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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Zum Burgfrieden unter den Weltanschauungen

die Aufgaben des Christentums gegen die der modernen sozialistischen Be¬
wegungen ab. Auch hier ist das Ergebnis geeignet, dem Frieden zu dienen.
Kiefl erbringt -- im Rahmen des Gesamtwerkes auch durch eine exegetische
Einzeluntersuchung über ein Pauluswort -- den Nachweis, daß das Christentum
seinem Wesen nach nur eine religiöse, niemals eine sozialpolitische Botschaft
sein könne. Die Arbeitsgebiete des Christentums und des Sozialismus werden
damit grundsätzlich geschieden. Gerade weil Kiefl auch hier wieder die Welt¬
anschauung des philosophischen Idealismus,' insofern sie auch den Kern der
sozialistischen Weltanschauung bildet, als unchristlich zurückweist und die religiöse
Eigenart des historischen Christentums verteidigt, gewinnt er anderseits alle
wünschenswerte Neutralität gegen die modernen sozialpolitischen Bestrebungen.
Die christliche Caritas ist religiöse, aber überhaupt keine sozialpolitische Ge¬
sinnung. Man wird Kiefl gern zugestehen, daß die moderne rein sozialpolitische
Stimmung, die nur Rechte für die Menschen beansprucht und die Liebe als
demütigend verachtet, einseitig ist, und daß der sozialreligiösen christlichen Ge¬
sinnung unbeschadet aller Sozialpolitik eine gründliche Erneuerung von Herzen
zu wünschen wäre.

Solche Anschauung, die dem Christentum neben dem Sozialismus und
demzufolge der Kirche neben dem Staate ihre souveräne Sphäre läßt, entspricht
den kulturellen Notwendigkeiten unserer Zeit und darf in unserm innerpolitischen
Leben in Zukunft noch weniger stumm bleiben als bisher.




Zum Burgfrieden unter den Weltanschauungen

die Aufgaben des Christentums gegen die der modernen sozialistischen Be¬
wegungen ab. Auch hier ist das Ergebnis geeignet, dem Frieden zu dienen.
Kiefl erbringt — im Rahmen des Gesamtwerkes auch durch eine exegetische
Einzeluntersuchung über ein Pauluswort — den Nachweis, daß das Christentum
seinem Wesen nach nur eine religiöse, niemals eine sozialpolitische Botschaft
sein könne. Die Arbeitsgebiete des Christentums und des Sozialismus werden
damit grundsätzlich geschieden. Gerade weil Kiefl auch hier wieder die Welt¬
anschauung des philosophischen Idealismus,' insofern sie auch den Kern der
sozialistischen Weltanschauung bildet, als unchristlich zurückweist und die religiöse
Eigenart des historischen Christentums verteidigt, gewinnt er anderseits alle
wünschenswerte Neutralität gegen die modernen sozialpolitischen Bestrebungen.
Die christliche Caritas ist religiöse, aber überhaupt keine sozialpolitische Ge¬
sinnung. Man wird Kiefl gern zugestehen, daß die moderne rein sozialpolitische
Stimmung, die nur Rechte für die Menschen beansprucht und die Liebe als
demütigend verachtet, einseitig ist, und daß der sozialreligiösen christlichen Ge¬
sinnung unbeschadet aller Sozialpolitik eine gründliche Erneuerung von Herzen
zu wünschen wäre.

Solche Anschauung, die dem Christentum neben dem Sozialismus und
demzufolge der Kirche neben dem Staate ihre souveräne Sphäre läßt, entspricht
den kulturellen Notwendigkeiten unserer Zeit und darf in unserm innerpolitischen
Leben in Zukunft noch weniger stumm bleiben als bisher.




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[0427] Zum Burgfrieden unter den Weltanschauungen die Aufgaben des Christentums gegen die der modernen sozialistischen Be¬ wegungen ab. Auch hier ist das Ergebnis geeignet, dem Frieden zu dienen. Kiefl erbringt — im Rahmen des Gesamtwerkes auch durch eine exegetische Einzeluntersuchung über ein Pauluswort — den Nachweis, daß das Christentum seinem Wesen nach nur eine religiöse, niemals eine sozialpolitische Botschaft sein könne. Die Arbeitsgebiete des Christentums und des Sozialismus werden damit grundsätzlich geschieden. Gerade weil Kiefl auch hier wieder die Welt¬ anschauung des philosophischen Idealismus,' insofern sie auch den Kern der sozialistischen Weltanschauung bildet, als unchristlich zurückweist und die religiöse Eigenart des historischen Christentums verteidigt, gewinnt er anderseits alle wünschenswerte Neutralität gegen die modernen sozialpolitischen Bestrebungen. Die christliche Caritas ist religiöse, aber überhaupt keine sozialpolitische Ge¬ sinnung. Man wird Kiefl gern zugestehen, daß die moderne rein sozialpolitische Stimmung, die nur Rechte für die Menschen beansprucht und die Liebe als demütigend verachtet, einseitig ist, und daß der sozialreligiösen christlichen Ge¬ sinnung unbeschadet aller Sozialpolitik eine gründliche Erneuerung von Herzen zu wünschen wäre. Solche Anschauung, die dem Christentum neben dem Sozialismus und demzufolge der Kirche neben dem Staate ihre souveräne Sphäre läßt, entspricht den kulturellen Notwendigkeiten unserer Zeit und darf in unserm innerpolitischen Leben in Zukunft noch weniger stumm bleiben als bisher.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/427>, abgerufen am 23.07.2024.