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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

Wochen ein, weil er jene Deutschen nicht verraten wollte, die gegen den Befehl
des polnischen Pfarrers deutsch sangen. Erwähnt muß werden, daß die
galizischen Behörden die Selbsthilfe und Organisation der Deutschen stören,
indem sie in einzelnen Fällen Versammlungen und Feste unter allerlei Vor-
wänden zu vereiteln suchen, vor allem aber die gemeinnützigen wirtschaftlichen
Verbände nicht unterstützen, während ähnliche Vereinigungen der Polen reich¬
liche Beträge aus Landesmitteln erhalten. Ebenso wird geklagt, daß polnische
Vorgesetzte ihre deutschen Untergebenen veranlassen, nationalpolnische Zwecke zu
fördern. Die Deutschen dürfen überall beschimpft und besudelt werden. Plakate,
die gegen die Deutschen Hetzen, wurden selbst auf Bahnhöfen geduldet.*) So
konnte es geschehen, daß kurz vor dem Kriegsausbruch in verschiedenen Orten
Galiziens die Deutschen überfallen, Geschäfte, Schulen und Wohltätigkeits¬
anstalten beschädigt wurden. Wie grundlos dieser Angriff war, mögen folgende
Ausführungen einer polnischen Zeitung beweisen. "Wiek Nowy" vom 7. Juli
1914 schreibt: "Außerhalb Biala haben wir in Galizien keine deutsche Frage
und sollten eine solche auch nicht künstlich hervorrufen. Lemberg und Krakau
haben sogar in der Zeit ihres deutschem Charakters sehr viel deutsches Bürger¬
tum aufgenommen. Deutsche waren es, die an Stelle der schmutzigen Einkehr¬
häuser ordentliche Hotels errichteten; sie entwanden dem Verfalle unsere Drucker¬
kunst und den Buchhandel; sie gaben uns die großen polnischen Politiker wie
Franz Smolka und andere, die polnischen Industriellen, wie Schlenkier, die
polnischen Künstler, wie Brand. Ihnen verdanken wir eine ganze Reihe
tüchtiger Agrarier, die großen Gelehrten Liste und Hirschband und die Schrift¬
steller, wie Josef Kremer und Vinzenz Pohl. Die Grundlagen des polnischen
Bürgertums in Lemberg und in Krakau sind die verschiedenen Fischer, Stadt¬
müller und andere. Die antideutsche Demonstration, welche sich gegen Kauf¬
leute mit deutschen Namen oder selbst gegen deutsche Kaufleute in Lemberg
richtete, ist ein Absurdum. Lemberg droht eine Ruthenisterung oder Russifizierung,
niemals eine Germanisierung."

Aus dem Mitgeteilten ist zu ersehen, daß die Stellung der Deutschen in
Galizien durch die seit 1866 gewährten Sonderrechte überaus schwierig ge¬
worden ist. Niemand kann bezweifeln, daß durch den weiteren Ausbau der
Sonderstellung Galiziens die Lage der hunderttausend galizischen Deutschen noch
mehr gefährdet werden wird; denn der alte Haß gegen die Deutschen, der seit
dem 13. Jahrhundert bemerkbar ist und schon im Mittelalter blühendes Deutsch¬
tum vernichtet hat, wird gewiß nicht in der Zukunft schwinden, solange die
Führung der Polen in denselben Händen verbleibt.**)

Die Deutschen haben also schon wegen der hunderttausend Deutschen




*) Näheres über die Not der Deutschen in Galizien in meiner "Gesch. der Deutschen
w den Karpathenländern" 3. Bd.
Über die Entstehung des Deutschenhasses in Polen und seine Träger vgl. >?an
meine Schrift "Polen" (Leipzig, Teubner).
Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

Wochen ein, weil er jene Deutschen nicht verraten wollte, die gegen den Befehl
des polnischen Pfarrers deutsch sangen. Erwähnt muß werden, daß die
galizischen Behörden die Selbsthilfe und Organisation der Deutschen stören,
indem sie in einzelnen Fällen Versammlungen und Feste unter allerlei Vor-
wänden zu vereiteln suchen, vor allem aber die gemeinnützigen wirtschaftlichen
Verbände nicht unterstützen, während ähnliche Vereinigungen der Polen reich¬
liche Beträge aus Landesmitteln erhalten. Ebenso wird geklagt, daß polnische
Vorgesetzte ihre deutschen Untergebenen veranlassen, nationalpolnische Zwecke zu
fördern. Die Deutschen dürfen überall beschimpft und besudelt werden. Plakate,
die gegen die Deutschen Hetzen, wurden selbst auf Bahnhöfen geduldet.*) So
konnte es geschehen, daß kurz vor dem Kriegsausbruch in verschiedenen Orten
Galiziens die Deutschen überfallen, Geschäfte, Schulen und Wohltätigkeits¬
anstalten beschädigt wurden. Wie grundlos dieser Angriff war, mögen folgende
Ausführungen einer polnischen Zeitung beweisen. „Wiek Nowy" vom 7. Juli
1914 schreibt: „Außerhalb Biala haben wir in Galizien keine deutsche Frage
und sollten eine solche auch nicht künstlich hervorrufen. Lemberg und Krakau
haben sogar in der Zeit ihres deutschem Charakters sehr viel deutsches Bürger¬
tum aufgenommen. Deutsche waren es, die an Stelle der schmutzigen Einkehr¬
häuser ordentliche Hotels errichteten; sie entwanden dem Verfalle unsere Drucker¬
kunst und den Buchhandel; sie gaben uns die großen polnischen Politiker wie
Franz Smolka und andere, die polnischen Industriellen, wie Schlenkier, die
polnischen Künstler, wie Brand. Ihnen verdanken wir eine ganze Reihe
tüchtiger Agrarier, die großen Gelehrten Liste und Hirschband und die Schrift¬
steller, wie Josef Kremer und Vinzenz Pohl. Die Grundlagen des polnischen
Bürgertums in Lemberg und in Krakau sind die verschiedenen Fischer, Stadt¬
müller und andere. Die antideutsche Demonstration, welche sich gegen Kauf¬
leute mit deutschen Namen oder selbst gegen deutsche Kaufleute in Lemberg
richtete, ist ein Absurdum. Lemberg droht eine Ruthenisterung oder Russifizierung,
niemals eine Germanisierung."

Aus dem Mitgeteilten ist zu ersehen, daß die Stellung der Deutschen in
Galizien durch die seit 1866 gewährten Sonderrechte überaus schwierig ge¬
worden ist. Niemand kann bezweifeln, daß durch den weiteren Ausbau der
Sonderstellung Galiziens die Lage der hunderttausend galizischen Deutschen noch
mehr gefährdet werden wird; denn der alte Haß gegen die Deutschen, der seit
dem 13. Jahrhundert bemerkbar ist und schon im Mittelalter blühendes Deutsch¬
tum vernichtet hat, wird gewiß nicht in der Zukunft schwinden, solange die
Führung der Polen in denselben Händen verbleibt.**)

Die Deutschen haben also schon wegen der hunderttausend Deutschen




*) Näheres über die Not der Deutschen in Galizien in meiner „Gesch. der Deutschen
w den Karpathenländern" 3. Bd.
Über die Entstehung des Deutschenhasses in Polen und seine Träger vgl. >?an
meine Schrift „Polen" (Leipzig, Teubner).
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[0337] Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen Wochen ein, weil er jene Deutschen nicht verraten wollte, die gegen den Befehl des polnischen Pfarrers deutsch sangen. Erwähnt muß werden, daß die galizischen Behörden die Selbsthilfe und Organisation der Deutschen stören, indem sie in einzelnen Fällen Versammlungen und Feste unter allerlei Vor- wänden zu vereiteln suchen, vor allem aber die gemeinnützigen wirtschaftlichen Verbände nicht unterstützen, während ähnliche Vereinigungen der Polen reich¬ liche Beträge aus Landesmitteln erhalten. Ebenso wird geklagt, daß polnische Vorgesetzte ihre deutschen Untergebenen veranlassen, nationalpolnische Zwecke zu fördern. Die Deutschen dürfen überall beschimpft und besudelt werden. Plakate, die gegen die Deutschen Hetzen, wurden selbst auf Bahnhöfen geduldet.*) So konnte es geschehen, daß kurz vor dem Kriegsausbruch in verschiedenen Orten Galiziens die Deutschen überfallen, Geschäfte, Schulen und Wohltätigkeits¬ anstalten beschädigt wurden. Wie grundlos dieser Angriff war, mögen folgende Ausführungen einer polnischen Zeitung beweisen. „Wiek Nowy" vom 7. Juli 1914 schreibt: „Außerhalb Biala haben wir in Galizien keine deutsche Frage und sollten eine solche auch nicht künstlich hervorrufen. Lemberg und Krakau haben sogar in der Zeit ihres deutschem Charakters sehr viel deutsches Bürger¬ tum aufgenommen. Deutsche waren es, die an Stelle der schmutzigen Einkehr¬ häuser ordentliche Hotels errichteten; sie entwanden dem Verfalle unsere Drucker¬ kunst und den Buchhandel; sie gaben uns die großen polnischen Politiker wie Franz Smolka und andere, die polnischen Industriellen, wie Schlenkier, die polnischen Künstler, wie Brand. Ihnen verdanken wir eine ganze Reihe tüchtiger Agrarier, die großen Gelehrten Liste und Hirschband und die Schrift¬ steller, wie Josef Kremer und Vinzenz Pohl. Die Grundlagen des polnischen Bürgertums in Lemberg und in Krakau sind die verschiedenen Fischer, Stadt¬ müller und andere. Die antideutsche Demonstration, welche sich gegen Kauf¬ leute mit deutschen Namen oder selbst gegen deutsche Kaufleute in Lemberg richtete, ist ein Absurdum. Lemberg droht eine Ruthenisterung oder Russifizierung, niemals eine Germanisierung." Aus dem Mitgeteilten ist zu ersehen, daß die Stellung der Deutschen in Galizien durch die seit 1866 gewährten Sonderrechte überaus schwierig ge¬ worden ist. Niemand kann bezweifeln, daß durch den weiteren Ausbau der Sonderstellung Galiziens die Lage der hunderttausend galizischen Deutschen noch mehr gefährdet werden wird; denn der alte Haß gegen die Deutschen, der seit dem 13. Jahrhundert bemerkbar ist und schon im Mittelalter blühendes Deutsch¬ tum vernichtet hat, wird gewiß nicht in der Zukunft schwinden, solange die Führung der Polen in denselben Händen verbleibt.**) Die Deutschen haben also schon wegen der hunderttausend Deutschen *) Näheres über die Not der Deutschen in Galizien in meiner „Gesch. der Deutschen w den Karpathenländern" 3. Bd. Über die Entstehung des Deutschenhasses in Polen und seine Träger vgl. >?an meine Schrift „Polen" (Leipzig, Teubner).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/337>, abgerufen am 23.07.2024.