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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Der Name des gegenwärtigen Krieges

weitern auf einen Kampf der europäischen Ostmächte. Doch auch sie wurde
binnen weniger Tage zu eng, als Rußland mit seiner Mobilmachung uns zur
Kriegserklärung zwang, als unmittelbar darauf Frankreich und Belgien ihre
Neutralität verweigerten und England die Stirn hatte, uns den Krieg zu er¬
klären. Damals konnte man von einem europäischen Krieg sprechen, wie es
die Amerikaner tun -- strenggenommen war freilich auch dieser Name von
vornherein zu eng. denn Frankreich war längst entschlossen, seine afrikanischen
Kolonialtruppen. Senegalneger. Turkos und Zuaven gegen uns kämpfen zu
lassen; Rußland führte sibirische Regimenter gegen die deutsche und österreichische
Ostgrenze; England ließ sich von Kanada Hilfe versprechen, landete indische Truppen
auf dem europäischen Festland, wiegelte Japan zum Kriege gegen Deutschland
auf und trug mit seiner Hilfe den Kampf in den Indischen Ozean und das
Gelbe Meer. Ein Weltbrand ohne gleichen ist rings umher endlose, und ein
Wort, das ihn räumlich faßte, ist nicht mehr zu denken, es wäre denn das
Wort Weltkrieg selbst, dem wir uns soeben schon genähert haben. Es scheint
Aussicht zu haben, sich durchzusetzen, und wenn der Sprachgebrauch dahin ent¬
scheidet, wird man ihn gelten lassen und gern anerkennen, daß der Name hinter
seinem großen Gegenstand nicht zurückbleibt. Eher im Gegenteil: so ungeheuer
der Krieg ist, die größere Hälfte auch schon der von Menschen bewohnten Welt
läßt er unbeteiligt und vollends unberührt dehnt sich über uns eine unermessene
Welt, in der unsere arme Erde kaum ein Tropfen am Eimer ist. So betrachtet
ist der Name Weltkrieg viel zu weit.

Anderseits sind aber die Namen vergangener Kriege räumlich oft zu eng
genommen worden. Der peloponnesische Krieg ist nicht nur auf der Peloponnes
und nicht nur um ihren Besitz geführt worden. Hier ist der Name für uns
bestimmt worden durch die kämpfende Partei, mit deren Augen wir den Krieg
zu sehen gelernt haben: der Athener Thukydides spricht vom peloponnesischen
Krieg ebenso selbstverständlich, wie ein Lakedämonier vom athenischen Krieg
sprechen mußte, seine ätherische Namengebung ist für alle Folgezeit maßgebend
geworden. So haben wir den trojanischen und die Perserkriege mit den Augen
der Griechen, die punischen Kriege mit denen der Römer zuerst sehen gelernt und
nennen sie mit den alten Siegern, die dann auch zu den klassischen Darstellern
ihrer Kriege geworden sind, nach den unterlegenen Gegnern. Daß eine solche
Namengebung beim Kriege von 1914/16 unmöglich ist. springt in die Augen: ihn
lernen wir nicht mit den Augen des Geschichtsschreibers sehen, sondern als
innerlichst beteiligte Zeitgenossen kennen wir ihn von seinem ersten Tage an.
Und auch der unterlegenen Feinde sind zu viele. Nicht ein Volk ist der Gegner,
nicht eines kann als Hauptleidtragender den Namen leihen, wie beim französischen
Krieg von 1870/71 (ein Krieg war es. kein Feldzug; einen im sprachlichen
Sinne guten Namen hat er leider nie erlangt), sondern eine Koalition steht
gegen uns in Waffen, die sich bei der Namengebung ebenso schlecht bewährt
wie im Felde. Kurz, auch hier kann die Namengebung nicht Fuß fassen.


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Der Name des gegenwärtigen Krieges

weitern auf einen Kampf der europäischen Ostmächte. Doch auch sie wurde
binnen weniger Tage zu eng, als Rußland mit seiner Mobilmachung uns zur
Kriegserklärung zwang, als unmittelbar darauf Frankreich und Belgien ihre
Neutralität verweigerten und England die Stirn hatte, uns den Krieg zu er¬
klären. Damals konnte man von einem europäischen Krieg sprechen, wie es
die Amerikaner tun — strenggenommen war freilich auch dieser Name von
vornherein zu eng. denn Frankreich war längst entschlossen, seine afrikanischen
Kolonialtruppen. Senegalneger. Turkos und Zuaven gegen uns kämpfen zu
lassen; Rußland führte sibirische Regimenter gegen die deutsche und österreichische
Ostgrenze; England ließ sich von Kanada Hilfe versprechen, landete indische Truppen
auf dem europäischen Festland, wiegelte Japan zum Kriege gegen Deutschland
auf und trug mit seiner Hilfe den Kampf in den Indischen Ozean und das
Gelbe Meer. Ein Weltbrand ohne gleichen ist rings umher endlose, und ein
Wort, das ihn räumlich faßte, ist nicht mehr zu denken, es wäre denn das
Wort Weltkrieg selbst, dem wir uns soeben schon genähert haben. Es scheint
Aussicht zu haben, sich durchzusetzen, und wenn der Sprachgebrauch dahin ent¬
scheidet, wird man ihn gelten lassen und gern anerkennen, daß der Name hinter
seinem großen Gegenstand nicht zurückbleibt. Eher im Gegenteil: so ungeheuer
der Krieg ist, die größere Hälfte auch schon der von Menschen bewohnten Welt
läßt er unbeteiligt und vollends unberührt dehnt sich über uns eine unermessene
Welt, in der unsere arme Erde kaum ein Tropfen am Eimer ist. So betrachtet
ist der Name Weltkrieg viel zu weit.

Anderseits sind aber die Namen vergangener Kriege räumlich oft zu eng
genommen worden. Der peloponnesische Krieg ist nicht nur auf der Peloponnes
und nicht nur um ihren Besitz geführt worden. Hier ist der Name für uns
bestimmt worden durch die kämpfende Partei, mit deren Augen wir den Krieg
zu sehen gelernt haben: der Athener Thukydides spricht vom peloponnesischen
Krieg ebenso selbstverständlich, wie ein Lakedämonier vom athenischen Krieg
sprechen mußte, seine ätherische Namengebung ist für alle Folgezeit maßgebend
geworden. So haben wir den trojanischen und die Perserkriege mit den Augen
der Griechen, die punischen Kriege mit denen der Römer zuerst sehen gelernt und
nennen sie mit den alten Siegern, die dann auch zu den klassischen Darstellern
ihrer Kriege geworden sind, nach den unterlegenen Gegnern. Daß eine solche
Namengebung beim Kriege von 1914/16 unmöglich ist. springt in die Augen: ihn
lernen wir nicht mit den Augen des Geschichtsschreibers sehen, sondern als
innerlichst beteiligte Zeitgenossen kennen wir ihn von seinem ersten Tage an.
Und auch der unterlegenen Feinde sind zu viele. Nicht ein Volk ist der Gegner,
nicht eines kann als Hauptleidtragender den Namen leihen, wie beim französischen
Krieg von 1870/71 (ein Krieg war es. kein Feldzug; einen im sprachlichen
Sinne guten Namen hat er leider nie erlangt), sondern eine Koalition steht
gegen uns in Waffen, die sich bei der Namengebung ebenso schlecht bewährt
wie im Felde. Kurz, auch hier kann die Namengebung nicht Fuß fassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/31>, abgerufen am 23.07.2024.