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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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vom französischen Sozialismus

militärische Gehorsamsverweigerung ihren berüchtigten Namen. Die C. G. T.
(die LoiiföäLration Zönörale ein travail), die Zentralinstanz der Gewerk¬
schaften, und ihre Treibereien standen eine Zeitlang im Mittelpunkt des poli¬
tischen Lebens, und noch wohl in Erinnerung sind die scharfen Matzregeln eines
Clömenceau und eines Briand gegen ihre bedrohliche Staatsfeindschaft.

Der offizielle Sozialismus ruht auf einer weit optimistischeren Welt¬
anschauung. Der Zukunftsstaat mit besserer und glücklicherer Organisation ist
für ihn umrissene Wirklichkeit, nicht unbestimmter Nebel wie für den Pessimismus
des Syndikalisten. Mit dem Gegenwartsstaat vermag er sich bis zu einem gewissen
Grade abzufinden. In der Form einer demokratischen Republik unterstützt er
ihn sogar, da sie ja auch die Grundlage seines Zukunftsstaates und ihm jeden¬
falls lieber als eine etwaige andere Staatsform ist. Verständnis für die Be¬
dürfnisse des Staates und gleichzeitig ein gewisser Opportunismus sind die
unmittelbare, wenn auch ungewollte Folge.

In schärfster Zuspitzung zeigt sich der Gegensatz von Syndikalismus und
Parteisozialismus in ihrer Stellung zur Nationalidee. Der Sozialismus ist oder
war zwar international, aber doch nicht antinational. Der Syndikalismus war
bewußt antipatriotisch und in strenger Konsequenz durch und durch antimili¬
taristisch. Ein Griffuelhes, ein Jouhaux und in seiner anarchistischen Zeit ein
Hervä fanden Worte wildesten Hasses gegen Militär und Trikolore. Die C. G. T.
zog sich wegen Aufreizung zu Meuterei und Militärrevolte schärfste Verfolgung
zu. Auch bei den Unifizierten fiel das Wort Antimilitarismus gelegentlich
sogar ebenfalls mit recht scharfer Betonung. Ihre Heeresfeindschast richtete sich
jedoch gegen das augenblickliche Kasernenheer, vermochte aber, wie Jaurös be¬
deutendes Buch über die Miliz beweist, sehr wohl die Notwendigkeit einer
nationalen Verteidigungsarmee zu bejahen.

Es ist klar, daß ein bedeutender Teil der Arbeiterschaft durch die Syndikate
in Spannung mit der Partei geriet. Wenn auch die französischen Gewerk¬
schaften bei weitem nicht die Bedeutung der deutschen hatten, wenn ihnen (bei
ihrer geistigen Grundlage naturgemäß!) auch deren Geschlossenheit fehlte, so
entzogen sie doch der Partei starke Kräfte und trugen ein weiteres zur geistigen
und politischen Zerklüftung des französischen Proletariats bei. Die Syndikalisten
wählen wohl zum Teil sozialistisch, aber ohne in die Partei einzutreten und ohne
ihr ihre Kräfte zu widmen. Grollend und mit bitterer Kritik stehen sie bei¬
seite, und ebensoviel Übel wie Gutes sehen sie von der parlamentarischen Ver¬
tretung seinen Ausgang nehmen. Zwischen den beiderseitigen Führern be¬
standen allerdings mehr oder weniger lose Beziehungen, besonders seit die
Sozialdemokratie im Gefolge des Kongresses zu Nancy wieder näher an den
Syndikalismus heranrückte. Aber die Wucht der Geschlossenheit fehlt dem
Proletariat Frankreichs.

Diese Zersplitterung der französischen Arbeiterschaft ist zum guten Teile
die Folge der nationalen Anlage und der nationalen Verhältnisse. Der Ab-


vom französischen Sozialismus

militärische Gehorsamsverweigerung ihren berüchtigten Namen. Die C. G. T.
(die LoiiföäLration Zönörale ein travail), die Zentralinstanz der Gewerk¬
schaften, und ihre Treibereien standen eine Zeitlang im Mittelpunkt des poli¬
tischen Lebens, und noch wohl in Erinnerung sind die scharfen Matzregeln eines
Clömenceau und eines Briand gegen ihre bedrohliche Staatsfeindschaft.

Der offizielle Sozialismus ruht auf einer weit optimistischeren Welt¬
anschauung. Der Zukunftsstaat mit besserer und glücklicherer Organisation ist
für ihn umrissene Wirklichkeit, nicht unbestimmter Nebel wie für den Pessimismus
des Syndikalisten. Mit dem Gegenwartsstaat vermag er sich bis zu einem gewissen
Grade abzufinden. In der Form einer demokratischen Republik unterstützt er
ihn sogar, da sie ja auch die Grundlage seines Zukunftsstaates und ihm jeden¬
falls lieber als eine etwaige andere Staatsform ist. Verständnis für die Be¬
dürfnisse des Staates und gleichzeitig ein gewisser Opportunismus sind die
unmittelbare, wenn auch ungewollte Folge.

In schärfster Zuspitzung zeigt sich der Gegensatz von Syndikalismus und
Parteisozialismus in ihrer Stellung zur Nationalidee. Der Sozialismus ist oder
war zwar international, aber doch nicht antinational. Der Syndikalismus war
bewußt antipatriotisch und in strenger Konsequenz durch und durch antimili¬
taristisch. Ein Griffuelhes, ein Jouhaux und in seiner anarchistischen Zeit ein
Hervä fanden Worte wildesten Hasses gegen Militär und Trikolore. Die C. G. T.
zog sich wegen Aufreizung zu Meuterei und Militärrevolte schärfste Verfolgung
zu. Auch bei den Unifizierten fiel das Wort Antimilitarismus gelegentlich
sogar ebenfalls mit recht scharfer Betonung. Ihre Heeresfeindschast richtete sich
jedoch gegen das augenblickliche Kasernenheer, vermochte aber, wie Jaurös be¬
deutendes Buch über die Miliz beweist, sehr wohl die Notwendigkeit einer
nationalen Verteidigungsarmee zu bejahen.

Es ist klar, daß ein bedeutender Teil der Arbeiterschaft durch die Syndikate
in Spannung mit der Partei geriet. Wenn auch die französischen Gewerk¬
schaften bei weitem nicht die Bedeutung der deutschen hatten, wenn ihnen (bei
ihrer geistigen Grundlage naturgemäß!) auch deren Geschlossenheit fehlte, so
entzogen sie doch der Partei starke Kräfte und trugen ein weiteres zur geistigen
und politischen Zerklüftung des französischen Proletariats bei. Die Syndikalisten
wählen wohl zum Teil sozialistisch, aber ohne in die Partei einzutreten und ohne
ihr ihre Kräfte zu widmen. Grollend und mit bitterer Kritik stehen sie bei¬
seite, und ebensoviel Übel wie Gutes sehen sie von der parlamentarischen Ver¬
tretung seinen Ausgang nehmen. Zwischen den beiderseitigen Führern be¬
standen allerdings mehr oder weniger lose Beziehungen, besonders seit die
Sozialdemokratie im Gefolge des Kongresses zu Nancy wieder näher an den
Syndikalismus heranrückte. Aber die Wucht der Geschlossenheit fehlt dem
Proletariat Frankreichs.

Diese Zersplitterung der französischen Arbeiterschaft ist zum guten Teile
die Folge der nationalen Anlage und der nationalen Verhältnisse. Der Ab-


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[0274] vom französischen Sozialismus militärische Gehorsamsverweigerung ihren berüchtigten Namen. Die C. G. T. (die LoiiföäLration Zönörale ein travail), die Zentralinstanz der Gewerk¬ schaften, und ihre Treibereien standen eine Zeitlang im Mittelpunkt des poli¬ tischen Lebens, und noch wohl in Erinnerung sind die scharfen Matzregeln eines Clömenceau und eines Briand gegen ihre bedrohliche Staatsfeindschaft. Der offizielle Sozialismus ruht auf einer weit optimistischeren Welt¬ anschauung. Der Zukunftsstaat mit besserer und glücklicherer Organisation ist für ihn umrissene Wirklichkeit, nicht unbestimmter Nebel wie für den Pessimismus des Syndikalisten. Mit dem Gegenwartsstaat vermag er sich bis zu einem gewissen Grade abzufinden. In der Form einer demokratischen Republik unterstützt er ihn sogar, da sie ja auch die Grundlage seines Zukunftsstaates und ihm jeden¬ falls lieber als eine etwaige andere Staatsform ist. Verständnis für die Be¬ dürfnisse des Staates und gleichzeitig ein gewisser Opportunismus sind die unmittelbare, wenn auch ungewollte Folge. In schärfster Zuspitzung zeigt sich der Gegensatz von Syndikalismus und Parteisozialismus in ihrer Stellung zur Nationalidee. Der Sozialismus ist oder war zwar international, aber doch nicht antinational. Der Syndikalismus war bewußt antipatriotisch und in strenger Konsequenz durch und durch antimili¬ taristisch. Ein Griffuelhes, ein Jouhaux und in seiner anarchistischen Zeit ein Hervä fanden Worte wildesten Hasses gegen Militär und Trikolore. Die C. G. T. zog sich wegen Aufreizung zu Meuterei und Militärrevolte schärfste Verfolgung zu. Auch bei den Unifizierten fiel das Wort Antimilitarismus gelegentlich sogar ebenfalls mit recht scharfer Betonung. Ihre Heeresfeindschast richtete sich jedoch gegen das augenblickliche Kasernenheer, vermochte aber, wie Jaurös be¬ deutendes Buch über die Miliz beweist, sehr wohl die Notwendigkeit einer nationalen Verteidigungsarmee zu bejahen. Es ist klar, daß ein bedeutender Teil der Arbeiterschaft durch die Syndikate in Spannung mit der Partei geriet. Wenn auch die französischen Gewerk¬ schaften bei weitem nicht die Bedeutung der deutschen hatten, wenn ihnen (bei ihrer geistigen Grundlage naturgemäß!) auch deren Geschlossenheit fehlte, so entzogen sie doch der Partei starke Kräfte und trugen ein weiteres zur geistigen und politischen Zerklüftung des französischen Proletariats bei. Die Syndikalisten wählen wohl zum Teil sozialistisch, aber ohne in die Partei einzutreten und ohne ihr ihre Kräfte zu widmen. Grollend und mit bitterer Kritik stehen sie bei¬ seite, und ebensoviel Übel wie Gutes sehen sie von der parlamentarischen Ver¬ tretung seinen Ausgang nehmen. Zwischen den beiderseitigen Führern be¬ standen allerdings mehr oder weniger lose Beziehungen, besonders seit die Sozialdemokratie im Gefolge des Kongresses zu Nancy wieder näher an den Syndikalismus heranrückte. Aber die Wucht der Geschlossenheit fehlt dem Proletariat Frankreichs. Diese Zersplitterung der französischen Arbeiterschaft ist zum guten Teile die Folge der nationalen Anlage und der nationalen Verhältnisse. Der Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/274>, abgerufen am 25.07.2024.