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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Entlassung Aricgsgefangener gegen Ehrenwort

bei gegenseitigem Austausche hervorragender Gefangener, wie ein solcher zwischen
Rußland und den Mittelmächten vorgekommen sein soll, denkbar wären. Der
Kaiser von Nußland hat noch am 31. Oktober 1914 einen Ukas an die
Militärverwaltung erlassen, nach dem die Entlassung gegen Ehrenwort möglich
ist. Aus dem Kreuzerkriege jedoch und dem Kolonialkriege sind eine Reihe von
Füllen endgültiger Entlassung gegen Ehrenwort berichtet worden. Im Seekriege
werden diese Fälle meistens in Nachachtung des angeführten elften Haager
Abkommens geschehen fein. Im See- und Kolonialkriege aber wird der Sieger
öfter als im Landkriege auch durch die Kriegslage veranlaßt werden, von der
Entlassung der Gefangenen gegen Ehrenwort Gebrauch zu machen, dann näm¬
lich, wenn die Einbringung der Gefangenen, sei es wegen Ernährungsschwierig¬
keiten, sei es wegen der Unmöglichkeit der Fortschaffung zum Ausgangspunkt
der Unternehmung nicht geraten erscheint.

In umfangreicheren Maße ist im heutigen Kriege von der freien Be¬
wegung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort Gebrauch gemacht. Zwar nicht
mehr so uneingeschränkt wie 1870/71, wo die freie Bewegung der gefangenen
Offiziere in Deutschland fast die Regel war. In Rußland, wo die Behandlung
Kriegsgefangener auf so eigenartigen, ganz willkürlich durchgeführten Grund¬
sätzen beruht und von vielen Zufällen abhängig ist, hat man wenigstens zu
Beginn des Krieges deutschen Offizieren und Reserveoffizieren den freien Aufenthalt
in bestimmten Bezirken gegen Ehrenwort angeboten und hat diese Art der Unter¬
bringung gefangener Offiziere in dem erwähnten Befehle vom 31. Oktober 1914
ausführlicher geordnet. Auch in Frankreich ist im Anfang des Krieges Offizieren
eine gewisse Bewegungsfreiheit gegen Ehrenwort gestattet gewesen, jedoch später
nach einer Nachricht der "Agence Havas" aufgehoben worden.

Der Wortbruch eines französischen Offiziers hat wiederum in diesem
Kriege unliebsames Aufsehen erregt, um so mehr, als das Ehrenwort einem
neutralen Staate gegenüber gegeben war. Im August 1915 veröffentliche
das Pressebureau des Schweizer Armeestabes. daß der französische Fliegerleutnant
Gilbert, der in der Schweiz interniert gewesen war, unter Bruch des Ehren¬
wortes entflohen sei. Auch hier versuchte er und die französische Presse die Tat
mit Spitzfindigkeit und List zu entschuldigen. Gilbert hatte nämlich, wie be¬
richtet wird, im letzten Augenblick sein Ehrenwort schriftlich zurückgezogen, jedoch
wohlweislich so spät, daß dies erst nach gelungener Flucht zur Kenntnis der
Bewachungsbehörde gelangen konnte.

Wenn wir in die Zukunft der ehrenwörtlichen Verträge Kriegsgefangener
mit dem Sieger einen Blick werfen wollen, so ist es nicht schwer vorauszusehen,
daß der Brauch der endgültigen Entlassung wohl bald der Geschichte angehören
wird, abgesehen von den Fällen, in denen die Kriegslage es dem Sieger vor¬
teilhafter erscheinen lassen wird, von der Entlassung der Gefangenen Gebrauch
zu machen. Nach den Erfahrungen, die Deutschland mit der freien Bewegung
Gefangener gegen Ehrenwort gemacht hat, wird auch dieser Brauch nur aus-


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Die Entlassung Aricgsgefangener gegen Ehrenwort

bei gegenseitigem Austausche hervorragender Gefangener, wie ein solcher zwischen
Rußland und den Mittelmächten vorgekommen sein soll, denkbar wären. Der
Kaiser von Nußland hat noch am 31. Oktober 1914 einen Ukas an die
Militärverwaltung erlassen, nach dem die Entlassung gegen Ehrenwort möglich
ist. Aus dem Kreuzerkriege jedoch und dem Kolonialkriege sind eine Reihe von
Füllen endgültiger Entlassung gegen Ehrenwort berichtet worden. Im Seekriege
werden diese Fälle meistens in Nachachtung des angeführten elften Haager
Abkommens geschehen fein. Im See- und Kolonialkriege aber wird der Sieger
öfter als im Landkriege auch durch die Kriegslage veranlaßt werden, von der
Entlassung der Gefangenen gegen Ehrenwort Gebrauch zu machen, dann näm¬
lich, wenn die Einbringung der Gefangenen, sei es wegen Ernährungsschwierig¬
keiten, sei es wegen der Unmöglichkeit der Fortschaffung zum Ausgangspunkt
der Unternehmung nicht geraten erscheint.

In umfangreicheren Maße ist im heutigen Kriege von der freien Be¬
wegung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort Gebrauch gemacht. Zwar nicht
mehr so uneingeschränkt wie 1870/71, wo die freie Bewegung der gefangenen
Offiziere in Deutschland fast die Regel war. In Rußland, wo die Behandlung
Kriegsgefangener auf so eigenartigen, ganz willkürlich durchgeführten Grund¬
sätzen beruht und von vielen Zufällen abhängig ist, hat man wenigstens zu
Beginn des Krieges deutschen Offizieren und Reserveoffizieren den freien Aufenthalt
in bestimmten Bezirken gegen Ehrenwort angeboten und hat diese Art der Unter¬
bringung gefangener Offiziere in dem erwähnten Befehle vom 31. Oktober 1914
ausführlicher geordnet. Auch in Frankreich ist im Anfang des Krieges Offizieren
eine gewisse Bewegungsfreiheit gegen Ehrenwort gestattet gewesen, jedoch später
nach einer Nachricht der „Agence Havas" aufgehoben worden.

Der Wortbruch eines französischen Offiziers hat wiederum in diesem
Kriege unliebsames Aufsehen erregt, um so mehr, als das Ehrenwort einem
neutralen Staate gegenüber gegeben war. Im August 1915 veröffentliche
das Pressebureau des Schweizer Armeestabes. daß der französische Fliegerleutnant
Gilbert, der in der Schweiz interniert gewesen war, unter Bruch des Ehren¬
wortes entflohen sei. Auch hier versuchte er und die französische Presse die Tat
mit Spitzfindigkeit und List zu entschuldigen. Gilbert hatte nämlich, wie be¬
richtet wird, im letzten Augenblick sein Ehrenwort schriftlich zurückgezogen, jedoch
wohlweislich so spät, daß dies erst nach gelungener Flucht zur Kenntnis der
Bewachungsbehörde gelangen konnte.

Wenn wir in die Zukunft der ehrenwörtlichen Verträge Kriegsgefangener
mit dem Sieger einen Blick werfen wollen, so ist es nicht schwer vorauszusehen,
daß der Brauch der endgültigen Entlassung wohl bald der Geschichte angehören
wird, abgesehen von den Fällen, in denen die Kriegslage es dem Sieger vor¬
teilhafter erscheinen lassen wird, von der Entlassung der Gefangenen Gebrauch
zu machen. Nach den Erfahrungen, die Deutschland mit der freien Bewegung
Gefangener gegen Ehrenwort gemacht hat, wird auch dieser Brauch nur aus-


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[0255] Die Entlassung Aricgsgefangener gegen Ehrenwort bei gegenseitigem Austausche hervorragender Gefangener, wie ein solcher zwischen Rußland und den Mittelmächten vorgekommen sein soll, denkbar wären. Der Kaiser von Nußland hat noch am 31. Oktober 1914 einen Ukas an die Militärverwaltung erlassen, nach dem die Entlassung gegen Ehrenwort möglich ist. Aus dem Kreuzerkriege jedoch und dem Kolonialkriege sind eine Reihe von Füllen endgültiger Entlassung gegen Ehrenwort berichtet worden. Im Seekriege werden diese Fälle meistens in Nachachtung des angeführten elften Haager Abkommens geschehen fein. Im See- und Kolonialkriege aber wird der Sieger öfter als im Landkriege auch durch die Kriegslage veranlaßt werden, von der Entlassung der Gefangenen gegen Ehrenwort Gebrauch zu machen, dann näm¬ lich, wenn die Einbringung der Gefangenen, sei es wegen Ernährungsschwierig¬ keiten, sei es wegen der Unmöglichkeit der Fortschaffung zum Ausgangspunkt der Unternehmung nicht geraten erscheint. In umfangreicheren Maße ist im heutigen Kriege von der freien Be¬ wegung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort Gebrauch gemacht. Zwar nicht mehr so uneingeschränkt wie 1870/71, wo die freie Bewegung der gefangenen Offiziere in Deutschland fast die Regel war. In Rußland, wo die Behandlung Kriegsgefangener auf so eigenartigen, ganz willkürlich durchgeführten Grund¬ sätzen beruht und von vielen Zufällen abhängig ist, hat man wenigstens zu Beginn des Krieges deutschen Offizieren und Reserveoffizieren den freien Aufenthalt in bestimmten Bezirken gegen Ehrenwort angeboten und hat diese Art der Unter¬ bringung gefangener Offiziere in dem erwähnten Befehle vom 31. Oktober 1914 ausführlicher geordnet. Auch in Frankreich ist im Anfang des Krieges Offizieren eine gewisse Bewegungsfreiheit gegen Ehrenwort gestattet gewesen, jedoch später nach einer Nachricht der „Agence Havas" aufgehoben worden. Der Wortbruch eines französischen Offiziers hat wiederum in diesem Kriege unliebsames Aufsehen erregt, um so mehr, als das Ehrenwort einem neutralen Staate gegenüber gegeben war. Im August 1915 veröffentliche das Pressebureau des Schweizer Armeestabes. daß der französische Fliegerleutnant Gilbert, der in der Schweiz interniert gewesen war, unter Bruch des Ehren¬ wortes entflohen sei. Auch hier versuchte er und die französische Presse die Tat mit Spitzfindigkeit und List zu entschuldigen. Gilbert hatte nämlich, wie be¬ richtet wird, im letzten Augenblick sein Ehrenwort schriftlich zurückgezogen, jedoch wohlweislich so spät, daß dies erst nach gelungener Flucht zur Kenntnis der Bewachungsbehörde gelangen konnte. Wenn wir in die Zukunft der ehrenwörtlichen Verträge Kriegsgefangener mit dem Sieger einen Blick werfen wollen, so ist es nicht schwer vorauszusehen, daß der Brauch der endgültigen Entlassung wohl bald der Geschichte angehören wird, abgesehen von den Fällen, in denen die Kriegslage es dem Sieger vor¬ teilhafter erscheinen lassen wird, von der Entlassung der Gefangenen Gebrauch zu machen. Nach den Erfahrungen, die Deutschland mit der freien Bewegung Gefangener gegen Ehrenwort gemacht hat, wird auch dieser Brauch nur aus- 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/255>, abgerufen am 23.07.2024.