Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die allgemeine Dienstxsiicht

Die von den Konservativen geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen einen solchen Ausschuß, der auch während der Reichstugsvertagung als
exekutives Organ sich betätigen soll, kann man durchaus würdigen, und doch
die Entscheidung willkommen heißen, weil durch sie der einheitliche Volkswille
eindrucksvoller sich ausprägt, als wenn das Hilfsdienstwerk lediglich auf bundes¬
rätliche Verordnungen aufgebaut werden würde. Die Volksvertretung hat ein
gutes Recht darauf, gehört zu werden, wenn so tief einschneidende Eingriffe,
wie es hier der Fall ist, in die Arbeitsfreiheit und Privatwirtschaft in Aussicht
stehen. Auch ist kaum anzunehmen, daß der Ausschuß als unbequemer Hemm¬
schuh bei der Verwirklichung der als notwendig befundenen Arbeitsziele sich
erweisen werde. Zwar ist seine Zustimmung erforderlich, wenn der Bundesrat
allgemeine Verordnungen zu erlassen, also gesetzgeberische Fragen zu lösen beab¬
sichtigt, einem störenden Dreinsprechen der Herren Parlamentarier in die mili¬
tärischen Verfügungen aber wird dadurch vorgebeugt, daß das Kriegsamt nur
verpflichtet ist, den Ausschuß über alle wichtigen Vorgänge auf dem Laufenden
zu halten, ihm auf Verlangen Auskunft zu geben, seine Vorschläge entgegen¬
zunehmen und vor Erlaß wichtiger Anordnungen allgemeiner Art seine Meinungs¬
äußerung einzuholen. Da die Interessenvertretungen der Industrie und gewert-
. schaftliche Organisationen in Angelegenheiten, die sie nahe berühren, zu Rate
gezogen werden sollen, so erscheint es uns nur als ein Akt der Billigkeit, daß
auch die Vertreter des einen gesetzgebenden Faktors nicht gänzlich übergangen
werden.

Mit größerer materieller Berechtigung ließe sich die Einführung ständiger
Arbeiterausschüsse in allen für den vaterländischen Hilfsdienst tätigen Be
trieben, falls in ihnen in der Regel mindestens fünfzig Arbeiter beschäftigt
werden, anfechten. Die Reichstagsmehrheit folgte mit ihrer Entschließung der
Erwägung, daß den Arbeitnehmern gewissermaßen ein Äquivalent für die Be¬
schränkung ihrer Freizügigkeit durch die Überweisung an einen bestimmten Betrieb
gewährt werden müsse. Für die Vertreter der Heeresleitung mochte außerdem
der Wunsch maßgebend sein, für die Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens in
den für Kriegszwecke in Anspruch genommenen Betrieben Sorge zu tragen.
Diesem Zwecke sollen die Arbeiterausschüsse dienen, indem ihnen aufgetragen
wird, das gute Einvernehmen innerhalb derArbeiterschafr des Betriebes und zwischen
der Arbeiterschaft und dem Arbeitgeber zu fördern. Demgemäß haben sie solche
Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiterschaft, die sich auf die Betriebs¬
einrichtungen, die Lohn- und sonstigen Arbeitsverhältnisse des Betriebes und
seiner Wohlfahrtseinrichtungen beziehen, zur Kenntnis des Unternehmers zu
bringen und sich darüber zu äußern. Dieselben Befugnisse liegen den An¬
gestelltenausschüssen ob, die beim Vorhandensein von mehr als fünfzig An-
gestellten zu errichten sind. Dem Wunsch nach einem friedlichen Ausgleich etwa
vorkommender Konflikte trägt weiterhin die Ermächtigung Rechnung, beschwerde¬
führend sich an eine Schlichtungskommission zu wenden, die in der Regel


23*
Die allgemeine Dienstxsiicht

Die von den Konservativen geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen einen solchen Ausschuß, der auch während der Reichstugsvertagung als
exekutives Organ sich betätigen soll, kann man durchaus würdigen, und doch
die Entscheidung willkommen heißen, weil durch sie der einheitliche Volkswille
eindrucksvoller sich ausprägt, als wenn das Hilfsdienstwerk lediglich auf bundes¬
rätliche Verordnungen aufgebaut werden würde. Die Volksvertretung hat ein
gutes Recht darauf, gehört zu werden, wenn so tief einschneidende Eingriffe,
wie es hier der Fall ist, in die Arbeitsfreiheit und Privatwirtschaft in Aussicht
stehen. Auch ist kaum anzunehmen, daß der Ausschuß als unbequemer Hemm¬
schuh bei der Verwirklichung der als notwendig befundenen Arbeitsziele sich
erweisen werde. Zwar ist seine Zustimmung erforderlich, wenn der Bundesrat
allgemeine Verordnungen zu erlassen, also gesetzgeberische Fragen zu lösen beab¬
sichtigt, einem störenden Dreinsprechen der Herren Parlamentarier in die mili¬
tärischen Verfügungen aber wird dadurch vorgebeugt, daß das Kriegsamt nur
verpflichtet ist, den Ausschuß über alle wichtigen Vorgänge auf dem Laufenden
zu halten, ihm auf Verlangen Auskunft zu geben, seine Vorschläge entgegen¬
zunehmen und vor Erlaß wichtiger Anordnungen allgemeiner Art seine Meinungs¬
äußerung einzuholen. Da die Interessenvertretungen der Industrie und gewert-
. schaftliche Organisationen in Angelegenheiten, die sie nahe berühren, zu Rate
gezogen werden sollen, so erscheint es uns nur als ein Akt der Billigkeit, daß
auch die Vertreter des einen gesetzgebenden Faktors nicht gänzlich übergangen
werden.

Mit größerer materieller Berechtigung ließe sich die Einführung ständiger
Arbeiterausschüsse in allen für den vaterländischen Hilfsdienst tätigen Be
trieben, falls in ihnen in der Regel mindestens fünfzig Arbeiter beschäftigt
werden, anfechten. Die Reichstagsmehrheit folgte mit ihrer Entschließung der
Erwägung, daß den Arbeitnehmern gewissermaßen ein Äquivalent für die Be¬
schränkung ihrer Freizügigkeit durch die Überweisung an einen bestimmten Betrieb
gewährt werden müsse. Für die Vertreter der Heeresleitung mochte außerdem
der Wunsch maßgebend sein, für die Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens in
den für Kriegszwecke in Anspruch genommenen Betrieben Sorge zu tragen.
Diesem Zwecke sollen die Arbeiterausschüsse dienen, indem ihnen aufgetragen
wird, das gute Einvernehmen innerhalb derArbeiterschafr des Betriebes und zwischen
der Arbeiterschaft und dem Arbeitgeber zu fördern. Demgemäß haben sie solche
Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiterschaft, die sich auf die Betriebs¬
einrichtungen, die Lohn- und sonstigen Arbeitsverhältnisse des Betriebes und
seiner Wohlfahrtseinrichtungen beziehen, zur Kenntnis des Unternehmers zu
bringen und sich darüber zu äußern. Dieselben Befugnisse liegen den An¬
gestelltenausschüssen ob, die beim Vorhandensein von mehr als fünfzig An-
gestellten zu errichten sind. Dem Wunsch nach einem friedlichen Ausgleich etwa
vorkommender Konflikte trägt weiterhin die Ermächtigung Rechnung, beschwerde¬
führend sich an eine Schlichtungskommission zu wenden, die in der Regel


23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331339"/>
          <fw type="header" place="top"> Die allgemeine Dienstxsiicht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1398" prev="#ID_1397"> Die von den Konservativen geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken<lb/>
gegen einen solchen Ausschuß, der auch während der Reichstugsvertagung als<lb/>
exekutives Organ sich betätigen soll, kann man durchaus würdigen, und doch<lb/>
die Entscheidung willkommen heißen, weil durch sie der einheitliche Volkswille<lb/>
eindrucksvoller sich ausprägt, als wenn das Hilfsdienstwerk lediglich auf bundes¬<lb/>
rätliche Verordnungen aufgebaut werden würde. Die Volksvertretung hat ein<lb/>
gutes Recht darauf, gehört zu werden, wenn so tief einschneidende Eingriffe,<lb/>
wie es hier der Fall ist, in die Arbeitsfreiheit und Privatwirtschaft in Aussicht<lb/>
stehen. Auch ist kaum anzunehmen, daß der Ausschuß als unbequemer Hemm¬<lb/>
schuh bei der Verwirklichung der als notwendig befundenen Arbeitsziele sich<lb/>
erweisen werde. Zwar ist seine Zustimmung erforderlich, wenn der Bundesrat<lb/>
allgemeine Verordnungen zu erlassen, also gesetzgeberische Fragen zu lösen beab¬<lb/>
sichtigt, einem störenden Dreinsprechen der Herren Parlamentarier in die mili¬<lb/>
tärischen Verfügungen aber wird dadurch vorgebeugt, daß das Kriegsamt nur<lb/>
verpflichtet ist, den Ausschuß über alle wichtigen Vorgänge auf dem Laufenden<lb/>
zu halten, ihm auf Verlangen Auskunft zu geben, seine Vorschläge entgegen¬<lb/>
zunehmen und vor Erlaß wichtiger Anordnungen allgemeiner Art seine Meinungs¬<lb/>
äußerung einzuholen. Da die Interessenvertretungen der Industrie und gewert-<lb/>
. schaftliche Organisationen in Angelegenheiten, die sie nahe berühren, zu Rate<lb/>
gezogen werden sollen, so erscheint es uns nur als ein Akt der Billigkeit, daß<lb/>
auch die Vertreter des einen gesetzgebenden Faktors nicht gänzlich übergangen<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1399" next="#ID_1400"> Mit größerer materieller Berechtigung ließe sich die Einführung ständiger<lb/>
Arbeiterausschüsse in allen für den vaterländischen Hilfsdienst tätigen Be<lb/>
trieben, falls in ihnen in der Regel mindestens fünfzig Arbeiter beschäftigt<lb/>
werden, anfechten. Die Reichstagsmehrheit folgte mit ihrer Entschließung der<lb/>
Erwägung, daß den Arbeitnehmern gewissermaßen ein Äquivalent für die Be¬<lb/>
schränkung ihrer Freizügigkeit durch die Überweisung an einen bestimmten Betrieb<lb/>
gewährt werden müsse. Für die Vertreter der Heeresleitung mochte außerdem<lb/>
der Wunsch maßgebend sein, für die Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens in<lb/>
den für Kriegszwecke in Anspruch genommenen Betrieben Sorge zu tragen.<lb/>
Diesem Zwecke sollen die Arbeiterausschüsse dienen, indem ihnen aufgetragen<lb/>
wird, das gute Einvernehmen innerhalb derArbeiterschafr des Betriebes und zwischen<lb/>
der Arbeiterschaft und dem Arbeitgeber zu fördern. Demgemäß haben sie solche<lb/>
Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiterschaft, die sich auf die Betriebs¬<lb/>
einrichtungen, die Lohn- und sonstigen Arbeitsverhältnisse des Betriebes und<lb/>
seiner Wohlfahrtseinrichtungen beziehen, zur Kenntnis des Unternehmers zu<lb/>
bringen und sich darüber zu äußern. Dieselben Befugnisse liegen den An¬<lb/>
gestelltenausschüssen ob, die beim Vorhandensein von mehr als fünfzig An-<lb/>
gestellten zu errichten sind. Dem Wunsch nach einem friedlichen Ausgleich etwa<lb/>
vorkommender Konflikte trägt weiterhin die Ermächtigung Rechnung, beschwerde¬<lb/>
führend sich an eine Schlichtungskommission zu wenden, die in der Regel</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0367] Die allgemeine Dienstxsiicht Die von den Konservativen geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einen solchen Ausschuß, der auch während der Reichstugsvertagung als exekutives Organ sich betätigen soll, kann man durchaus würdigen, und doch die Entscheidung willkommen heißen, weil durch sie der einheitliche Volkswille eindrucksvoller sich ausprägt, als wenn das Hilfsdienstwerk lediglich auf bundes¬ rätliche Verordnungen aufgebaut werden würde. Die Volksvertretung hat ein gutes Recht darauf, gehört zu werden, wenn so tief einschneidende Eingriffe, wie es hier der Fall ist, in die Arbeitsfreiheit und Privatwirtschaft in Aussicht stehen. Auch ist kaum anzunehmen, daß der Ausschuß als unbequemer Hemm¬ schuh bei der Verwirklichung der als notwendig befundenen Arbeitsziele sich erweisen werde. Zwar ist seine Zustimmung erforderlich, wenn der Bundesrat allgemeine Verordnungen zu erlassen, also gesetzgeberische Fragen zu lösen beab¬ sichtigt, einem störenden Dreinsprechen der Herren Parlamentarier in die mili¬ tärischen Verfügungen aber wird dadurch vorgebeugt, daß das Kriegsamt nur verpflichtet ist, den Ausschuß über alle wichtigen Vorgänge auf dem Laufenden zu halten, ihm auf Verlangen Auskunft zu geben, seine Vorschläge entgegen¬ zunehmen und vor Erlaß wichtiger Anordnungen allgemeiner Art seine Meinungs¬ äußerung einzuholen. Da die Interessenvertretungen der Industrie und gewert- . schaftliche Organisationen in Angelegenheiten, die sie nahe berühren, zu Rate gezogen werden sollen, so erscheint es uns nur als ein Akt der Billigkeit, daß auch die Vertreter des einen gesetzgebenden Faktors nicht gänzlich übergangen werden. Mit größerer materieller Berechtigung ließe sich die Einführung ständiger Arbeiterausschüsse in allen für den vaterländischen Hilfsdienst tätigen Be trieben, falls in ihnen in der Regel mindestens fünfzig Arbeiter beschäftigt werden, anfechten. Die Reichstagsmehrheit folgte mit ihrer Entschließung der Erwägung, daß den Arbeitnehmern gewissermaßen ein Äquivalent für die Be¬ schränkung ihrer Freizügigkeit durch die Überweisung an einen bestimmten Betrieb gewährt werden müsse. Für die Vertreter der Heeresleitung mochte außerdem der Wunsch maßgebend sein, für die Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens in den für Kriegszwecke in Anspruch genommenen Betrieben Sorge zu tragen. Diesem Zwecke sollen die Arbeiterausschüsse dienen, indem ihnen aufgetragen wird, das gute Einvernehmen innerhalb derArbeiterschafr des Betriebes und zwischen der Arbeiterschaft und dem Arbeitgeber zu fördern. Demgemäß haben sie solche Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiterschaft, die sich auf die Betriebs¬ einrichtungen, die Lohn- und sonstigen Arbeitsverhältnisse des Betriebes und seiner Wohlfahrtseinrichtungen beziehen, zur Kenntnis des Unternehmers zu bringen und sich darüber zu äußern. Dieselben Befugnisse liegen den An¬ gestelltenausschüssen ob, die beim Vorhandensein von mehr als fünfzig An- gestellten zu errichten sind. Dem Wunsch nach einem friedlichen Ausgleich etwa vorkommender Konflikte trägt weiterhin die Ermächtigung Rechnung, beschwerde¬ führend sich an eine Schlichtungskommission zu wenden, die in der Regel 23*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/367
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/367>, abgerufen am 23.07.2024.