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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Vmer

Auch der Polizeiposten konnte keineAuskunft geben. Zuletzt schoß dem besorgten
Bey ein Gedanke durch den Kopf. Er lenkte seine Schritte zum Friedhof.

Bebels uraltes Gräberfeld, auf dem schon die heldenmütigen Krieger
Muhammeds des Eroberers ruhen, wärmte sich im Glanz der Morgensonne.
Das zarte weiße Nebeltuch, das in feuchten Frühlingsnächten über dieses Totenreich
ausgespannt liegt, wurde von unsichtbaren Händen weggezogen und zerflatterte
zwischen den dunklen Pyramiden der Zypressen. Ein Gewirr zahlloser kleiner
Grabhügel mit aufrechten Steinen und windschiefen Stelen wurde sichtbar.
Des Frühlings bunter Blumenteppich breitete sich liebevoll über die Gräber
Reicher und Armer, noch Betrauerter und längst Vergessener. Hier ruhte ein
berühmter Pascha unter einem reich verzierten Stein, auf dem seine Taten in
goldenen Lettern eingezeichnet waren. Sein roter, in Marmor ausgehauener
Fes verkündigte stolz die Würde seines Herrentums. Die Stelen der Gräber
seiner Lieblingsfrauen schmückten sorgfältig gemeißelte Rankenreliefs blühender
Blumen und Palmen, ein Zeichen für die Nachwelt, daß diese gottgesegneten
Frauen ihrem Gebieter ein starkes Geschlecht von Söhnen und Töchtern geschenkt
hatten. Des armen Mannes Grabstein daneben war von Moos überwuchert
und zur Hälfte in die Erde gesunken. Wem hatte er gedient, was war sein
Schicksal gewesen? Und wer konnte sagen, ob in alle die Gräber, die heute
kein Stein mehr schmückte, einst Angesehene oder Verachtete gebettet wurden?
Die Zeit hatte sie alle gleich gemacht.

Aische Hanums Ruhestätte lag dicht am Wasser im Schatten hundertjähriger
Platanen. Auf dem frischen Grabhügel sproßte junges Gras, in den Blumenbeeten,
die ihn einfaßten, blühten die ersten Tulpen. Ihm zu Häupten war schon die
schlanke Stele aufgerichtet, und darüber hing am Ast eines Baumes eine
schmucklose Laterne, in der jede Nacht die Totenkerze brannte.

Als sich der Bey dem Grabe näherte, erblickte er seinen Diener am Fuß
einer Platane. Omer saß auf einer Baumwurzel, hatte den Kopf in die Hand
gestützt und starrte vor sich hin.

"Was tust du hier zu so früher Stunde, Omer?" sagte Tachfim Bey und
berührte leicht seine Schulter.

"Ich warte auf Aische Harum, Herr, daß sie mich hole und in ihren Dienst
nehme!"

"Sie ist von uns gegangen, Omer, und kommt nicht wieder. Du weißt
es doch, die Toten stehen nicht mehr auf. Ihre Seelen wohnen in einer andern
Welt, und wir dürfen uns nicht merken lassen, wenn wir um sie trauern.
Allah wünscht, daß man sich seinem Willen beugt. Folge mir zurück ins Haus,
damit wir dich pflegen können."

"Nein. Herr, für mich ist kein Platz mehr in deinem Garten. Mein Aug'
ist trübe, und mein Mund wird nicht mehr lachen; ich will allein sein. Verzeihe
deinem DienerI"




Delli Vmer

Auch der Polizeiposten konnte keineAuskunft geben. Zuletzt schoß dem besorgten
Bey ein Gedanke durch den Kopf. Er lenkte seine Schritte zum Friedhof.

Bebels uraltes Gräberfeld, auf dem schon die heldenmütigen Krieger
Muhammeds des Eroberers ruhen, wärmte sich im Glanz der Morgensonne.
Das zarte weiße Nebeltuch, das in feuchten Frühlingsnächten über dieses Totenreich
ausgespannt liegt, wurde von unsichtbaren Händen weggezogen und zerflatterte
zwischen den dunklen Pyramiden der Zypressen. Ein Gewirr zahlloser kleiner
Grabhügel mit aufrechten Steinen und windschiefen Stelen wurde sichtbar.
Des Frühlings bunter Blumenteppich breitete sich liebevoll über die Gräber
Reicher und Armer, noch Betrauerter und längst Vergessener. Hier ruhte ein
berühmter Pascha unter einem reich verzierten Stein, auf dem seine Taten in
goldenen Lettern eingezeichnet waren. Sein roter, in Marmor ausgehauener
Fes verkündigte stolz die Würde seines Herrentums. Die Stelen der Gräber
seiner Lieblingsfrauen schmückten sorgfältig gemeißelte Rankenreliefs blühender
Blumen und Palmen, ein Zeichen für die Nachwelt, daß diese gottgesegneten
Frauen ihrem Gebieter ein starkes Geschlecht von Söhnen und Töchtern geschenkt
hatten. Des armen Mannes Grabstein daneben war von Moos überwuchert
und zur Hälfte in die Erde gesunken. Wem hatte er gedient, was war sein
Schicksal gewesen? Und wer konnte sagen, ob in alle die Gräber, die heute
kein Stein mehr schmückte, einst Angesehene oder Verachtete gebettet wurden?
Die Zeit hatte sie alle gleich gemacht.

Aische Hanums Ruhestätte lag dicht am Wasser im Schatten hundertjähriger
Platanen. Auf dem frischen Grabhügel sproßte junges Gras, in den Blumenbeeten,
die ihn einfaßten, blühten die ersten Tulpen. Ihm zu Häupten war schon die
schlanke Stele aufgerichtet, und darüber hing am Ast eines Baumes eine
schmucklose Laterne, in der jede Nacht die Totenkerze brannte.

Als sich der Bey dem Grabe näherte, erblickte er seinen Diener am Fuß
einer Platane. Omer saß auf einer Baumwurzel, hatte den Kopf in die Hand
gestützt und starrte vor sich hin.

„Was tust du hier zu so früher Stunde, Omer?" sagte Tachfim Bey und
berührte leicht seine Schulter.

„Ich warte auf Aische Harum, Herr, daß sie mich hole und in ihren Dienst
nehme!"

„Sie ist von uns gegangen, Omer, und kommt nicht wieder. Du weißt
es doch, die Toten stehen nicht mehr auf. Ihre Seelen wohnen in einer andern
Welt, und wir dürfen uns nicht merken lassen, wenn wir um sie trauern.
Allah wünscht, daß man sich seinem Willen beugt. Folge mir zurück ins Haus,
damit wir dich pflegen können."

„Nein. Herr, für mich ist kein Platz mehr in deinem Garten. Mein Aug'
ist trübe, und mein Mund wird nicht mehr lachen; ich will allein sein. Verzeihe
deinem DienerI"




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[0422] Delli Vmer Auch der Polizeiposten konnte keineAuskunft geben. Zuletzt schoß dem besorgten Bey ein Gedanke durch den Kopf. Er lenkte seine Schritte zum Friedhof. Bebels uraltes Gräberfeld, auf dem schon die heldenmütigen Krieger Muhammeds des Eroberers ruhen, wärmte sich im Glanz der Morgensonne. Das zarte weiße Nebeltuch, das in feuchten Frühlingsnächten über dieses Totenreich ausgespannt liegt, wurde von unsichtbaren Händen weggezogen und zerflatterte zwischen den dunklen Pyramiden der Zypressen. Ein Gewirr zahlloser kleiner Grabhügel mit aufrechten Steinen und windschiefen Stelen wurde sichtbar. Des Frühlings bunter Blumenteppich breitete sich liebevoll über die Gräber Reicher und Armer, noch Betrauerter und längst Vergessener. Hier ruhte ein berühmter Pascha unter einem reich verzierten Stein, auf dem seine Taten in goldenen Lettern eingezeichnet waren. Sein roter, in Marmor ausgehauener Fes verkündigte stolz die Würde seines Herrentums. Die Stelen der Gräber seiner Lieblingsfrauen schmückten sorgfältig gemeißelte Rankenreliefs blühender Blumen und Palmen, ein Zeichen für die Nachwelt, daß diese gottgesegneten Frauen ihrem Gebieter ein starkes Geschlecht von Söhnen und Töchtern geschenkt hatten. Des armen Mannes Grabstein daneben war von Moos überwuchert und zur Hälfte in die Erde gesunken. Wem hatte er gedient, was war sein Schicksal gewesen? Und wer konnte sagen, ob in alle die Gräber, die heute kein Stein mehr schmückte, einst Angesehene oder Verachtete gebettet wurden? Die Zeit hatte sie alle gleich gemacht. Aische Hanums Ruhestätte lag dicht am Wasser im Schatten hundertjähriger Platanen. Auf dem frischen Grabhügel sproßte junges Gras, in den Blumenbeeten, die ihn einfaßten, blühten die ersten Tulpen. Ihm zu Häupten war schon die schlanke Stele aufgerichtet, und darüber hing am Ast eines Baumes eine schmucklose Laterne, in der jede Nacht die Totenkerze brannte. Als sich der Bey dem Grabe näherte, erblickte er seinen Diener am Fuß einer Platane. Omer saß auf einer Baumwurzel, hatte den Kopf in die Hand gestützt und starrte vor sich hin. „Was tust du hier zu so früher Stunde, Omer?" sagte Tachfim Bey und berührte leicht seine Schulter. „Ich warte auf Aische Harum, Herr, daß sie mich hole und in ihren Dienst nehme!" „Sie ist von uns gegangen, Omer, und kommt nicht wieder. Du weißt es doch, die Toten stehen nicht mehr auf. Ihre Seelen wohnen in einer andern Welt, und wir dürfen uns nicht merken lassen, wenn wir um sie trauern. Allah wünscht, daß man sich seinem Willen beugt. Folge mir zurück ins Haus, damit wir dich pflegen können." „Nein. Herr, für mich ist kein Platz mehr in deinem Garten. Mein Aug' ist trübe, und mein Mund wird nicht mehr lachen; ich will allein sein. Verzeihe deinem DienerI"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/422>, abgerufen am 23.07.2024.