Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.vom französischen Sozialismus fest. Man glaubt durchaus in klein- und mittelbürgerlichen Kreisen zu sein. Nirgends ist die Arbeiterschaft vielleicht so zerklüftet wie in Frankreich. Schlimmer und schwerwiegender vielleicht als dieses Auseinandergehen Die Begriffe ZMälcaliLtes und socialistes werden keineswegs als identisch Die Syndikate stehen durchaus unter dem Einfluß anarchistischer Gedanken. vom französischen Sozialismus fest. Man glaubt durchaus in klein- und mittelbürgerlichen Kreisen zu sein. Nirgends ist die Arbeiterschaft vielleicht so zerklüftet wie in Frankreich. Schlimmer und schwerwiegender vielleicht als dieses Auseinandergehen Die Begriffe ZMälcaliLtes und socialistes werden keineswegs als identisch Die Syndikate stehen durchaus unter dem Einfluß anarchistischer Gedanken. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331245"/> <fw type="header" place="top"> vom französischen Sozialismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_925" prev="#ID_924"> fest. Man glaubt durchaus in klein- und mittelbürgerlichen Kreisen zu sein.<lb/> Die Mütze und der kragenlose Hals, so typisch für reine Arbeiterversammlungen<lb/> etwa aus syndikalistischen Kreisen, fehlen fast völlig. Diese Beobachtung kann<lb/> man gerade auch in Industriestädten machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_926"> Nirgends ist die Arbeiterschaft vielleicht so zerklüftet wie in Frankreich.<lb/> Die Anziehungskraft des bourgeoisen Sozialismus also besonders der „Unab¬<lb/> hängigen" auf einen nicht unbeträchtlichen Teil derselben wurde schon erwähnt.<lb/> Lyon wählt höchstens zur Hälfte (e. 4) Unifizierte. Die andere Hälfte mit<lb/> Ausnahme eines einzigen Klerikalen ist „Unabhängig". Der Mittelpunkt des<lb/> zentralfranzösischen Kohlenbeckens, Se. Etienne, eine reine Arbeiterstadt auch im<lb/> ganzen äußeren Habitus, entsendet Briand, den meistgehaßten und meistbe¬<lb/> kämpften Abtrünnigen, und neben ihm meist nur einen Internationalen. Der<lb/> im ganzen kleine Teil klerikaler Arbeiter mag nur eben erwähnt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_927"> Schlimmer und schwerwiegender vielleicht als dieses Auseinandergehen<lb/> weltanschaulich verschieden orientierter Richtungen ist der Widerstreit im wirklich<lb/> klassenbewußten Proletariat selbst. Der Gegensatz von sozialdemokratischer Partei<lb/> und Gewerkschaften (Syndikate) ist bekannt. Er ist weit schärfer als in<lb/> Deutschland, hat vor allem auch eine ganz andere und für die Partei bedenk¬<lb/> liche Grundlage. Er ist mehr als ein Gegensatz der Mittel, er erstreckt sich<lb/> bis in die Ziele. Während bei uns die Gewerkschaften das gemäßigte Element<lb/> darstellten, sind sie in Frankreich gerade umgekehrt die Vertreter des schärfsten<lb/> Revolutionismus, und während sie in Deutschland den Zusammenhang mit<lb/> der Partei trotz allem nie verloren, steigerte sich dort der Gegensatz zu offener<lb/> gegenseitiger Bekämpfung.</p><lb/> <p xml:id="ID_928"> Die Begriffe ZMälcaliLtes und socialistes werden keineswegs als identisch<lb/> angesehen. Die Weite der Entwicklung von einem zum andern zeigt am besten<lb/> das Beispiel Heros's. Hero6 der Sozialist war sich sehr wohl bewußt, welche<lb/> Schwenkung er durch seine offizielle Beteiligung an sozialistischer Parteiarbeit<lb/> vollzogen hatte. Bald nach der bekannten Baseler Parlamentarierzusammenkunst<lb/> suchte er in Lyon anläßlich eines Vortrags über diesen Kongreß vor einer<lb/> größtenteils syndikalistischen Zuhörerschaft sich und die Partei nachdrücklich zu<lb/> rechtfertigen, fand aber nur tumultuarischen Widerspruch.</p><lb/> <p xml:id="ID_929" next="#ID_930"> Die Syndikate stehen durchaus unter dem Einfluß anarchistischer Gedanken.<lb/> Ihre geistigen Leiter sind im Grunde Gegner jeder parlamentarischen Tätigkeit<lb/> und Vertretung, Feinde sogar jeder, insbesondere jeder parteipolitischer Organi¬<lb/> sation. Sie sehen das Heil des Proletariers und die Möglichkeit der Ver¬<lb/> besserung seines Loses allein in der revolutionären Tat. ihre Gewerkorganisation<lb/> betrachten sie mehr oder weniger nur als Mittel zu ihrer besseren Durchführung.<lb/> Ihr eigentliches Ziel ist die gewaltsame Loslösung vom Staate, die Vernichtung<lb/> jeder Staatsorganisation, ganz gleichgültig ob Republik oder Monarchie. Sie<lb/> sind theoretisch Vertreter der schärfsten Mittel und haben sie zum Teil auch in<lb/> der Praxis anzuwenden versucht. Ihnen verdanken Sabotage, Generalstreik,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0273]
vom französischen Sozialismus
fest. Man glaubt durchaus in klein- und mittelbürgerlichen Kreisen zu sein.
Die Mütze und der kragenlose Hals, so typisch für reine Arbeiterversammlungen
etwa aus syndikalistischen Kreisen, fehlen fast völlig. Diese Beobachtung kann
man gerade auch in Industriestädten machen.
Nirgends ist die Arbeiterschaft vielleicht so zerklüftet wie in Frankreich.
Die Anziehungskraft des bourgeoisen Sozialismus also besonders der „Unab¬
hängigen" auf einen nicht unbeträchtlichen Teil derselben wurde schon erwähnt.
Lyon wählt höchstens zur Hälfte (e. 4) Unifizierte. Die andere Hälfte mit
Ausnahme eines einzigen Klerikalen ist „Unabhängig". Der Mittelpunkt des
zentralfranzösischen Kohlenbeckens, Se. Etienne, eine reine Arbeiterstadt auch im
ganzen äußeren Habitus, entsendet Briand, den meistgehaßten und meistbe¬
kämpften Abtrünnigen, und neben ihm meist nur einen Internationalen. Der
im ganzen kleine Teil klerikaler Arbeiter mag nur eben erwähnt werden.
Schlimmer und schwerwiegender vielleicht als dieses Auseinandergehen
weltanschaulich verschieden orientierter Richtungen ist der Widerstreit im wirklich
klassenbewußten Proletariat selbst. Der Gegensatz von sozialdemokratischer Partei
und Gewerkschaften (Syndikate) ist bekannt. Er ist weit schärfer als in
Deutschland, hat vor allem auch eine ganz andere und für die Partei bedenk¬
liche Grundlage. Er ist mehr als ein Gegensatz der Mittel, er erstreckt sich
bis in die Ziele. Während bei uns die Gewerkschaften das gemäßigte Element
darstellten, sind sie in Frankreich gerade umgekehrt die Vertreter des schärfsten
Revolutionismus, und während sie in Deutschland den Zusammenhang mit
der Partei trotz allem nie verloren, steigerte sich dort der Gegensatz zu offener
gegenseitiger Bekämpfung.
Die Begriffe ZMälcaliLtes und socialistes werden keineswegs als identisch
angesehen. Die Weite der Entwicklung von einem zum andern zeigt am besten
das Beispiel Heros's. Hero6 der Sozialist war sich sehr wohl bewußt, welche
Schwenkung er durch seine offizielle Beteiligung an sozialistischer Parteiarbeit
vollzogen hatte. Bald nach der bekannten Baseler Parlamentarierzusammenkunst
suchte er in Lyon anläßlich eines Vortrags über diesen Kongreß vor einer
größtenteils syndikalistischen Zuhörerschaft sich und die Partei nachdrücklich zu
rechtfertigen, fand aber nur tumultuarischen Widerspruch.
Die Syndikate stehen durchaus unter dem Einfluß anarchistischer Gedanken.
Ihre geistigen Leiter sind im Grunde Gegner jeder parlamentarischen Tätigkeit
und Vertretung, Feinde sogar jeder, insbesondere jeder parteipolitischer Organi¬
sation. Sie sehen das Heil des Proletariers und die Möglichkeit der Ver¬
besserung seines Loses allein in der revolutionären Tat. ihre Gewerkorganisation
betrachten sie mehr oder weniger nur als Mittel zu ihrer besseren Durchführung.
Ihr eigentliches Ziel ist die gewaltsame Loslösung vom Staate, die Vernichtung
jeder Staatsorganisation, ganz gleichgültig ob Republik oder Monarchie. Sie
sind theoretisch Vertreter der schärfsten Mittel und haben sie zum Teil auch in
der Praxis anzuwenden versucht. Ihnen verdanken Sabotage, Generalstreik,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |