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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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ZVeltweizcnversorgung im Wirtschaftsjahre 59^6/^7

nicht eingetreten, so daß auch hier die gleiche Bedarfsziffer wie 1915/16 in
Betracht kommt. Einige hunderttausend Tonnen mehr oder weniger spielen bei
der Beurteilung der Sachlage ja keine Rolle.

Bemerkt sei noch, daß auch die Welternte an Futtergetreide erheblich
schlechter als im Vorjahr ausgefallen ist, ja, wenn man genauer hinsieht, ist
das Ernteminus an Mais, Hafer, Gerste und Roggen zusammengenommen
noch größer als das Weizenminder. Das ist von erheblicher Bedeutung, weil
eine Surrogatwirtschaft wie in Deutschland, eine Streckung von Brot etwa
durch Mais, auf die Dauer kaum möglich sein wird.

Ich will nun versuchen, unter Würdigung aller in Frage kommenden Tat¬
sachen, Möglichkeiten und Verschiebungen in vorsichtiger Weise eine Weizenbilanz
aufzustellen, die rekonstruiert auf den 1. August 1916 aufzufassen ist. Her¬
vorgehoben sei, daß eine solche Aufstellung nur einen Annäherungswert be¬
anspruchen darf. Alle Ernteziffern beruhen immerhin durchweg auf Schätzungen,
die zurückzuführen sind auf Stichproben, Rundfragen usw. In noch höherem
Maße gilt dies von den Vorräten, von denen nur sichtbare Teile in Lager¬
häusern, bei Müllern und Händlern kontrollierbar sind, während die in erster
Hand (bei Landwirten) befindlichen sich der genauen Erfassung entziehen.
Weiterhin kommt in Betracht, daß der Verbrauch sowohl im Ausfuhr- als
auch im Einfuhrlande und demgemäß der Ausfuhrüberschuß bzw. der Bedarf
schwankende Größen sind, die durch den jeweiligen Preisstand entsprechend
beeinflußt werden. Die Dinge entwickeln sich nicht etwa so, daß von dem
vorhandenen Ecntevorrat zunächst der heimische Bedarf abgezweigt, und was
dann übrig bleibt, über die Grenze gesandt wird, sondern der eigene Konsum
ist selbst abhängig von der Preisentwicklung, und dementsprechend größer oder
kleiner gestaltet sich der Umfang der Ausfuhr, wobei daran erinnert werden
darf, daß kein Ausfuhrland seine letzten Reserven, namentlich nach einer un¬
günstigen Ernte, herauszugeben pflegt, weil es sonst bei einem demnächst
folgenden etwa wieder schlechten Ausfall selbst dem Mangel ausgesetzt wäre.

Auch die Verschiffungszahlen sind im Kriege nicht von absoluter Zu¬
verlässigkeit, z. B. bleiben die englischen Regierungskäufe und -- Ankünfte ge¬
heim, und werden seit einiger Zeit die kanadischen Verladungsziffern nicht be¬
kannt gegeben, sind also schätzungsweise zu verstehen (siehe nachstehende Tabelle).

Das Defizit beträgt also 4,9 Millionen Tonnen.

Professor v. Waltershausen scheint von der Ansicht auszugehen, daß der hohe
amerikanische Preisstand (28. Oktober Dezemberweizen in Chicago 189^ Cents)
sich dauernd aufrecht erhalten wird. Das ist allerdings nicht der Fall gewesen.
Bei Niederschrift dieses ist vielmehr der Dezemberpreis um nicht weniger als
35 Cents gleich 50 Mark die Tonne gesunken. Da die Entwicklung der jungen
Saaten nach den letzten Nachrichten keineswegs vorteilhaft ist, der Durch¬
schnittstand als ungünstiger gegenüber dem Vorjahr bezeichnet wird, müssen
hier gewichtige Gründe wirksam gewesen sein. Obwohl die englischen Zeitungen


ZVeltweizcnversorgung im Wirtschaftsjahre 59^6/^7

nicht eingetreten, so daß auch hier die gleiche Bedarfsziffer wie 1915/16 in
Betracht kommt. Einige hunderttausend Tonnen mehr oder weniger spielen bei
der Beurteilung der Sachlage ja keine Rolle.

Bemerkt sei noch, daß auch die Welternte an Futtergetreide erheblich
schlechter als im Vorjahr ausgefallen ist, ja, wenn man genauer hinsieht, ist
das Ernteminus an Mais, Hafer, Gerste und Roggen zusammengenommen
noch größer als das Weizenminder. Das ist von erheblicher Bedeutung, weil
eine Surrogatwirtschaft wie in Deutschland, eine Streckung von Brot etwa
durch Mais, auf die Dauer kaum möglich sein wird.

Ich will nun versuchen, unter Würdigung aller in Frage kommenden Tat¬
sachen, Möglichkeiten und Verschiebungen in vorsichtiger Weise eine Weizenbilanz
aufzustellen, die rekonstruiert auf den 1. August 1916 aufzufassen ist. Her¬
vorgehoben sei, daß eine solche Aufstellung nur einen Annäherungswert be¬
anspruchen darf. Alle Ernteziffern beruhen immerhin durchweg auf Schätzungen,
die zurückzuführen sind auf Stichproben, Rundfragen usw. In noch höherem
Maße gilt dies von den Vorräten, von denen nur sichtbare Teile in Lager¬
häusern, bei Müllern und Händlern kontrollierbar sind, während die in erster
Hand (bei Landwirten) befindlichen sich der genauen Erfassung entziehen.
Weiterhin kommt in Betracht, daß der Verbrauch sowohl im Ausfuhr- als
auch im Einfuhrlande und demgemäß der Ausfuhrüberschuß bzw. der Bedarf
schwankende Größen sind, die durch den jeweiligen Preisstand entsprechend
beeinflußt werden. Die Dinge entwickeln sich nicht etwa so, daß von dem
vorhandenen Ecntevorrat zunächst der heimische Bedarf abgezweigt, und was
dann übrig bleibt, über die Grenze gesandt wird, sondern der eigene Konsum
ist selbst abhängig von der Preisentwicklung, und dementsprechend größer oder
kleiner gestaltet sich der Umfang der Ausfuhr, wobei daran erinnert werden
darf, daß kein Ausfuhrland seine letzten Reserven, namentlich nach einer un¬
günstigen Ernte, herauszugeben pflegt, weil es sonst bei einem demnächst
folgenden etwa wieder schlechten Ausfall selbst dem Mangel ausgesetzt wäre.

Auch die Verschiffungszahlen sind im Kriege nicht von absoluter Zu¬
verlässigkeit, z. B. bleiben die englischen Regierungskäufe und — Ankünfte ge¬
heim, und werden seit einiger Zeit die kanadischen Verladungsziffern nicht be¬
kannt gegeben, sind also schätzungsweise zu verstehen (siehe nachstehende Tabelle).

Das Defizit beträgt also 4,9 Millionen Tonnen.

Professor v. Waltershausen scheint von der Ansicht auszugehen, daß der hohe
amerikanische Preisstand (28. Oktober Dezemberweizen in Chicago 189^ Cents)
sich dauernd aufrecht erhalten wird. Das ist allerdings nicht der Fall gewesen.
Bei Niederschrift dieses ist vielmehr der Dezemberpreis um nicht weniger als
35 Cents gleich 50 Mark die Tonne gesunken. Da die Entwicklung der jungen
Saaten nach den letzten Nachrichten keineswegs vorteilhaft ist, der Durch¬
schnittstand als ungünstiger gegenüber dem Vorjahr bezeichnet wird, müssen
hier gewichtige Gründe wirksam gewesen sein. Obwohl die englischen Zeitungen


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[0406] ZVeltweizcnversorgung im Wirtschaftsjahre 59^6/^7 nicht eingetreten, so daß auch hier die gleiche Bedarfsziffer wie 1915/16 in Betracht kommt. Einige hunderttausend Tonnen mehr oder weniger spielen bei der Beurteilung der Sachlage ja keine Rolle. Bemerkt sei noch, daß auch die Welternte an Futtergetreide erheblich schlechter als im Vorjahr ausgefallen ist, ja, wenn man genauer hinsieht, ist das Ernteminus an Mais, Hafer, Gerste und Roggen zusammengenommen noch größer als das Weizenminder. Das ist von erheblicher Bedeutung, weil eine Surrogatwirtschaft wie in Deutschland, eine Streckung von Brot etwa durch Mais, auf die Dauer kaum möglich sein wird. Ich will nun versuchen, unter Würdigung aller in Frage kommenden Tat¬ sachen, Möglichkeiten und Verschiebungen in vorsichtiger Weise eine Weizenbilanz aufzustellen, die rekonstruiert auf den 1. August 1916 aufzufassen ist. Her¬ vorgehoben sei, daß eine solche Aufstellung nur einen Annäherungswert be¬ anspruchen darf. Alle Ernteziffern beruhen immerhin durchweg auf Schätzungen, die zurückzuführen sind auf Stichproben, Rundfragen usw. In noch höherem Maße gilt dies von den Vorräten, von denen nur sichtbare Teile in Lager¬ häusern, bei Müllern und Händlern kontrollierbar sind, während die in erster Hand (bei Landwirten) befindlichen sich der genauen Erfassung entziehen. Weiterhin kommt in Betracht, daß der Verbrauch sowohl im Ausfuhr- als auch im Einfuhrlande und demgemäß der Ausfuhrüberschuß bzw. der Bedarf schwankende Größen sind, die durch den jeweiligen Preisstand entsprechend beeinflußt werden. Die Dinge entwickeln sich nicht etwa so, daß von dem vorhandenen Ecntevorrat zunächst der heimische Bedarf abgezweigt, und was dann übrig bleibt, über die Grenze gesandt wird, sondern der eigene Konsum ist selbst abhängig von der Preisentwicklung, und dementsprechend größer oder kleiner gestaltet sich der Umfang der Ausfuhr, wobei daran erinnert werden darf, daß kein Ausfuhrland seine letzten Reserven, namentlich nach einer un¬ günstigen Ernte, herauszugeben pflegt, weil es sonst bei einem demnächst folgenden etwa wieder schlechten Ausfall selbst dem Mangel ausgesetzt wäre. Auch die Verschiffungszahlen sind im Kriege nicht von absoluter Zu¬ verlässigkeit, z. B. bleiben die englischen Regierungskäufe und — Ankünfte ge¬ heim, und werden seit einiger Zeit die kanadischen Verladungsziffern nicht be¬ kannt gegeben, sind also schätzungsweise zu verstehen (siehe nachstehende Tabelle). Das Defizit beträgt also 4,9 Millionen Tonnen. Professor v. Waltershausen scheint von der Ansicht auszugehen, daß der hohe amerikanische Preisstand (28. Oktober Dezemberweizen in Chicago 189^ Cents) sich dauernd aufrecht erhalten wird. Das ist allerdings nicht der Fall gewesen. Bei Niederschrift dieses ist vielmehr der Dezemberpreis um nicht weniger als 35 Cents gleich 50 Mark die Tonne gesunken. Da die Entwicklung der jungen Saaten nach den letzten Nachrichten keineswegs vorteilhaft ist, der Durch¬ schnittstand als ungünstiger gegenüber dem Vorjahr bezeichnet wird, müssen hier gewichtige Gründe wirksam gewesen sein. Obwohl die englischen Zeitungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/406>, abgerufen am 23.07.2024.