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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Geschichtschreibung neuester Zeit und ihre Kritik

der dritten Auflage, Seite 455 bis 456, eine ausführliche Charakteristik Kiderlens
und feiner Politik gibt, aus der zur Genüge hervorgeht, weshalb er sein Urteil
über Kiderlen geändert hat. Ähnlich fehlerhaft setzt Valentin Reventlows
"treffendem Urteil" der ersten Auflage über die Haltung der Tripleentente in
der böhmischen Krise, "daß sie damals zwar kein leerer Schein gewesen sei,
wohl aber außerstande war, die Machtfrage wirklich zu stellen," "die kühnen
Worte" der dritten Auflage, Seite 369 gegenüber, "so betrachtet, stellt sich
die von Großbritannien inszenierte böhmische Krisis als eine Art Generalprobe
der Tripleentente dar, die zeigen sollte und zeigte, wie weit man gehen könnte."
Seite 364 schreibt aber Reventlow: "Keine der beiden Festlandmächte wünschte
einen Krieg, welcher ihnen damals schwerstes Risiko gebracht hätte, nicht aber
dem britischen Reich, welches unter verhältnismäßig geringen Kosten und Ver¬
lusten Deutschland seines Handels und seiner Kolonien usw. hätte berauben
können." Ein Satz, der vor den Satz S. 369 gesetzt, allein schon die Über-
einstimmung der grundsätzlichen Anschauung in der ersten und dritten Auflage
Zeigt. Auch über Deutschlands Friedensliebe in der Marokkokrise 1905 soll
Reventlow 1916. Seite 272, ein absprechenderes Urteil als 1914, Seite 267.
abgegeben haben. Valentin bemerkt wiederum nicht, daß Reventlow an anderer
zur ersten Auflage weit passenderer Stelle, 1916. Seite 268, auch die Nach¬
teile hervorhebt, welche damals der Krieg für Deutschland gehabt hätte, wo
Landwirtschaft. Industrie und Geldwirtschaft lange nicht fo leistungsfähig wie
Sehn Jahre später waren. Die schlimmste Leistung Valentins ist aber: Reventlow
wirft in seiner Erwiderung Valentin vor, Valentins Behauptung, Reventlow
glaube, England habe nichts als den Krieg gewollt, sei "bewußt unrichtig."
Dem stellt Valentin zum zweiten Mal angeblich wörtlich folgenden Satz als
Reventlows "abschließendes Urteil" gegenüber: "England hat seit Jahren die
Welt organisiert und in Bewegung gesetzt, um den Vernichtungskrieg gegen ein
friedliebendes Volk- zu führen." Den Satz hat Reventlow garnicht ge-
schrieben. Der nur in Frage kommende Satz, Seite 479, lautet bei ihm:
"Britische Herrschsucht und Handelseifersucht sind die Triebfedern
gewesen, welche die Welt organisiert und in Bewegung gesetzt haben, um
den Vernichtungskrieg gegen ein friedliebendes Volk zu führen." Und dabei
behauptet Valentin noch "mit aller wünschenswerten philologischen Exaktheit"
Zu handeln!

Mit weit größerer philologischer Exaktheit hätte er seinem Zweck ent¬
sprechende Zitate finden können, wenn er sich die Mühe genommen hätte, den
ersten Teil des Buches durchzuarbeiten, wo bei sonst gleichem Wortlaut einzelne
Zusätze und Auslassungen in der dritten Auflage, die veränderte Ansicht
Reventlows scharf hervorheben. Im Grunde bedeuten die Änderungen, die
"ach Valentinscher Methode sogar teilweise eine Abschwächung der gegen Eng¬
land gerichteten Tendenz beweisen würden, garnichts. Die Anschauungen
Reventlows wird der aufmerksame, unvoreingenommene Leser in ganz anderen


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Geschichtschreibung neuester Zeit und ihre Kritik

der dritten Auflage, Seite 455 bis 456, eine ausführliche Charakteristik Kiderlens
und feiner Politik gibt, aus der zur Genüge hervorgeht, weshalb er sein Urteil
über Kiderlen geändert hat. Ähnlich fehlerhaft setzt Valentin Reventlows
„treffendem Urteil" der ersten Auflage über die Haltung der Tripleentente in
der böhmischen Krise, „daß sie damals zwar kein leerer Schein gewesen sei,
wohl aber außerstande war, die Machtfrage wirklich zu stellen," „die kühnen
Worte" der dritten Auflage, Seite 369 gegenüber, „so betrachtet, stellt sich
die von Großbritannien inszenierte böhmische Krisis als eine Art Generalprobe
der Tripleentente dar, die zeigen sollte und zeigte, wie weit man gehen könnte."
Seite 364 schreibt aber Reventlow: „Keine der beiden Festlandmächte wünschte
einen Krieg, welcher ihnen damals schwerstes Risiko gebracht hätte, nicht aber
dem britischen Reich, welches unter verhältnismäßig geringen Kosten und Ver¬
lusten Deutschland seines Handels und seiner Kolonien usw. hätte berauben
können." Ein Satz, der vor den Satz S. 369 gesetzt, allein schon die Über-
einstimmung der grundsätzlichen Anschauung in der ersten und dritten Auflage
Zeigt. Auch über Deutschlands Friedensliebe in der Marokkokrise 1905 soll
Reventlow 1916. Seite 272, ein absprechenderes Urteil als 1914, Seite 267.
abgegeben haben. Valentin bemerkt wiederum nicht, daß Reventlow an anderer
zur ersten Auflage weit passenderer Stelle, 1916. Seite 268, auch die Nach¬
teile hervorhebt, welche damals der Krieg für Deutschland gehabt hätte, wo
Landwirtschaft. Industrie und Geldwirtschaft lange nicht fo leistungsfähig wie
Sehn Jahre später waren. Die schlimmste Leistung Valentins ist aber: Reventlow
wirft in seiner Erwiderung Valentin vor, Valentins Behauptung, Reventlow
glaube, England habe nichts als den Krieg gewollt, sei „bewußt unrichtig."
Dem stellt Valentin zum zweiten Mal angeblich wörtlich folgenden Satz als
Reventlows „abschließendes Urteil" gegenüber: „England hat seit Jahren die
Welt organisiert und in Bewegung gesetzt, um den Vernichtungskrieg gegen ein
friedliebendes Volk- zu führen." Den Satz hat Reventlow garnicht ge-
schrieben. Der nur in Frage kommende Satz, Seite 479, lautet bei ihm:
„Britische Herrschsucht und Handelseifersucht sind die Triebfedern
gewesen, welche die Welt organisiert und in Bewegung gesetzt haben, um
den Vernichtungskrieg gegen ein friedliebendes Volk zu führen." Und dabei
behauptet Valentin noch „mit aller wünschenswerten philologischen Exaktheit"
Zu handeln!

Mit weit größerer philologischer Exaktheit hätte er seinem Zweck ent¬
sprechende Zitate finden können, wenn er sich die Mühe genommen hätte, den
ersten Teil des Buches durchzuarbeiten, wo bei sonst gleichem Wortlaut einzelne
Zusätze und Auslassungen in der dritten Auflage, die veränderte Ansicht
Reventlows scharf hervorheben. Im Grunde bedeuten die Änderungen, die
«ach Valentinscher Methode sogar teilweise eine Abschwächung der gegen Eng¬
land gerichteten Tendenz beweisen würden, garnichts. Die Anschauungen
Reventlows wird der aufmerksame, unvoreingenommene Leser in ganz anderen


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[0383] Geschichtschreibung neuester Zeit und ihre Kritik der dritten Auflage, Seite 455 bis 456, eine ausführliche Charakteristik Kiderlens und feiner Politik gibt, aus der zur Genüge hervorgeht, weshalb er sein Urteil über Kiderlen geändert hat. Ähnlich fehlerhaft setzt Valentin Reventlows „treffendem Urteil" der ersten Auflage über die Haltung der Tripleentente in der böhmischen Krise, „daß sie damals zwar kein leerer Schein gewesen sei, wohl aber außerstande war, die Machtfrage wirklich zu stellen," „die kühnen Worte" der dritten Auflage, Seite 369 gegenüber, „so betrachtet, stellt sich die von Großbritannien inszenierte böhmische Krisis als eine Art Generalprobe der Tripleentente dar, die zeigen sollte und zeigte, wie weit man gehen könnte." Seite 364 schreibt aber Reventlow: „Keine der beiden Festlandmächte wünschte einen Krieg, welcher ihnen damals schwerstes Risiko gebracht hätte, nicht aber dem britischen Reich, welches unter verhältnismäßig geringen Kosten und Ver¬ lusten Deutschland seines Handels und seiner Kolonien usw. hätte berauben können." Ein Satz, der vor den Satz S. 369 gesetzt, allein schon die Über- einstimmung der grundsätzlichen Anschauung in der ersten und dritten Auflage Zeigt. Auch über Deutschlands Friedensliebe in der Marokkokrise 1905 soll Reventlow 1916. Seite 272, ein absprechenderes Urteil als 1914, Seite 267. abgegeben haben. Valentin bemerkt wiederum nicht, daß Reventlow an anderer zur ersten Auflage weit passenderer Stelle, 1916. Seite 268, auch die Nach¬ teile hervorhebt, welche damals der Krieg für Deutschland gehabt hätte, wo Landwirtschaft. Industrie und Geldwirtschaft lange nicht fo leistungsfähig wie Sehn Jahre später waren. Die schlimmste Leistung Valentins ist aber: Reventlow wirft in seiner Erwiderung Valentin vor, Valentins Behauptung, Reventlow glaube, England habe nichts als den Krieg gewollt, sei „bewußt unrichtig." Dem stellt Valentin zum zweiten Mal angeblich wörtlich folgenden Satz als Reventlows „abschließendes Urteil" gegenüber: „England hat seit Jahren die Welt organisiert und in Bewegung gesetzt, um den Vernichtungskrieg gegen ein friedliebendes Volk- zu führen." Den Satz hat Reventlow garnicht ge- schrieben. Der nur in Frage kommende Satz, Seite 479, lautet bei ihm: „Britische Herrschsucht und Handelseifersucht sind die Triebfedern gewesen, welche die Welt organisiert und in Bewegung gesetzt haben, um den Vernichtungskrieg gegen ein friedliebendes Volk zu führen." Und dabei behauptet Valentin noch „mit aller wünschenswerten philologischen Exaktheit" Zu handeln! Mit weit größerer philologischer Exaktheit hätte er seinem Zweck ent¬ sprechende Zitate finden können, wenn er sich die Mühe genommen hätte, den ersten Teil des Buches durchzuarbeiten, wo bei sonst gleichem Wortlaut einzelne Zusätze und Auslassungen in der dritten Auflage, die veränderte Ansicht Reventlows scharf hervorheben. Im Grunde bedeuten die Änderungen, die «ach Valentinscher Methode sogar teilweise eine Abschwächung der gegen Eng¬ land gerichteten Tendenz beweisen würden, garnichts. Die Anschauungen Reventlows wird der aufmerksame, unvoreingenommene Leser in ganz anderen 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/383>, abgerufen am 23.07.2024.