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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Das Schicksal des Völkerrechts

mitteln sein. Auch die "Stellung" und die "Not" der Neutralen wird leicht
faßlich und hinreichend eingehend geschildert. Möge der Zweck der Schrift, die
nach dem Vorwort in weitesten Laienkreisen und auch im Schützengraben Ver¬
wendung finden soll, erfüllt werden.

Anders geartet ist Triepels Vortrag, der an Ernst Immanuel Bekkers
"Völkerrecht der Zukunft" anknüpft, aber im Gegensatz zu Bekker schon im
heutigen sogenannten Völkerrecht ein solches verwirklicht sieht. Mit Recht weist
er darauf hin, daß ein "Weltbundsstaat" das Ende des "Völkerrechts" bedeuten
würde, nämlich nur "Staatsrecht" produzieren könnte. Die Geltungswurzel
des Völkerrechts erblickt er im Gemeinwillen der Staatengemeinschaft, an den
der einzelne Staat gebunden sei, wenn er an der Bildung des Gesamtwillens
durch Erklärung oder Billigung Anteil genommen habe. Das Völkerrecht ist
ihm "Recht" im Sinne der Jurisprudenz. Er hält (wie ich. stehe oben) das
seitherige Völkerrecht nicht für völlig "zusammengebrochen" (S. 7), da das
Friedensrecht erhalten geblieben sei. Aber auch das Kriegsrecht ist nach seiner
Auffassung als "Recht" trotz zahlloser Rechtsverletzungen nicht verschwunden.
Er prophezeit dem Friedensrecht eine normale Weiterentwicklung, steht aber
dem zukünftigen Recht, das zur friedlichen Erledigung internationaler Streitig¬
keiten bestimmt ist (S. 13), skeptisch gegenüber, insofern er eine Überschreitung
der Grenzen des bereits Erreichten für kaum möglich hält. Dem Kriegsncht
sagt er eine langsamere Entwicklung voraus, als es die Anläufe von 1907 bis
1909 hätten erwarten lassen. Er faßt zum Schlüsse die "Allbeteiligungsklausel"
(Zitelmann) als Voraussetzung der Geltung von Kriegsrechtssätzen für den
einzelnen Krieg in dem Sinne, daß alle Kriegführenden Vertragsparteien sein
müssen, sowie das Wesen des Volks- und des Handelskrieges ins Auge und schließt
mit dem auch mir aus dem Herzen gesprochenen Wunsch, daß es Deutschland
sei, das dem künftigen Völkerrechte den Stempel seines Geistes aufzudrücken
vermag.




Das Schicksal des Völkerrechts

mitteln sein. Auch die „Stellung" und die „Not" der Neutralen wird leicht
faßlich und hinreichend eingehend geschildert. Möge der Zweck der Schrift, die
nach dem Vorwort in weitesten Laienkreisen und auch im Schützengraben Ver¬
wendung finden soll, erfüllt werden.

Anders geartet ist Triepels Vortrag, der an Ernst Immanuel Bekkers
„Völkerrecht der Zukunft" anknüpft, aber im Gegensatz zu Bekker schon im
heutigen sogenannten Völkerrecht ein solches verwirklicht sieht. Mit Recht weist
er darauf hin, daß ein „Weltbundsstaat" das Ende des „Völkerrechts" bedeuten
würde, nämlich nur „Staatsrecht" produzieren könnte. Die Geltungswurzel
des Völkerrechts erblickt er im Gemeinwillen der Staatengemeinschaft, an den
der einzelne Staat gebunden sei, wenn er an der Bildung des Gesamtwillens
durch Erklärung oder Billigung Anteil genommen habe. Das Völkerrecht ist
ihm „Recht" im Sinne der Jurisprudenz. Er hält (wie ich. stehe oben) das
seitherige Völkerrecht nicht für völlig „zusammengebrochen" (S. 7), da das
Friedensrecht erhalten geblieben sei. Aber auch das Kriegsrecht ist nach seiner
Auffassung als „Recht" trotz zahlloser Rechtsverletzungen nicht verschwunden.
Er prophezeit dem Friedensrecht eine normale Weiterentwicklung, steht aber
dem zukünftigen Recht, das zur friedlichen Erledigung internationaler Streitig¬
keiten bestimmt ist (S. 13), skeptisch gegenüber, insofern er eine Überschreitung
der Grenzen des bereits Erreichten für kaum möglich hält. Dem Kriegsncht
sagt er eine langsamere Entwicklung voraus, als es die Anläufe von 1907 bis
1909 hätten erwarten lassen. Er faßt zum Schlüsse die „Allbeteiligungsklausel"
(Zitelmann) als Voraussetzung der Geltung von Kriegsrechtssätzen für den
einzelnen Krieg in dem Sinne, daß alle Kriegführenden Vertragsparteien sein
müssen, sowie das Wesen des Volks- und des Handelskrieges ins Auge und schließt
mit dem auch mir aus dem Herzen gesprochenen Wunsch, daß es Deutschland
sei, das dem künftigen Völkerrechte den Stempel seines Geistes aufzudrücken
vermag.




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[0075] Das Schicksal des Völkerrechts mitteln sein. Auch die „Stellung" und die „Not" der Neutralen wird leicht faßlich und hinreichend eingehend geschildert. Möge der Zweck der Schrift, die nach dem Vorwort in weitesten Laienkreisen und auch im Schützengraben Ver¬ wendung finden soll, erfüllt werden. Anders geartet ist Triepels Vortrag, der an Ernst Immanuel Bekkers „Völkerrecht der Zukunft" anknüpft, aber im Gegensatz zu Bekker schon im heutigen sogenannten Völkerrecht ein solches verwirklicht sieht. Mit Recht weist er darauf hin, daß ein „Weltbundsstaat" das Ende des „Völkerrechts" bedeuten würde, nämlich nur „Staatsrecht" produzieren könnte. Die Geltungswurzel des Völkerrechts erblickt er im Gemeinwillen der Staatengemeinschaft, an den der einzelne Staat gebunden sei, wenn er an der Bildung des Gesamtwillens durch Erklärung oder Billigung Anteil genommen habe. Das Völkerrecht ist ihm „Recht" im Sinne der Jurisprudenz. Er hält (wie ich. stehe oben) das seitherige Völkerrecht nicht für völlig „zusammengebrochen" (S. 7), da das Friedensrecht erhalten geblieben sei. Aber auch das Kriegsrecht ist nach seiner Auffassung als „Recht" trotz zahlloser Rechtsverletzungen nicht verschwunden. Er prophezeit dem Friedensrecht eine normale Weiterentwicklung, steht aber dem zukünftigen Recht, das zur friedlichen Erledigung internationaler Streitig¬ keiten bestimmt ist (S. 13), skeptisch gegenüber, insofern er eine Überschreitung der Grenzen des bereits Erreichten für kaum möglich hält. Dem Kriegsncht sagt er eine langsamere Entwicklung voraus, als es die Anläufe von 1907 bis 1909 hätten erwarten lassen. Er faßt zum Schlüsse die „Allbeteiligungsklausel" (Zitelmann) als Voraussetzung der Geltung von Kriegsrechtssätzen für den einzelnen Krieg in dem Sinne, daß alle Kriegführenden Vertragsparteien sein müssen, sowie das Wesen des Volks- und des Handelskrieges ins Auge und schließt mit dem auch mir aus dem Herzen gesprochenen Wunsch, daß es Deutschland sei, das dem künftigen Völkerrechte den Stempel seines Geistes aufzudrücken vermag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/75>, abgerufen am 23.07.2024.