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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Vmcr

war, kletterte er oft im Übermut auf eines der Pferde, streichelte ihm die Mähne,
gab ihm die "Sporen" und ließ es tüchtig "traben".

Im Dall wohnten zwei Frauen, Nische Harum, Tachsim Beys Mutter,
und Hattidsche Harum, seine Frau. Letztere sah Omer nur selten und stets
verschleiert. Aber Nische Harum kam oft in den Garten hinunter, um sich
unter den Magnolienbaum zu setzen, und versäumte es nie, den fröhlichen
Burschen anzureden. Sie ging unverschleiert, und Omer sah ihr gern in die
gütigen Augen. Er gewöhnte sich so sehr an ihre täglichen Besuche, daß ihm
etwas fehlte, wenn sie ausblieb.

"Lebt deine Mutter noch?" fragte Aische einmal, als Omer damit beschäftigt
war, seine Tiere zu putzen. Er stutzte; vor ihm wurde das Bild einer Frau
lebendig, die vor langer Zeit ihn gepflegt hatte, als er an den Pocken er¬
krankt war.

"Nein, Harum Effendi, sie liegt in Jsnik unter den alten Zypressen und
schläft. Aber du hast ihre Stimme, Harum Effendi!"

Nach diesem unvergeßlichen Tag sah er die alte gebeugte Frau stets mit
zärtlichen Blicken an, wenn sie in den Garten kam, und ruhte nicht, bis sie ihm
versprochen hatte, daß er ihr jeden Tag einen kleinen Dienst erweisen dürste.

"Laß mich einmal nachdenken", sprach Aische Harum, -- "du kannst mir
jeden Abend den Joghurt (geronnene Milch) auf dem Tscharschi (Marktplatz)
holen, willst du?"

Omer strahlte vor Freude. "Du sollst immer den besten Joghurt haben,
den ich finden kann, Harum Effendi!"

Jetzt sah man ihn stets bei Sonnenuntergang mit wichtiger Miene über
den Marktplatz von Bebe! schreiten. Bei David, dem Spaniolen, blieb er einen
Augenblick stehen, half ihm mit dem Zusammenpacken seiner Geräte und trat
dann beim Uoghurtdschi ein, um die geronnene Milch für seine Herrin zu kaufen.

Hin und wieder begegnete er einem der Hamals. "Delli Omer, komm'
doch wieder zu uns", bat Achmed einmal, "seit du fort bist, ist's still im
Kaffeehaus geworden. Keiner kann so lachen wie du. Denk' dir, unser Väterchen
Haut läßt sich jetzt zwanzig Para für seine Briefe geben; ist er nicht ein
Schurke?"

"Das geschieht euch recht", lachte Omer, "warum wäret ihr so dumm, mich
bei euch herauszubeißen. Du kannst deinen Freunden meine Salams (Grüße)
bringen und ihnen sagen, daß es dem Jsniker jetzt noch besser geht als damals
im ,weißen Haus', hörst du?"




Omer hatte sich nie um die hohe Politik gekümmert. Eines Abends hörte
er, es gebe Krieg. Die Leute auf dem Tscharschi steckten die Köpfe zusammen
und machten ängstliche Gesichter. Aber der Jsniker pfiff sich ein Lied und ging
ruhig in den Daii zurück. Was ging ihn den Krieg an? Er war ja noch
nicht einmal Soldat gewesen.


Delli Vmcr

war, kletterte er oft im Übermut auf eines der Pferde, streichelte ihm die Mähne,
gab ihm die „Sporen" und ließ es tüchtig „traben".

Im Dall wohnten zwei Frauen, Nische Harum, Tachsim Beys Mutter,
und Hattidsche Harum, seine Frau. Letztere sah Omer nur selten und stets
verschleiert. Aber Nische Harum kam oft in den Garten hinunter, um sich
unter den Magnolienbaum zu setzen, und versäumte es nie, den fröhlichen
Burschen anzureden. Sie ging unverschleiert, und Omer sah ihr gern in die
gütigen Augen. Er gewöhnte sich so sehr an ihre täglichen Besuche, daß ihm
etwas fehlte, wenn sie ausblieb.

„Lebt deine Mutter noch?" fragte Aische einmal, als Omer damit beschäftigt
war, seine Tiere zu putzen. Er stutzte; vor ihm wurde das Bild einer Frau
lebendig, die vor langer Zeit ihn gepflegt hatte, als er an den Pocken er¬
krankt war.

„Nein, Harum Effendi, sie liegt in Jsnik unter den alten Zypressen und
schläft. Aber du hast ihre Stimme, Harum Effendi!"

Nach diesem unvergeßlichen Tag sah er die alte gebeugte Frau stets mit
zärtlichen Blicken an, wenn sie in den Garten kam, und ruhte nicht, bis sie ihm
versprochen hatte, daß er ihr jeden Tag einen kleinen Dienst erweisen dürste.

„Laß mich einmal nachdenken", sprach Aische Harum, — „du kannst mir
jeden Abend den Joghurt (geronnene Milch) auf dem Tscharschi (Marktplatz)
holen, willst du?"

Omer strahlte vor Freude. „Du sollst immer den besten Joghurt haben,
den ich finden kann, Harum Effendi!"

Jetzt sah man ihn stets bei Sonnenuntergang mit wichtiger Miene über
den Marktplatz von Bebe! schreiten. Bei David, dem Spaniolen, blieb er einen
Augenblick stehen, half ihm mit dem Zusammenpacken seiner Geräte und trat
dann beim Uoghurtdschi ein, um die geronnene Milch für seine Herrin zu kaufen.

Hin und wieder begegnete er einem der Hamals. „Delli Omer, komm'
doch wieder zu uns", bat Achmed einmal, „seit du fort bist, ist's still im
Kaffeehaus geworden. Keiner kann so lachen wie du. Denk' dir, unser Väterchen
Haut läßt sich jetzt zwanzig Para für seine Briefe geben; ist er nicht ein
Schurke?"

„Das geschieht euch recht", lachte Omer, „warum wäret ihr so dumm, mich
bei euch herauszubeißen. Du kannst deinen Freunden meine Salams (Grüße)
bringen und ihnen sagen, daß es dem Jsniker jetzt noch besser geht als damals
im ,weißen Haus', hörst du?"




Omer hatte sich nie um die hohe Politik gekümmert. Eines Abends hörte
er, es gebe Krieg. Die Leute auf dem Tscharschi steckten die Köpfe zusammen
und machten ängstliche Gesichter. Aber der Jsniker pfiff sich ein Lied und ging
ruhig in den Daii zurück. Was ging ihn den Krieg an? Er war ja noch
nicht einmal Soldat gewesen.


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[0418] Delli Vmcr war, kletterte er oft im Übermut auf eines der Pferde, streichelte ihm die Mähne, gab ihm die „Sporen" und ließ es tüchtig „traben". Im Dall wohnten zwei Frauen, Nische Harum, Tachsim Beys Mutter, und Hattidsche Harum, seine Frau. Letztere sah Omer nur selten und stets verschleiert. Aber Nische Harum kam oft in den Garten hinunter, um sich unter den Magnolienbaum zu setzen, und versäumte es nie, den fröhlichen Burschen anzureden. Sie ging unverschleiert, und Omer sah ihr gern in die gütigen Augen. Er gewöhnte sich so sehr an ihre täglichen Besuche, daß ihm etwas fehlte, wenn sie ausblieb. „Lebt deine Mutter noch?" fragte Aische einmal, als Omer damit beschäftigt war, seine Tiere zu putzen. Er stutzte; vor ihm wurde das Bild einer Frau lebendig, die vor langer Zeit ihn gepflegt hatte, als er an den Pocken er¬ krankt war. „Nein, Harum Effendi, sie liegt in Jsnik unter den alten Zypressen und schläft. Aber du hast ihre Stimme, Harum Effendi!" Nach diesem unvergeßlichen Tag sah er die alte gebeugte Frau stets mit zärtlichen Blicken an, wenn sie in den Garten kam, und ruhte nicht, bis sie ihm versprochen hatte, daß er ihr jeden Tag einen kleinen Dienst erweisen dürste. „Laß mich einmal nachdenken", sprach Aische Harum, — „du kannst mir jeden Abend den Joghurt (geronnene Milch) auf dem Tscharschi (Marktplatz) holen, willst du?" Omer strahlte vor Freude. „Du sollst immer den besten Joghurt haben, den ich finden kann, Harum Effendi!" Jetzt sah man ihn stets bei Sonnenuntergang mit wichtiger Miene über den Marktplatz von Bebe! schreiten. Bei David, dem Spaniolen, blieb er einen Augenblick stehen, half ihm mit dem Zusammenpacken seiner Geräte und trat dann beim Uoghurtdschi ein, um die geronnene Milch für seine Herrin zu kaufen. Hin und wieder begegnete er einem der Hamals. „Delli Omer, komm' doch wieder zu uns", bat Achmed einmal, „seit du fort bist, ist's still im Kaffeehaus geworden. Keiner kann so lachen wie du. Denk' dir, unser Väterchen Haut läßt sich jetzt zwanzig Para für seine Briefe geben; ist er nicht ein Schurke?" „Das geschieht euch recht", lachte Omer, „warum wäret ihr so dumm, mich bei euch herauszubeißen. Du kannst deinen Freunden meine Salams (Grüße) bringen und ihnen sagen, daß es dem Jsniker jetzt noch besser geht als damals im ,weißen Haus', hörst du?" Omer hatte sich nie um die hohe Politik gekümmert. Eines Abends hörte er, es gebe Krieg. Die Leute auf dem Tscharschi steckten die Köpfe zusammen und machten ängstliche Gesichter. Aber der Jsniker pfiff sich ein Lied und ging ruhig in den Daii zurück. Was ging ihn den Krieg an? Er war ja noch nicht einmal Soldat gewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/418>, abgerufen am 23.07.2024.