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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Goethes häusliches Leben

stimmt sind, antwortet er von Frankfurt aus: "Vor allen Dingen muß ich
Dich bitten, mein liebes Kind, daß Du Dich über meine weitere Reise nicht
ängstigst und Dir nicht die guten Tage verdirbst, die Du haben kannst. . .
Du weißt überhaupt und hast auch auf der letzten Reise gesehen, daß ich bei
solchen Unternehmungen sorgfältig und vorsichtig bin, Du kannst leicht denken,
daß ich mich nicht aus heiler Haut in Gefahr begeben werde, und ich kann
Dir wohl gewiß versichern, daß ich diesmal nicht nach Italien gehe. Behalte
das für Dich und laß die Menschen reden, was sie wollen; Du weißt ja die
Art des ganzen Geschlechts, daß es lieber beunruhigt und hetzt als tröstet
und aufrichtet."

Unter den Beunruhigungen durch die lieben Mitmenschen hat Christiane
genug zu leiden, besonders, wenn es sich um die Beziehungen Goethes zu
anderen Frauen handelt. Aber sie weiß sich auch darein zu finden, und da sie
selbst an kleinen Eroberungen -- "Äugelchen" ist der Kunstausdruck des Brief¬
wechsels dafür -- ihre unverhohlene Freude hat, einigen sich die Gatten auf
den vernünftigen Grundsatz der Duldsamkeit und teilen einander ganz offen¬
herzig ihre Herzenserlebnisse mit. So berichtet Christiane aus Lauchstüdt, wo
sie auf großem Fuße lebt (-- "Du glaubst gar nicht, was so eine Equipage
und Bedienter vor einen Respekt verschafft!" --) und wo man es offenbar
auch der Demoiselle Vulpius gegenüber mit der Etiquette weniger genau
nimmt als in dem engherzigen Weimar: "Wir müssen auf unserer Hut sein,
man will uns unsre Anglichen und Kurmacher wegkapern; ... wir wollen
nur erst sehen, daß wir etwas Anders kriegen und etwas Besseres, alsdann
kann sie die Jagemann bekommen. Es ist recht lustig, wie man da keine
Barmherzigkeit mit einander hat; das macht mir viel Spaß, und ich habe
Dir allerhand lustige Streiche zu erzählen." Mit milder Nachsicht geht Goethe
auf solche Geständnisse ein; nur einmal schreibt er mahnend: "Mit den
Äugelchen geht es, merke ich, ein wenig stark, nimm Dich nur in Acht, daß
keine Augen daraus werden", fügt aber beruhigend hinzu: "Wie sehr von
Herzen ich Dich liebe, fühle ich erst recht, da ich mich an Deiner Freude und
Zufriedenheit erfreuen kann." Und wie rührend ist es, wenn der Vierund-
fünfzigjährige die Geliebte bittet: "Schicke mir mit nächster Gelegenheit Deine
letzten, neuen, schon durchgetanzten Schuhe, von denen Du mir schriebst, daß
ich nur wieder etwas von Dir habe und an mein Herz drücken kann!" Die
eigenen Herzensbeziehungen behandelt Goethe mit der Objektivität des Histo¬
rikers, so, wenn er am 6. November 1812 aus Jena berichtet: "Gestern
Abend habe ich auch Minchen (Herzlich) wiedergesehn. Ich überließ es dem
Zufall, wie ich mit ihr zusammenkommen sollte. Der hat sich auch recht artig
erwiesen, und es war eben recht. Sie ist null eben um ein paar Jahre älter.
An Gestalt und Betragen usw. aber immer noch so hübsch und so artig, baß
ich mir gar nicht übel nehme, sie einmal mehr als billig geliebt zu haben."
Gewiß bleiben gelegentliche Anwandlungen von Eifersucht der kleinen Frau


Goethes häusliches Leben

stimmt sind, antwortet er von Frankfurt aus: „Vor allen Dingen muß ich
Dich bitten, mein liebes Kind, daß Du Dich über meine weitere Reise nicht
ängstigst und Dir nicht die guten Tage verdirbst, die Du haben kannst. . .
Du weißt überhaupt und hast auch auf der letzten Reise gesehen, daß ich bei
solchen Unternehmungen sorgfältig und vorsichtig bin, Du kannst leicht denken,
daß ich mich nicht aus heiler Haut in Gefahr begeben werde, und ich kann
Dir wohl gewiß versichern, daß ich diesmal nicht nach Italien gehe. Behalte
das für Dich und laß die Menschen reden, was sie wollen; Du weißt ja die
Art des ganzen Geschlechts, daß es lieber beunruhigt und hetzt als tröstet
und aufrichtet."

Unter den Beunruhigungen durch die lieben Mitmenschen hat Christiane
genug zu leiden, besonders, wenn es sich um die Beziehungen Goethes zu
anderen Frauen handelt. Aber sie weiß sich auch darein zu finden, und da sie
selbst an kleinen Eroberungen — „Äugelchen" ist der Kunstausdruck des Brief¬
wechsels dafür — ihre unverhohlene Freude hat, einigen sich die Gatten auf
den vernünftigen Grundsatz der Duldsamkeit und teilen einander ganz offen¬
herzig ihre Herzenserlebnisse mit. So berichtet Christiane aus Lauchstüdt, wo
sie auf großem Fuße lebt (— „Du glaubst gar nicht, was so eine Equipage
und Bedienter vor einen Respekt verschafft!" —) und wo man es offenbar
auch der Demoiselle Vulpius gegenüber mit der Etiquette weniger genau
nimmt als in dem engherzigen Weimar: „Wir müssen auf unserer Hut sein,
man will uns unsre Anglichen und Kurmacher wegkapern; ... wir wollen
nur erst sehen, daß wir etwas Anders kriegen und etwas Besseres, alsdann
kann sie die Jagemann bekommen. Es ist recht lustig, wie man da keine
Barmherzigkeit mit einander hat; das macht mir viel Spaß, und ich habe
Dir allerhand lustige Streiche zu erzählen." Mit milder Nachsicht geht Goethe
auf solche Geständnisse ein; nur einmal schreibt er mahnend: „Mit den
Äugelchen geht es, merke ich, ein wenig stark, nimm Dich nur in Acht, daß
keine Augen daraus werden", fügt aber beruhigend hinzu: „Wie sehr von
Herzen ich Dich liebe, fühle ich erst recht, da ich mich an Deiner Freude und
Zufriedenheit erfreuen kann." Und wie rührend ist es, wenn der Vierund-
fünfzigjährige die Geliebte bittet: „Schicke mir mit nächster Gelegenheit Deine
letzten, neuen, schon durchgetanzten Schuhe, von denen Du mir schriebst, daß
ich nur wieder etwas von Dir habe und an mein Herz drücken kann!" Die
eigenen Herzensbeziehungen behandelt Goethe mit der Objektivität des Histo¬
rikers, so, wenn er am 6. November 1812 aus Jena berichtet: „Gestern
Abend habe ich auch Minchen (Herzlich) wiedergesehn. Ich überließ es dem
Zufall, wie ich mit ihr zusammenkommen sollte. Der hat sich auch recht artig
erwiesen, und es war eben recht. Sie ist null eben um ein paar Jahre älter.
An Gestalt und Betragen usw. aber immer noch so hübsch und so artig, baß
ich mir gar nicht übel nehme, sie einmal mehr als billig geliebt zu haben."
Gewiß bleiben gelegentliche Anwandlungen von Eifersucht der kleinen Frau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/67>, abgerufen am 23.07.2024.