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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Selbständigkeit Galliens und die Deutschen

Staates erforderten, in Amt, Schule und öffentlichem Leben. Die Universitäten
in Krakau und Lemberg waren deutsch. Die Nuthenen und die Deutschen
wurden berücksichtigt.

Das alles sollte sich nun rasch ändern. Ihre Absicht, eine Sonderstellung
zu erringen, haben die Polen schon vor 1866 geäußert: als der Aufstand von
1863 gescheitert und die Mißstimmung der Wiener Regierung wegen der Teil¬
nahme der galizischen Polen etwas geschwunden war, begannen sie mit ihren
Resolutionen und Deputationen hervorzutreten. Schon einige Monate vor dem
Kriege hatten sie den ersten Versuch gemacht: Der galizische Landtag forderte
Garantien der nationalen Rechte durch Einführung der 1815 zugesagten
nationalen Institutionen, volle Autonomie der Landesverwaltung, Schaffung einer
galizischen Hofkanzlei, Berufung eines Polen zum Statthalter, Besetzung aller
Ämter im Lande mit Polen u. tgi. in. Schon damals erhoben die Ruthenen gegen
diese Forderungen Protest, und die Polen erreichten zunächst auch gar nichts.*)

Sobald dann nach dem Kriege Österreich zur Änderung seines Kurses sich
genötigt glaubte und dle Magyaren den Ausgleich erzwangen, hielten auch die
Polen ihre Zeit für gekommen. Der galizische Landtag begann damit, daß er
im Dezember 1866 unter scharfem Widerstand der Ruthenen die Verdrängung
der deutschen Sprache aus den Schulen und die Beschränkung des Unterrichts
im Ruthenischen beschloß und durchführte. Im Reichstag begannen die Polen
aber sofort mit ihrer Forderung nach einer größeren Autonomie und Selb¬
ständigkeit Galiziens, indem sie auf die Anerkennung der historischen Rechte
Ungarns durch den Ausgleich hinwiesen. Sie führten Klage, daß die Thron¬
rede nichts von den historischen Rechten der übrigen Königreiche und Länder
erwähnt habe. Nachdruck verlieh diesen Forderungen der galizische Landtag,
der 1868 die Einführung der polnischen Sprache in Ämter und Gericht und
die Polonisierung der Landesuniversitäten forderte, zugleich die Anträge der Ru¬
thenen auf Vermehrung des ruthenischen und deutschen Unterrichtes ablehnte.
Die Regierung entsprach im Verordnungswege den polnischen Wünschen bezüglich
der Krakauer Universität und damit begann die lange Reihe der Konzessionen.

Am 24. September 1368 beschloß der galizische Landtag die "galizische
Resolution", die die weitgehenden Wünsche der Polen zusammenfaßte.
Daraus möge" hier die wichtigsten Sätze herausgehoben werden: "Der Landtag
erklärt, daß der durch die Staatsgrundsätze vom 21. Dezember 1867 geschaffene
Organismus der Monarchie unserem Lande nicht so viel legislative und
administrative Selbständigkeit gewährt, als demselben mit Rücksicht auf dessen
historisch-politische Vergangenheit, dessen besondere Nationalität,**) den Grad
der Zivilisation und der territorialen Ausdehnung gebührt."




") Nebenbei sei bemerkt, daß zu gleicher Zeit, als die Polen 1866 ihre Sonderstellung
zu erstreben begannen, sie zur Beihilfe für das durch den Aufstand von 1363 in arge Not¬
lage geratene Land viele Millionen an Borschüssen, Darlehen u. tgi. von Osterreich forderten.
**) Es wird hier nur auf die Polen Rücksicht genommen.
Die Selbständigkeit Galliens und die Deutschen

Staates erforderten, in Amt, Schule und öffentlichem Leben. Die Universitäten
in Krakau und Lemberg waren deutsch. Die Nuthenen und die Deutschen
wurden berücksichtigt.

Das alles sollte sich nun rasch ändern. Ihre Absicht, eine Sonderstellung
zu erringen, haben die Polen schon vor 1866 geäußert: als der Aufstand von
1863 gescheitert und die Mißstimmung der Wiener Regierung wegen der Teil¬
nahme der galizischen Polen etwas geschwunden war, begannen sie mit ihren
Resolutionen und Deputationen hervorzutreten. Schon einige Monate vor dem
Kriege hatten sie den ersten Versuch gemacht: Der galizische Landtag forderte
Garantien der nationalen Rechte durch Einführung der 1815 zugesagten
nationalen Institutionen, volle Autonomie der Landesverwaltung, Schaffung einer
galizischen Hofkanzlei, Berufung eines Polen zum Statthalter, Besetzung aller
Ämter im Lande mit Polen u. tgi. in. Schon damals erhoben die Ruthenen gegen
diese Forderungen Protest, und die Polen erreichten zunächst auch gar nichts.*)

Sobald dann nach dem Kriege Österreich zur Änderung seines Kurses sich
genötigt glaubte und dle Magyaren den Ausgleich erzwangen, hielten auch die
Polen ihre Zeit für gekommen. Der galizische Landtag begann damit, daß er
im Dezember 1866 unter scharfem Widerstand der Ruthenen die Verdrängung
der deutschen Sprache aus den Schulen und die Beschränkung des Unterrichts
im Ruthenischen beschloß und durchführte. Im Reichstag begannen die Polen
aber sofort mit ihrer Forderung nach einer größeren Autonomie und Selb¬
ständigkeit Galiziens, indem sie auf die Anerkennung der historischen Rechte
Ungarns durch den Ausgleich hinwiesen. Sie führten Klage, daß die Thron¬
rede nichts von den historischen Rechten der übrigen Königreiche und Länder
erwähnt habe. Nachdruck verlieh diesen Forderungen der galizische Landtag,
der 1868 die Einführung der polnischen Sprache in Ämter und Gericht und
die Polonisierung der Landesuniversitäten forderte, zugleich die Anträge der Ru¬
thenen auf Vermehrung des ruthenischen und deutschen Unterrichtes ablehnte.
Die Regierung entsprach im Verordnungswege den polnischen Wünschen bezüglich
der Krakauer Universität und damit begann die lange Reihe der Konzessionen.

Am 24. September 1368 beschloß der galizische Landtag die „galizische
Resolution", die die weitgehenden Wünsche der Polen zusammenfaßte.
Daraus möge« hier die wichtigsten Sätze herausgehoben werden: „Der Landtag
erklärt, daß der durch die Staatsgrundsätze vom 21. Dezember 1867 geschaffene
Organismus der Monarchie unserem Lande nicht so viel legislative und
administrative Selbständigkeit gewährt, als demselben mit Rücksicht auf dessen
historisch-politische Vergangenheit, dessen besondere Nationalität,**) den Grad
der Zivilisation und der territorialen Ausdehnung gebührt."




") Nebenbei sei bemerkt, daß zu gleicher Zeit, als die Polen 1866 ihre Sonderstellung
zu erstreben begannen, sie zur Beihilfe für das durch den Aufstand von 1363 in arge Not¬
lage geratene Land viele Millionen an Borschüssen, Darlehen u. tgi. von Osterreich forderten.
**) Es wird hier nur auf die Polen Rücksicht genommen.
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[0334] Die Selbständigkeit Galliens und die Deutschen Staates erforderten, in Amt, Schule und öffentlichem Leben. Die Universitäten in Krakau und Lemberg waren deutsch. Die Nuthenen und die Deutschen wurden berücksichtigt. Das alles sollte sich nun rasch ändern. Ihre Absicht, eine Sonderstellung zu erringen, haben die Polen schon vor 1866 geäußert: als der Aufstand von 1863 gescheitert und die Mißstimmung der Wiener Regierung wegen der Teil¬ nahme der galizischen Polen etwas geschwunden war, begannen sie mit ihren Resolutionen und Deputationen hervorzutreten. Schon einige Monate vor dem Kriege hatten sie den ersten Versuch gemacht: Der galizische Landtag forderte Garantien der nationalen Rechte durch Einführung der 1815 zugesagten nationalen Institutionen, volle Autonomie der Landesverwaltung, Schaffung einer galizischen Hofkanzlei, Berufung eines Polen zum Statthalter, Besetzung aller Ämter im Lande mit Polen u. tgi. in. Schon damals erhoben die Ruthenen gegen diese Forderungen Protest, und die Polen erreichten zunächst auch gar nichts.*) Sobald dann nach dem Kriege Österreich zur Änderung seines Kurses sich genötigt glaubte und dle Magyaren den Ausgleich erzwangen, hielten auch die Polen ihre Zeit für gekommen. Der galizische Landtag begann damit, daß er im Dezember 1866 unter scharfem Widerstand der Ruthenen die Verdrängung der deutschen Sprache aus den Schulen und die Beschränkung des Unterrichts im Ruthenischen beschloß und durchführte. Im Reichstag begannen die Polen aber sofort mit ihrer Forderung nach einer größeren Autonomie und Selb¬ ständigkeit Galiziens, indem sie auf die Anerkennung der historischen Rechte Ungarns durch den Ausgleich hinwiesen. Sie führten Klage, daß die Thron¬ rede nichts von den historischen Rechten der übrigen Königreiche und Länder erwähnt habe. Nachdruck verlieh diesen Forderungen der galizische Landtag, der 1868 die Einführung der polnischen Sprache in Ämter und Gericht und die Polonisierung der Landesuniversitäten forderte, zugleich die Anträge der Ru¬ thenen auf Vermehrung des ruthenischen und deutschen Unterrichtes ablehnte. Die Regierung entsprach im Verordnungswege den polnischen Wünschen bezüglich der Krakauer Universität und damit begann die lange Reihe der Konzessionen. Am 24. September 1368 beschloß der galizische Landtag die „galizische Resolution", die die weitgehenden Wünsche der Polen zusammenfaßte. Daraus möge« hier die wichtigsten Sätze herausgehoben werden: „Der Landtag erklärt, daß der durch die Staatsgrundsätze vom 21. Dezember 1867 geschaffene Organismus der Monarchie unserem Lande nicht so viel legislative und administrative Selbständigkeit gewährt, als demselben mit Rücksicht auf dessen historisch-politische Vergangenheit, dessen besondere Nationalität,**) den Grad der Zivilisation und der territorialen Ausdehnung gebührt." ") Nebenbei sei bemerkt, daß zu gleicher Zeit, als die Polen 1866 ihre Sonderstellung zu erstreben begannen, sie zur Beihilfe für das durch den Aufstand von 1363 in arge Not¬ lage geratene Land viele Millionen an Borschüssen, Darlehen u. tgi. von Osterreich forderten. **) Es wird hier nur auf die Polen Rücksicht genommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/334>, abgerufen am 23.07.2024.