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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Omer

Krankenhaus in Stcnnbul wird mich begleiten. Wenn wir sehen, daß sich der
Kranke gutwillig fortbringen läßt, pflegen wir ihn hier im Aali, sonst nimmt
Hakki Bey ihn mit in die Stadt."

Eher, als er gedacht, mußte der Bey sein Vorhaben ausführen. Am
Nachmittag des "fränkischen" Beiram (Weihnachten) setzte ein Schneesturm ein.
Der Wind bließ von Norden; es war mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen,
daß das Unwetter zwei bis drei Tage anhalten würde. Deshalb schickte Tachsim
Bey einen Boten nach Stambul und ließ seinen Freund bitten, am nächsten
Tag mit dem ersten Dampfer nach Bebel zu kommen, er erwarte ihn beim
Landungssteg. Gegen Abend nahm der Sturm an Heftigkeit noch zu, in der
Nacht fiel reichlicher Schnee.

Früh am andern Morgen war Hakki Bey pünktlich zur Stelle. Der Wagen
hatte Mühe, sich durch die Schneewehen, die zwischen der Ufermauer und den
Häusern aufgetürmt lagen, hindurchzuarbeiten.

Tachsim Bey konnte seine Unruhe nicht verbergen. "Hoffentlich ist der
arme Bursche nicht auch gestern abend in den Sturm hinausgegangen, um die
Totenkerze anzuzünden", sagte er.

Unweit der Hütte stiegen die zwei Männer aus dem Wagen. Sie war
halb vom Schnee zugedeckt, der Teppich vor dem Eingang flatterte im Winde.
Tachsim Bey schaute hinein; sie war leer. Nichts Gutes ahnend, befahl er dem
Kutscher, den Wagen vorsichtig bis zum Friedhof zu führen. Er selbst nahm
Hakki Bey unter den Arm und ging mit ihm voraus.

Es hatte aufgehört zu schneien. Über die Ruhestätte der Toten hatte der
Winter sein weißes Leichentuch gebreitet.

Als die Suchenden an das Grab Aische Hanums traten, fanden sie den
Vermißten. Er saß auf dem Hügel. Sein Kopf ruhte zwischen beiden Armen,
die den Fuß der Stele umklammert hielten. Neben ihm stand die kleine
Laterne, in der eine noch unbenutzte Kerze steckte, daneben lag das Feuerzeug.

Hakki Bey beugte sich über die zusammengekaufte Gestalt. "Ich fürchte,
der Bursche ist erfroren", sage er.

"Omer ist nur seiner Herrin gefolgt", erwiderte Tachsim Bey, "in ihrem
Dienst durfte er träumend durch das dunkle Tor des Todes gehen!"




Delli Omer

Krankenhaus in Stcnnbul wird mich begleiten. Wenn wir sehen, daß sich der
Kranke gutwillig fortbringen läßt, pflegen wir ihn hier im Aali, sonst nimmt
Hakki Bey ihn mit in die Stadt."

Eher, als er gedacht, mußte der Bey sein Vorhaben ausführen. Am
Nachmittag des „fränkischen" Beiram (Weihnachten) setzte ein Schneesturm ein.
Der Wind bließ von Norden; es war mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen,
daß das Unwetter zwei bis drei Tage anhalten würde. Deshalb schickte Tachsim
Bey einen Boten nach Stambul und ließ seinen Freund bitten, am nächsten
Tag mit dem ersten Dampfer nach Bebel zu kommen, er erwarte ihn beim
Landungssteg. Gegen Abend nahm der Sturm an Heftigkeit noch zu, in der
Nacht fiel reichlicher Schnee.

Früh am andern Morgen war Hakki Bey pünktlich zur Stelle. Der Wagen
hatte Mühe, sich durch die Schneewehen, die zwischen der Ufermauer und den
Häusern aufgetürmt lagen, hindurchzuarbeiten.

Tachsim Bey konnte seine Unruhe nicht verbergen. „Hoffentlich ist der
arme Bursche nicht auch gestern abend in den Sturm hinausgegangen, um die
Totenkerze anzuzünden", sagte er.

Unweit der Hütte stiegen die zwei Männer aus dem Wagen. Sie war
halb vom Schnee zugedeckt, der Teppich vor dem Eingang flatterte im Winde.
Tachsim Bey schaute hinein; sie war leer. Nichts Gutes ahnend, befahl er dem
Kutscher, den Wagen vorsichtig bis zum Friedhof zu führen. Er selbst nahm
Hakki Bey unter den Arm und ging mit ihm voraus.

Es hatte aufgehört zu schneien. Über die Ruhestätte der Toten hatte der
Winter sein weißes Leichentuch gebreitet.

Als die Suchenden an das Grab Aische Hanums traten, fanden sie den
Vermißten. Er saß auf dem Hügel. Sein Kopf ruhte zwischen beiden Armen,
die den Fuß der Stele umklammert hielten. Neben ihm stand die kleine
Laterne, in der eine noch unbenutzte Kerze steckte, daneben lag das Feuerzeug.

Hakki Bey beugte sich über die zusammengekaufte Gestalt. „Ich fürchte,
der Bursche ist erfroren", sage er.

„Omer ist nur seiner Herrin gefolgt", erwiderte Tachsim Bey, „in ihrem
Dienst durfte er träumend durch das dunkle Tor des Todes gehen!"




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[0424] Delli Omer Krankenhaus in Stcnnbul wird mich begleiten. Wenn wir sehen, daß sich der Kranke gutwillig fortbringen läßt, pflegen wir ihn hier im Aali, sonst nimmt Hakki Bey ihn mit in die Stadt." Eher, als er gedacht, mußte der Bey sein Vorhaben ausführen. Am Nachmittag des „fränkischen" Beiram (Weihnachten) setzte ein Schneesturm ein. Der Wind bließ von Norden; es war mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß das Unwetter zwei bis drei Tage anhalten würde. Deshalb schickte Tachsim Bey einen Boten nach Stambul und ließ seinen Freund bitten, am nächsten Tag mit dem ersten Dampfer nach Bebel zu kommen, er erwarte ihn beim Landungssteg. Gegen Abend nahm der Sturm an Heftigkeit noch zu, in der Nacht fiel reichlicher Schnee. Früh am andern Morgen war Hakki Bey pünktlich zur Stelle. Der Wagen hatte Mühe, sich durch die Schneewehen, die zwischen der Ufermauer und den Häusern aufgetürmt lagen, hindurchzuarbeiten. Tachsim Bey konnte seine Unruhe nicht verbergen. „Hoffentlich ist der arme Bursche nicht auch gestern abend in den Sturm hinausgegangen, um die Totenkerze anzuzünden", sagte er. Unweit der Hütte stiegen die zwei Männer aus dem Wagen. Sie war halb vom Schnee zugedeckt, der Teppich vor dem Eingang flatterte im Winde. Tachsim Bey schaute hinein; sie war leer. Nichts Gutes ahnend, befahl er dem Kutscher, den Wagen vorsichtig bis zum Friedhof zu führen. Er selbst nahm Hakki Bey unter den Arm und ging mit ihm voraus. Es hatte aufgehört zu schneien. Über die Ruhestätte der Toten hatte der Winter sein weißes Leichentuch gebreitet. Als die Suchenden an das Grab Aische Hanums traten, fanden sie den Vermißten. Er saß auf dem Hügel. Sein Kopf ruhte zwischen beiden Armen, die den Fuß der Stele umklammert hielten. Neben ihm stand die kleine Laterne, in der eine noch unbenutzte Kerze steckte, daneben lag das Feuerzeug. Hakki Bey beugte sich über die zusammengekaufte Gestalt. „Ich fürchte, der Bursche ist erfroren", sage er. „Omer ist nur seiner Herrin gefolgt", erwiderte Tachsim Bey, „in ihrem Dienst durfte er träumend durch das dunkle Tor des Todes gehen!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/424>, abgerufen am 23.07.2024.