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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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vetu Omer

"Zwei auf einmal, wenn es sein muß," erwiderte Omer und krümmte
den breiten Rücken.

"Gut, wir werden ja sehen! Um neun Uhr kommst du zum Segelhafen,
dort gibt's Säcke abzuladen."

"Neun Uhr türkisch oder .fränkisch'?" fragte Omer wichtig und brachte seine
große Taschenuhr zum Vorschein.

"So, du bist auch einer von den ganz klugen," lachte Hassan, "steck' das
Ding nur wieder ein, unsere Zeit bestimmt Haut Effendi, wenn er auf dem
Minarete das Gebet ausruft. Die Uhr hat dir ein Armenier in Stambul auf¬
geschwatzt; wir kennen das, mein Lämmchen! In ein paar Tagen steht sie so
still wie ein Stein!"

Als Omer sich am Hafen einfand, mußte er manchen spöttischen Blick aus¬
halten. Es war allen Lastträgern schon bekannt, daß er des alten Fuchses
Hussein Sohn war, der ihnen oft das Leben sauer gemacht hatte, und auf
manchem Gesicht malte sich die Schadenfreude. "Der Schwächling soll uns
noch kennen lernen!" dachten sie.

Um so größer war das Erstaunen, als Omer sich gleich zwei Säcke auf
die Trage schieben ließ und vorsichtig den gebeugten Rücken hob, bis er die
Last im Gleichgewicht hatte. Mit kurzen trippelnden Schritten setzte er sich in
Bewegung.

"Der macht's ja ganz anders als wir," brummten die älteren Kameraden,
"wo er das nur her hat!" Und gleich stieg der Neuling in ihrer Achtung.
Aber bald fingen sie an, sich wieder über ihn zu ärgern, da er viel schneller
schaffte als sie und sich vom Hamalbaschi keine Grobheiten einzustecken brauchte.

Abends saßen die Lastträger einträchtig bei der qualmenden Lampe im
Kaffeehaus beisammen. Man vergaß der sauren Arbeit des Tages und machte
sich keine Gedanken darüber, was der kommende Morgen bringen würde.

Nachdem Omer einen halben Laib Brot und ein paar Oliven verzehrt
harte, kratzte er die Krümchen auf dem Tisch vorsichtig zusammen, schüttete sie
in den Mund, zog eine Postkarte und einen Bleistift aus seiner Leibbinde und
fing an zu schreiben.

"Oho. der kann ja fast so viel wie unser Imam (Priester)!" tönte es aus
allen Ecken, und bald sah er sich von einem Kreis Neugieriger umringt.

"Hast du das in Jsnik gelernt?" fragte wohlwollend Hassan.

"Ja, beim guten Scheich Tewfik," erwiderte stolz der Gefragte, "dafür
bin ich zwei Jahre lang sein Wasserträger gewesen."

"Da. steck' dir eine Zigarette an, du bist ein Hauptkerl!" lobte ihn Hassan.

"Danke schön, Hassan Effendi, ich rauche nicht; das macht den Hals nur
trocken."

"Omer ist delli" (verrückt), rief der alte Achmed von seiner Bank herüber,
"Freunde, habt ihr schon so etwas erlebt? Er raucht nicht, kann schreiben, und
vielleicht auch die Zeitung lesen, he?"


vetu Omer

„Zwei auf einmal, wenn es sein muß," erwiderte Omer und krümmte
den breiten Rücken.

„Gut, wir werden ja sehen! Um neun Uhr kommst du zum Segelhafen,
dort gibt's Säcke abzuladen."

„Neun Uhr türkisch oder .fränkisch'?" fragte Omer wichtig und brachte seine
große Taschenuhr zum Vorschein.

„So, du bist auch einer von den ganz klugen," lachte Hassan, „steck' das
Ding nur wieder ein, unsere Zeit bestimmt Haut Effendi, wenn er auf dem
Minarete das Gebet ausruft. Die Uhr hat dir ein Armenier in Stambul auf¬
geschwatzt; wir kennen das, mein Lämmchen! In ein paar Tagen steht sie so
still wie ein Stein!"

Als Omer sich am Hafen einfand, mußte er manchen spöttischen Blick aus¬
halten. Es war allen Lastträgern schon bekannt, daß er des alten Fuchses
Hussein Sohn war, der ihnen oft das Leben sauer gemacht hatte, und auf
manchem Gesicht malte sich die Schadenfreude. „Der Schwächling soll uns
noch kennen lernen!" dachten sie.

Um so größer war das Erstaunen, als Omer sich gleich zwei Säcke auf
die Trage schieben ließ und vorsichtig den gebeugten Rücken hob, bis er die
Last im Gleichgewicht hatte. Mit kurzen trippelnden Schritten setzte er sich in
Bewegung.

„Der macht's ja ganz anders als wir," brummten die älteren Kameraden,
„wo er das nur her hat!" Und gleich stieg der Neuling in ihrer Achtung.
Aber bald fingen sie an, sich wieder über ihn zu ärgern, da er viel schneller
schaffte als sie und sich vom Hamalbaschi keine Grobheiten einzustecken brauchte.

Abends saßen die Lastträger einträchtig bei der qualmenden Lampe im
Kaffeehaus beisammen. Man vergaß der sauren Arbeit des Tages und machte
sich keine Gedanken darüber, was der kommende Morgen bringen würde.

Nachdem Omer einen halben Laib Brot und ein paar Oliven verzehrt
harte, kratzte er die Krümchen auf dem Tisch vorsichtig zusammen, schüttete sie
in den Mund, zog eine Postkarte und einen Bleistift aus seiner Leibbinde und
fing an zu schreiben.

„Oho. der kann ja fast so viel wie unser Imam (Priester)!" tönte es aus
allen Ecken, und bald sah er sich von einem Kreis Neugieriger umringt.

„Hast du das in Jsnik gelernt?" fragte wohlwollend Hassan.

„Ja, beim guten Scheich Tewfik," erwiderte stolz der Gefragte, „dafür
bin ich zwei Jahre lang sein Wasserträger gewesen."

„Da. steck' dir eine Zigarette an, du bist ein Hauptkerl!" lobte ihn Hassan.

„Danke schön, Hassan Effendi, ich rauche nicht; das macht den Hals nur
trocken."

„Omer ist delli" (verrückt), rief der alte Achmed von seiner Bank herüber,
„Freunde, habt ihr schon so etwas erlebt? Er raucht nicht, kann schreiben, und
vielleicht auch die Zeitung lesen, he?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/410>, abgerufen am 23.07.2024.