausgehend,
bereits jetzt mit dem Kampf gegen den Wirtschaftskonkurrenten Deutschland mit.
aller Gewalt einzusetzen, um uns in Friedenszeiten für den Weltmarkt wett¬
bewerbsunfähig zu machen. Das sind die nächsten Ziele der englischen nun¬
mehrigen Handelspolitik. Sie zielen also ab auf den Gegner Deutschland. In
diesem Verhältnis wird sich bis zum Friedensschluß tatsächlich so gut wie nichts
ändern und ändern lassen. Der Krieg hat von selber ein Prohibitivsvstem für
alle Beteiligten geschaffen auf Grund der Abschließung, Einkreisung und
Blockierung der Mittelmächte. Wenn auch unser Außenhandel während des
letzten Jahres gegenüber dem ersten Kriegsjahr sich gehoben hat, will das doch
nichts besagen, sofern man sich vergegenwärtigt, daß unser Export, der in
Friedenszeiten rund zehn Milliarden Mark betrug, zum allergrößten Teil heute
sint liegt und keine nennenswerten Erträgnisse liefert. Unsere Industrie ist zur
Kriegsmaschinerie ausgebaut worden, unsere Rohstoffe und unsere Arbeitskräfte
sind in erster Linie da, den deutschen Sieg zu erringen. Wir müssen uns an
Wahrheiten halten und dürfen uns an keine Illusion verlieren. Die Rede
Asquiths zu den Pariser Beschlüssen, die ganz diktiert ist von der Angst der
deutschen Invasion auf den Weltmärkten, ist zwar ein unfreiwilliges Kompliment
für die Tüchtigkeit des deutschen Kaufmannsstandes und das hervorragende
deutsche Organisationstalent, aber weiter nichts. Wie die anderen Krieg-
führenden, so haben auch wir große Verluste an Menschenleben, seien sie
Intelligenz oder rein mechanische Arbeitskräfte, zu verzeichnen. Unsere Rohstoffe,
für die wir nicht selbst Hilfsquellen im Lande besitzen, sind zum großen Teil
aufgezehrt. Es ist also lediglich ein Märchen, wenn uns von der feindlichen
oder neutralen Seite immer wieder große Vorräte an fertigen oder halbfertigen
Erzeugnissen angedichtet werden, mit denen wir unmittelbar nach Friedensschluß
den Weltmarkt überschwemmen könnten. Wir werden im Gegenteil das Sinnen
und Trachten darauf richten müssen, unter Ausschaltung jeglicher Erschwernis
des Handels mit den Neutralen unsere Bestände so zu ergänzen, daß die deutsche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331059"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_227" prev="#ID_226"> ohnmächtige Wut gegen die Beaufsichtigung ihres Handels durch die Engländer<lb/>
eben doch nur eine ohnmächtige Wut ist. Gibt es heute überhaupt noch<lb/>
Neutrale? Die Frage erscheint gerechtfertigt in dem Augenblick, da man sich<lb/>
überlegt, daß der Krieg in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen heute keinen-<lb/>
Staat unangetastet gelassen hat. Soweit freilich braucht die Folgerung nicht<lb/>
zu gehen, daß die so gemeinte Unneutralität mit einer offenen Feindseligkeit<lb/>
gegen die Mittelmächte gleichgesetzt werden dürfte. Der Not gehorchend, nicht<lb/>
dem eigenen Triebe, gilt auch hier für die meisten der Neutralen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_228" next="#ID_229"> Wir stehen noch mitten in den schwersten Kämpfen auf allen Fronten.<lb/>
Die Furcht vor der Wahrheit und die aufdämmernde Einsicht, uns militärisch<lb/>
nicht unterkriegen. zu können, ist die wahre Ursache zu der erheblichen Ver¬<lb/>
schärfung des Wirtschaftskampfes. Es ist bei ihm deutlich zu unterscheiden:<lb/>
das Bestreben, den Aushungerungsplan zur Wirksamkeit zu bringen, um uns<lb/>
zu einer schimpflichen Kapitulation zu zwingen; dann darüber hinausgehend,<lb/>
bereits jetzt mit dem Kampf gegen den Wirtschaftskonkurrenten Deutschland mit.<lb/>
aller Gewalt einzusetzen, um uns in Friedenszeiten für den Weltmarkt wett¬<lb/>
bewerbsunfähig zu machen. Das sind die nächsten Ziele der englischen nun¬<lb/>
mehrigen Handelspolitik. Sie zielen also ab auf den Gegner Deutschland. In<lb/>
diesem Verhältnis wird sich bis zum Friedensschluß tatsächlich so gut wie nichts<lb/>
ändern und ändern lassen. Der Krieg hat von selber ein Prohibitivsvstem für<lb/>
alle Beteiligten geschaffen auf Grund der Abschließung, Einkreisung und<lb/>
Blockierung der Mittelmächte. Wenn auch unser Außenhandel während des<lb/>
letzten Jahres gegenüber dem ersten Kriegsjahr sich gehoben hat, will das doch<lb/>
nichts besagen, sofern man sich vergegenwärtigt, daß unser Export, der in<lb/>
Friedenszeiten rund zehn Milliarden Mark betrug, zum allergrößten Teil heute<lb/>
sint liegt und keine nennenswerten Erträgnisse liefert. Unsere Industrie ist zur<lb/>
Kriegsmaschinerie ausgebaut worden, unsere Rohstoffe und unsere Arbeitskräfte<lb/>
sind in erster Linie da, den deutschen Sieg zu erringen. Wir müssen uns an<lb/>
Wahrheiten halten und dürfen uns an keine Illusion verlieren. Die Rede<lb/>
Asquiths zu den Pariser Beschlüssen, die ganz diktiert ist von der Angst der<lb/>
deutschen Invasion auf den Weltmärkten, ist zwar ein unfreiwilliges Kompliment<lb/>
für die Tüchtigkeit des deutschen Kaufmannsstandes und das hervorragende<lb/>
deutsche Organisationstalent, aber weiter nichts. Wie die anderen Krieg-<lb/>
führenden, so haben auch wir große Verluste an Menschenleben, seien sie<lb/>
Intelligenz oder rein mechanische Arbeitskräfte, zu verzeichnen. Unsere Rohstoffe,<lb/>
für die wir nicht selbst Hilfsquellen im Lande besitzen, sind zum großen Teil<lb/>
aufgezehrt. Es ist also lediglich ein Märchen, wenn uns von der feindlichen<lb/>
oder neutralen Seite immer wieder große Vorräte an fertigen oder halbfertigen<lb/>
Erzeugnissen angedichtet werden, mit denen wir unmittelbar nach Friedensschluß<lb/>
den Weltmarkt überschwemmen könnten. Wir werden im Gegenteil das Sinnen<lb/>
und Trachten darauf richten müssen, unter Ausschaltung jeglicher Erschwernis<lb/>
des Handels mit den Neutralen unsere Bestände so zu ergänzen, daß die deutsche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges ohnmächtige Wut gegen die Beaufsichtigung ihres Handels durch die Engländer eben doch nur eine ohnmächtige Wut ist. Gibt es heute überhaupt noch Neutrale? Die Frage erscheint gerechtfertigt in dem Augenblick, da man sich überlegt, daß der Krieg in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen heute keinen- Staat unangetastet gelassen hat. Soweit freilich braucht die Folgerung nicht zu gehen, daß die so gemeinte Unneutralität mit einer offenen Feindseligkeit gegen die Mittelmächte gleichgesetzt werden dürfte. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, gilt auch hier für die meisten der Neutralen. Wir stehen noch mitten in den schwersten Kämpfen auf allen Fronten. Die Furcht vor der Wahrheit und die aufdämmernde Einsicht, uns militärisch nicht unterkriegen. zu können, ist die wahre Ursache zu der erheblichen Ver¬ schärfung des Wirtschaftskampfes. Es ist bei ihm deutlich zu unterscheiden: das Bestreben, den Aushungerungsplan zur Wirksamkeit zu bringen, um uns zu einer schimpflichen Kapitulation zu zwingen; dann darüber hinausgehend, bereits jetzt mit dem Kampf gegen den Wirtschaftskonkurrenten Deutschland mit. aller Gewalt einzusetzen, um uns in Friedenszeiten für den Weltmarkt wett¬ bewerbsunfähig zu machen. Das sind die nächsten Ziele der englischen nun¬ mehrigen Handelspolitik. Sie zielen also ab auf den Gegner Deutschland. In diesem Verhältnis wird sich bis zum Friedensschluß tatsächlich so gut wie nichts ändern und ändern lassen. Der Krieg hat von selber ein Prohibitivsvstem für alle Beteiligten geschaffen auf Grund der Abschließung, Einkreisung und Blockierung der Mittelmächte. Wenn auch unser Außenhandel während des letzten Jahres gegenüber dem ersten Kriegsjahr sich gehoben hat, will das doch nichts besagen, sofern man sich vergegenwärtigt, daß unser Export, der in Friedenszeiten rund zehn Milliarden Mark betrug, zum allergrößten Teil heute sint liegt und keine nennenswerten Erträgnisse liefert. Unsere Industrie ist zur Kriegsmaschinerie ausgebaut worden, unsere Rohstoffe und unsere Arbeitskräfte sind in erster Linie da, den deutschen Sieg zu erringen. Wir müssen uns an Wahrheiten halten und dürfen uns an keine Illusion verlieren. Die Rede Asquiths zu den Pariser Beschlüssen, die ganz diktiert ist von der Angst der deutschen Invasion auf den Weltmärkten, ist zwar ein unfreiwilliges Kompliment für die Tüchtigkeit des deutschen Kaufmannsstandes und das hervorragende deutsche Organisationstalent, aber weiter nichts. Wie die anderen Krieg- führenden, so haben auch wir große Verluste an Menschenleben, seien sie Intelligenz oder rein mechanische Arbeitskräfte, zu verzeichnen. Unsere Rohstoffe, für die wir nicht selbst Hilfsquellen im Lande besitzen, sind zum großen Teil aufgezehrt. Es ist also lediglich ein Märchen, wenn uns von der feindlichen oder neutralen Seite immer wieder große Vorräte an fertigen oder halbfertigen Erzeugnissen angedichtet werden, mit denen wir unmittelbar nach Friedensschluß den Weltmarkt überschwemmen könnten. Wir werden im Gegenteil das Sinnen und Trachten darauf richten müssen, unter Ausschaltung jeglicher Erschwernis des Handels mit den Neutralen unsere Bestände so zu ergänzen, daß die deutsche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/87>, abgerufen am 23.07.2024.