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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Omer

nicht wie in Jsnik stets im Hause, sondern gingen bei Wind und Regen drunten
am Bosporus spazieren und prügelten sich sogar auf der Straße.

An einem dieser stürmischen Märztage lagen die Hamals faul im Kaffee¬
haus herum. Keiner wagte sich hinaus. Da klopfte es an die Tür. und
Schneider Harum steckte ihren Kopf herein. "Ein Hauat soll mir helfen,
meinen Kleinen nach Hause zu tragen!" Niemand rührte sich. Als Omer sah,
daß es die Frau vom "weißen Haus" war, sprang er auf und ging ihr
nach. Sie hatte ein Mädchen an einer Hand und einen pausbäckigen Jungen,
der jämmerlich schrie, an der andern.

"So, das ist recht," sagte Schneider Harum mit freundlicher Stimme,
"lade dir diesen Trotzkopf auf die Schultern, er will nicht mehr laufen!"

Omer griff herzhaft zu; der Kleine hörte gleich auf zu weinen.

"Wie heißt du?" fragte die blonde Frau im Weitergehen.

"Omer! und bin der Sohn des Hamalbaschi Hussein aus Jsnik", ant¬
wortete der Bursche.

"Wie sich das trifft!" rief Schneider Harum, "deinen Vater kenne ich
gut, er hat mich auch, als ich ein kleines Mädchen war, so den Berg hinauf¬
getragen. Du sullst also seinen Platz jetzt hier aus!"

"Gewiß, Madam! Hussein, mein Vater, hat mir nämlich gesagt, immer,
wenn mich eine "fränkische" Harum anreden sollte, müßte ich Madam
sagen!"

"Höre, Omer, ich mache dir einen Vorschlag", sagte lachend die junge
Frau. "Hättest du nicht Lust, bei mir im "weißen Haus" Bekdschi (Nacht¬
wächter) zu werden? Mein Effendi ist manchmal verreist oder kommt spät
aus Stambul heim. Dann ist es oft gar einsam da oben. Du hast nur
dein Bündel und die Matratze mitzubringen. Wir geben dir ein richtiges
Zimmer neben der Haustür, in das du dich nachts schlafen legen kannst.
Dafür bekommst du jeden Morgen ein warmes Frühstück und am Ende des
Monats einen Medschidieh dazu. Willst du. Omer?"

"Wenn mich die Madam brauchen kann, Omer kommt gern!"

"Also noch heute ziehst du zu uns, nicht wahr?"

"Gewiß, Madam, und schönen Dank auch!"

Behutsam setzte er vor dem "weißen Haus" den Jungen wieder auf seine
Füße, sah, wie Schneider Harum ihm lächelnd ein blankes Zweipiasterstück zu¬
steckte, dann war sie verschwunden.

"Wie schnell man doch zu Glück und Geld kommt!" dachte Omer und tat
die Münze in seinen Brustbeutel.

Als er am Abend im Kaffeehaus sein neuestes Erlebnis zum besten gab,
wollte ihm niemand recht glauben. "Delli Omer. du bist ein Narr und willst
uns nur den Mund wässrig machen", rief Achmed. "Glaubst du, daß die
"Franken" einen armen Hauat ins Haus nehmen? So etwas ist noch nie
hier vorgekommen!"


Grenzboten IV 1916 ' 20
Delli Omer

nicht wie in Jsnik stets im Hause, sondern gingen bei Wind und Regen drunten
am Bosporus spazieren und prügelten sich sogar auf der Straße.

An einem dieser stürmischen Märztage lagen die Hamals faul im Kaffee¬
haus herum. Keiner wagte sich hinaus. Da klopfte es an die Tür. und
Schneider Harum steckte ihren Kopf herein. „Ein Hauat soll mir helfen,
meinen Kleinen nach Hause zu tragen!" Niemand rührte sich. Als Omer sah,
daß es die Frau vom „weißen Haus" war, sprang er auf und ging ihr
nach. Sie hatte ein Mädchen an einer Hand und einen pausbäckigen Jungen,
der jämmerlich schrie, an der andern.

„So, das ist recht," sagte Schneider Harum mit freundlicher Stimme,
„lade dir diesen Trotzkopf auf die Schultern, er will nicht mehr laufen!"

Omer griff herzhaft zu; der Kleine hörte gleich auf zu weinen.

„Wie heißt du?" fragte die blonde Frau im Weitergehen.

„Omer! und bin der Sohn des Hamalbaschi Hussein aus Jsnik", ant¬
wortete der Bursche.

„Wie sich das trifft!" rief Schneider Harum, „deinen Vater kenne ich
gut, er hat mich auch, als ich ein kleines Mädchen war, so den Berg hinauf¬
getragen. Du sullst also seinen Platz jetzt hier aus!"

„Gewiß, Madam! Hussein, mein Vater, hat mir nämlich gesagt, immer,
wenn mich eine „fränkische" Harum anreden sollte, müßte ich Madam
sagen!"

„Höre, Omer, ich mache dir einen Vorschlag", sagte lachend die junge
Frau. „Hättest du nicht Lust, bei mir im „weißen Haus" Bekdschi (Nacht¬
wächter) zu werden? Mein Effendi ist manchmal verreist oder kommt spät
aus Stambul heim. Dann ist es oft gar einsam da oben. Du hast nur
dein Bündel und die Matratze mitzubringen. Wir geben dir ein richtiges
Zimmer neben der Haustür, in das du dich nachts schlafen legen kannst.
Dafür bekommst du jeden Morgen ein warmes Frühstück und am Ende des
Monats einen Medschidieh dazu. Willst du. Omer?"

„Wenn mich die Madam brauchen kann, Omer kommt gern!"

„Also noch heute ziehst du zu uns, nicht wahr?"

„Gewiß, Madam, und schönen Dank auch!"

Behutsam setzte er vor dem „weißen Haus" den Jungen wieder auf seine
Füße, sah, wie Schneider Harum ihm lächelnd ein blankes Zweipiasterstück zu¬
steckte, dann war sie verschwunden.

„Wie schnell man doch zu Glück und Geld kommt!" dachte Omer und tat
die Münze in seinen Brustbeutel.

Als er am Abend im Kaffeehaus sein neuestes Erlebnis zum besten gab,
wollte ihm niemand recht glauben. „Delli Omer. du bist ein Narr und willst
uns nur den Mund wässrig machen", rief Achmed. „Glaubst du, daß die
„Franken" einen armen Hauat ins Haus nehmen? So etwas ist noch nie
hier vorgekommen!"


Grenzboten IV 1916 ' 20
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[0413] Delli Omer nicht wie in Jsnik stets im Hause, sondern gingen bei Wind und Regen drunten am Bosporus spazieren und prügelten sich sogar auf der Straße. An einem dieser stürmischen Märztage lagen die Hamals faul im Kaffee¬ haus herum. Keiner wagte sich hinaus. Da klopfte es an die Tür. und Schneider Harum steckte ihren Kopf herein. „Ein Hauat soll mir helfen, meinen Kleinen nach Hause zu tragen!" Niemand rührte sich. Als Omer sah, daß es die Frau vom „weißen Haus" war, sprang er auf und ging ihr nach. Sie hatte ein Mädchen an einer Hand und einen pausbäckigen Jungen, der jämmerlich schrie, an der andern. „So, das ist recht," sagte Schneider Harum mit freundlicher Stimme, „lade dir diesen Trotzkopf auf die Schultern, er will nicht mehr laufen!" Omer griff herzhaft zu; der Kleine hörte gleich auf zu weinen. „Wie heißt du?" fragte die blonde Frau im Weitergehen. „Omer! und bin der Sohn des Hamalbaschi Hussein aus Jsnik", ant¬ wortete der Bursche. „Wie sich das trifft!" rief Schneider Harum, „deinen Vater kenne ich gut, er hat mich auch, als ich ein kleines Mädchen war, so den Berg hinauf¬ getragen. Du sullst also seinen Platz jetzt hier aus!" „Gewiß, Madam! Hussein, mein Vater, hat mir nämlich gesagt, immer, wenn mich eine „fränkische" Harum anreden sollte, müßte ich Madam sagen!" „Höre, Omer, ich mache dir einen Vorschlag", sagte lachend die junge Frau. „Hättest du nicht Lust, bei mir im „weißen Haus" Bekdschi (Nacht¬ wächter) zu werden? Mein Effendi ist manchmal verreist oder kommt spät aus Stambul heim. Dann ist es oft gar einsam da oben. Du hast nur dein Bündel und die Matratze mitzubringen. Wir geben dir ein richtiges Zimmer neben der Haustür, in das du dich nachts schlafen legen kannst. Dafür bekommst du jeden Morgen ein warmes Frühstück und am Ende des Monats einen Medschidieh dazu. Willst du. Omer?" „Wenn mich die Madam brauchen kann, Omer kommt gern!" „Also noch heute ziehst du zu uns, nicht wahr?" „Gewiß, Madam, und schönen Dank auch!" Behutsam setzte er vor dem „weißen Haus" den Jungen wieder auf seine Füße, sah, wie Schneider Harum ihm lächelnd ein blankes Zweipiasterstück zu¬ steckte, dann war sie verschwunden. „Wie schnell man doch zu Glück und Geld kommt!" dachte Omer und tat die Münze in seinen Brustbeutel. Als er am Abend im Kaffeehaus sein neuestes Erlebnis zum besten gab, wollte ihm niemand recht glauben. „Delli Omer. du bist ein Narr und willst uns nur den Mund wässrig machen", rief Achmed. „Glaubst du, daß die „Franken" einen armen Hauat ins Haus nehmen? So etwas ist noch nie hier vorgekommen!" Grenzboten IV 1916 ' 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/413>, abgerufen am 23.07.2024.