Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Zeit der schwindenden Illusionen

Stürmer zu beseitigen. Er vermochte es nicht, den Karren der Verpflegung
wirklich in Gang zu bringen. Es wurde nichts getan und das Mißtrauen
gegen die Regierung als Folge davon wurde immer größer.

So war die Stimmung des Landes, als die Duma wieder einberufen
wurde. Die Reden, die in den Sitzungen gehalten worden sind, sind soweit
sie wirklich interessant sind, von der russischen Zensur gestrichen. Aber was noch
übrig geblieben ist, genügt, um zu erkennen, was die Macher wollten. Rodsianko
fing mit Trompetenstößen an. "Die erste Notwendigkeit ist die Entfernung
dessen, was nicht sein darf und was das Land an der Erreichung seiner Ziele
hindert. Die Negierung soll von uns erfahren, was nötig ist für die Ruhe
des Landes, sie darf nicht auf einem Wege gehen, der entfernt ist von dem
des Volkes." Und dann als Motto: "was es auch immer kosten möge, der
Krieg muß auf jeden Fall zu Ende geführt werden." Dasselbe Thema wurde
dann vom progressiven Blocke variiert, ein glattes Mißtrauensvotum der Re¬
gierung ausgestellt und hätten nicht die Mitglieder des Blockvorstandes ge¬
fürchtet, daß die ganze Duma nach Hause gejagt werden würde, so hätte wohl
die Erklärung noch ganz anders gelautet. Dies andere zu sagen, blieb Mil-
jukow. dem Führer der Kadetten, vorbehalten. Wir kennen seine Rede nicht,
wir wissen aber, daß er eine "vernichtende" Kritik an der Stürmerschen Außen-
Politik übte und nach innen parlamentarisches Regime verlangte, Ver¬
antwortlichkeit der Minister vor der Duma und ein Ministerium,
getragen von dem Vertrauen der Dumamehrheit.

Miljukows Äußerungen mögen den "Sphären" nicht angenehm geklungen
haben. Was war aber zu tun? Ein Ventil mußte geöffnet, ein Schuldiger
gefunden werden. Wo soviele Illusionen zerstört waren, wo die Angst der
Duma, wie die "Rjetsch" feststellt, sogar den siegreichen Ausgang des Krieges
in Frage gestellt sah, da mußte ein Opfer dargebracht werden und was lag
näher, als daß Stürmer dieses Opfer sein sollte? "Wir haben," so sagte
der "Kökökök", der sich schützend vor Stürmer stellte, "kein Recht, irgend
jemand die Schuld zu geben. . . Wir haben keine Tatsachen, wir können
nicht verurteilen. Es gab einmal eine Zeit, wo wir die Hoffnung hatten auf
eine leuchtende Zukunft, wo wir uns und andere damit beruhigen konnten,
daß unsere inneren Schwierigkeiten nur zeitweise durch den Krieg hervorgerufene
Übel seien, daß nur Männlichkeit und Geduld dazu gehörten, das Leben von
neuem in das gewohnte Geleise zu schieben..."

Solche Hoffnungen und Illusionen scheinen die einsichtigen Russen jetzt
verloren zu haben. Es gibt aber noch einige, die glauben, die Sache könnte
geändert werden, -- wenn ein anderer Mann auf denselben Sessel gesetzt wird.
Diesen Leuten mußte geholfen werden. Der neue Mann heißt Trepow anstatt
Stürmer. Wahrscheinlich betrachtet Chwostow auch ihn mit lächelnd philo¬
sophischem Auge und konstatiert, daß der Sessel derselbe geblieben ist.




Die Zeit der schwindenden Illusionen

Stürmer zu beseitigen. Er vermochte es nicht, den Karren der Verpflegung
wirklich in Gang zu bringen. Es wurde nichts getan und das Mißtrauen
gegen die Regierung als Folge davon wurde immer größer.

So war die Stimmung des Landes, als die Duma wieder einberufen
wurde. Die Reden, die in den Sitzungen gehalten worden sind, sind soweit
sie wirklich interessant sind, von der russischen Zensur gestrichen. Aber was noch
übrig geblieben ist, genügt, um zu erkennen, was die Macher wollten. Rodsianko
fing mit Trompetenstößen an. „Die erste Notwendigkeit ist die Entfernung
dessen, was nicht sein darf und was das Land an der Erreichung seiner Ziele
hindert. Die Negierung soll von uns erfahren, was nötig ist für die Ruhe
des Landes, sie darf nicht auf einem Wege gehen, der entfernt ist von dem
des Volkes." Und dann als Motto: „was es auch immer kosten möge, der
Krieg muß auf jeden Fall zu Ende geführt werden." Dasselbe Thema wurde
dann vom progressiven Blocke variiert, ein glattes Mißtrauensvotum der Re¬
gierung ausgestellt und hätten nicht die Mitglieder des Blockvorstandes ge¬
fürchtet, daß die ganze Duma nach Hause gejagt werden würde, so hätte wohl
die Erklärung noch ganz anders gelautet. Dies andere zu sagen, blieb Mil-
jukow. dem Führer der Kadetten, vorbehalten. Wir kennen seine Rede nicht,
wir wissen aber, daß er eine „vernichtende" Kritik an der Stürmerschen Außen-
Politik übte und nach innen parlamentarisches Regime verlangte, Ver¬
antwortlichkeit der Minister vor der Duma und ein Ministerium,
getragen von dem Vertrauen der Dumamehrheit.

Miljukows Äußerungen mögen den „Sphären" nicht angenehm geklungen
haben. Was war aber zu tun? Ein Ventil mußte geöffnet, ein Schuldiger
gefunden werden. Wo soviele Illusionen zerstört waren, wo die Angst der
Duma, wie die „Rjetsch" feststellt, sogar den siegreichen Ausgang des Krieges
in Frage gestellt sah, da mußte ein Opfer dargebracht werden und was lag
näher, als daß Stürmer dieses Opfer sein sollte? „Wir haben," so sagte
der „Kökökök", der sich schützend vor Stürmer stellte, „kein Recht, irgend
jemand die Schuld zu geben. . . Wir haben keine Tatsachen, wir können
nicht verurteilen. Es gab einmal eine Zeit, wo wir die Hoffnung hatten auf
eine leuchtende Zukunft, wo wir uns und andere damit beruhigen konnten,
daß unsere inneren Schwierigkeiten nur zeitweise durch den Krieg hervorgerufene
Übel seien, daß nur Männlichkeit und Geduld dazu gehörten, das Leben von
neuem in das gewohnte Geleise zu schieben..."

Solche Hoffnungen und Illusionen scheinen die einsichtigen Russen jetzt
verloren zu haben. Es gibt aber noch einige, die glauben, die Sache könnte
geändert werden, — wenn ein anderer Mann auf denselben Sessel gesetzt wird.
Diesen Leuten mußte geholfen werden. Der neue Mann heißt Trepow anstatt
Stürmer. Wahrscheinlich betrachtet Chwostow auch ihn mit lächelnd philo¬
sophischem Auge und konstatiert, daß der Sessel derselbe geblieben ist.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331277"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Zeit der schwindenden Illusionen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1055" prev="#ID_1054"> Stürmer zu beseitigen. Er vermochte es nicht, den Karren der Verpflegung<lb/>
wirklich in Gang zu bringen. Es wurde nichts getan und das Mißtrauen<lb/>
gegen die Regierung als Folge davon wurde immer größer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1056"> So war die Stimmung des Landes, als die Duma wieder einberufen<lb/>
wurde. Die Reden, die in den Sitzungen gehalten worden sind, sind soweit<lb/>
sie wirklich interessant sind, von der russischen Zensur gestrichen. Aber was noch<lb/>
übrig geblieben ist, genügt, um zu erkennen, was die Macher wollten. Rodsianko<lb/>
fing mit Trompetenstößen an. &#x201E;Die erste Notwendigkeit ist die Entfernung<lb/>
dessen, was nicht sein darf und was das Land an der Erreichung seiner Ziele<lb/>
hindert. Die Negierung soll von uns erfahren, was nötig ist für die Ruhe<lb/>
des Landes, sie darf nicht auf einem Wege gehen, der entfernt ist von dem<lb/>
des Volkes." Und dann als Motto: &#x201E;was es auch immer kosten möge, der<lb/>
Krieg muß auf jeden Fall zu Ende geführt werden." Dasselbe Thema wurde<lb/>
dann vom progressiven Blocke variiert, ein glattes Mißtrauensvotum der Re¬<lb/>
gierung ausgestellt und hätten nicht die Mitglieder des Blockvorstandes ge¬<lb/>
fürchtet, daß die ganze Duma nach Hause gejagt werden würde, so hätte wohl<lb/>
die Erklärung noch ganz anders gelautet. Dies andere zu sagen, blieb Mil-<lb/>
jukow. dem Führer der Kadetten, vorbehalten. Wir kennen seine Rede nicht,<lb/>
wir wissen aber, daß er eine &#x201E;vernichtende" Kritik an der Stürmerschen Außen-<lb/>
Politik übte und nach innen parlamentarisches Regime verlangte, Ver¬<lb/>
antwortlichkeit der Minister vor der Duma und ein Ministerium,<lb/>
getragen von dem Vertrauen der Dumamehrheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1057"> Miljukows Äußerungen mögen den &#x201E;Sphären" nicht angenehm geklungen<lb/>
haben. Was war aber zu tun? Ein Ventil mußte geöffnet, ein Schuldiger<lb/>
gefunden werden. Wo soviele Illusionen zerstört waren, wo die Angst der<lb/>
Duma, wie die &#x201E;Rjetsch" feststellt, sogar den siegreichen Ausgang des Krieges<lb/>
in Frage gestellt sah, da mußte ein Opfer dargebracht werden und was lag<lb/>
näher, als daß Stürmer dieses Opfer sein sollte? &#x201E;Wir haben," so sagte<lb/>
der &#x201E;Kökökök", der sich schützend vor Stürmer stellte, &#x201E;kein Recht, irgend<lb/>
jemand die Schuld zu geben. . . Wir haben keine Tatsachen, wir können<lb/>
nicht verurteilen. Es gab einmal eine Zeit, wo wir die Hoffnung hatten auf<lb/>
eine leuchtende Zukunft, wo wir uns und andere damit beruhigen konnten,<lb/>
daß unsere inneren Schwierigkeiten nur zeitweise durch den Krieg hervorgerufene<lb/>
Übel seien, daß nur Männlichkeit und Geduld dazu gehörten, das Leben von<lb/>
neuem in das gewohnte Geleise zu schieben..."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1058"> Solche Hoffnungen und Illusionen scheinen die einsichtigen Russen jetzt<lb/>
verloren zu haben. Es gibt aber noch einige, die glauben, die Sache könnte<lb/>
geändert werden, &#x2014; wenn ein anderer Mann auf denselben Sessel gesetzt wird.<lb/>
Diesen Leuten mußte geholfen werden. Der neue Mann heißt Trepow anstatt<lb/>
Stürmer. Wahrscheinlich betrachtet Chwostow auch ihn mit lächelnd philo¬<lb/>
sophischem Auge und konstatiert, daß der Sessel derselbe geblieben ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0305] Die Zeit der schwindenden Illusionen Stürmer zu beseitigen. Er vermochte es nicht, den Karren der Verpflegung wirklich in Gang zu bringen. Es wurde nichts getan und das Mißtrauen gegen die Regierung als Folge davon wurde immer größer. So war die Stimmung des Landes, als die Duma wieder einberufen wurde. Die Reden, die in den Sitzungen gehalten worden sind, sind soweit sie wirklich interessant sind, von der russischen Zensur gestrichen. Aber was noch übrig geblieben ist, genügt, um zu erkennen, was die Macher wollten. Rodsianko fing mit Trompetenstößen an. „Die erste Notwendigkeit ist die Entfernung dessen, was nicht sein darf und was das Land an der Erreichung seiner Ziele hindert. Die Negierung soll von uns erfahren, was nötig ist für die Ruhe des Landes, sie darf nicht auf einem Wege gehen, der entfernt ist von dem des Volkes." Und dann als Motto: „was es auch immer kosten möge, der Krieg muß auf jeden Fall zu Ende geführt werden." Dasselbe Thema wurde dann vom progressiven Blocke variiert, ein glattes Mißtrauensvotum der Re¬ gierung ausgestellt und hätten nicht die Mitglieder des Blockvorstandes ge¬ fürchtet, daß die ganze Duma nach Hause gejagt werden würde, so hätte wohl die Erklärung noch ganz anders gelautet. Dies andere zu sagen, blieb Mil- jukow. dem Führer der Kadetten, vorbehalten. Wir kennen seine Rede nicht, wir wissen aber, daß er eine „vernichtende" Kritik an der Stürmerschen Außen- Politik übte und nach innen parlamentarisches Regime verlangte, Ver¬ antwortlichkeit der Minister vor der Duma und ein Ministerium, getragen von dem Vertrauen der Dumamehrheit. Miljukows Äußerungen mögen den „Sphären" nicht angenehm geklungen haben. Was war aber zu tun? Ein Ventil mußte geöffnet, ein Schuldiger gefunden werden. Wo soviele Illusionen zerstört waren, wo die Angst der Duma, wie die „Rjetsch" feststellt, sogar den siegreichen Ausgang des Krieges in Frage gestellt sah, da mußte ein Opfer dargebracht werden und was lag näher, als daß Stürmer dieses Opfer sein sollte? „Wir haben," so sagte der „Kökökök", der sich schützend vor Stürmer stellte, „kein Recht, irgend jemand die Schuld zu geben. . . Wir haben keine Tatsachen, wir können nicht verurteilen. Es gab einmal eine Zeit, wo wir die Hoffnung hatten auf eine leuchtende Zukunft, wo wir uns und andere damit beruhigen konnten, daß unsere inneren Schwierigkeiten nur zeitweise durch den Krieg hervorgerufene Übel seien, daß nur Männlichkeit und Geduld dazu gehörten, das Leben von neuem in das gewohnte Geleise zu schieben..." Solche Hoffnungen und Illusionen scheinen die einsichtigen Russen jetzt verloren zu haben. Es gibt aber noch einige, die glauben, die Sache könnte geändert werden, — wenn ein anderer Mann auf denselben Sessel gesetzt wird. Diesen Leuten mußte geholfen werden. Der neue Mann heißt Trepow anstatt Stürmer. Wahrscheinlich betrachtet Chwostow auch ihn mit lächelnd philo¬ sophischem Auge und konstatiert, daß der Sessel derselbe geblieben ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/305
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/305>, abgerufen am 23.07.2024.