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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

ehrenhaften Elemente im französischen Heere zurückzuführen sein, daß die
Nationalversammlung später das Verfahren der Regierung heftig rügte, so daß
im einzelnen Falle gegen die wortbrüchigen Offiziere vorgegangen wurde.

Kein Krieg in neuerer Zeit hat wohl fo nachhaltigen Einfluß auf die
Fortentwicklung des Völkerrechts geübt, wie der von 1870/71. er regte zu
weiteren internationalen Zusammenkünften und zu Versuchen an. die Gesetze
und Gebräuche des Landkrieges festzulegen. Auch die Erfahrungen mit der
Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort wurden in den am Kriege be¬
teiligten Ländern viel erörtert; kaum ein Handbuch des Völkerrechts überging
sie mit Stillschweigen. Die Franzosen suchten die Haltung der wortbrüchigen
Offiziere zu beschönigen oder wenigstens als durch die Umstände entschuldbar
hinzustellen.

Die Ersahrungen von 1870 veranlaßten den deutschen Generalstab in der
von ihm im Jahre 1902 herausgegebenen Schrift "Kriegsgebrauch im Land¬
kriege" auszuführen, daß Entlassung ganzer Truppenteile auf Ehrenwort nicht
üblich sei, daß vielmehr mit jedem einzelnen verhandelt werden müsse und
jede derartige Verhandlung "sehr genau zu formulieren und der Wortlaut aufs
sorgfältigste zu prüfen sei". Besonderes Gewicht wird darauf gelegt, daß genau
ausgedrückt werde, ob der Entlassene nur verpflichtet sei, in dem gegenwärtigen
Kriege nicht mehr mit den Waffen gegen den entlassenden Staat zu kämpfen, ob
er dagegen seinem Lande in anderweitigen Stellungen oder in Kolonien usw.
Dienste leisten könne, oder ob ihm alle und jede Dienstleistung untersagt sei.

Auch in den weiteren Kriegen des neunzehnten und in den kleineren des
zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Brauch der ehrenwörtlichen Entlassung Kriegs¬
gefangener geübt. Dabei blieb die umfassende Verpflichtungsformel, die bei den
großen Kapitulationen des Jahres 1870 angewandt war, vorbildlich. Im Buren¬
kriege mußten bei der Übergabe von Bloemfontein die gefangenen Buren
folgenden Eid leisten: "Ich schwöre, während der Dauer des jetzigen Krieges nicht
die Waffen gegen die englische Regierung wieder zu ergreifen, und den Re¬
publikanern weder Beistand leisten, noch ihnen Nachrichten über die englischen
Streitkräfte zu bringen", sowie: "Ich schwöre bis zum Ende des Krieges ruhig
zu Hause zu bleiben. Ich weiß übrigens, daß ich mich durch Verletzung meiner
Eide nach Kriegsrecht strafbar mache".

Bei Übergabe von Port Arthur am 7. Januar 1905 mußten die russische::
Offiziere, Beamten und Freiwilligen sich schriftlich auf ihr Ehrenwort hin ver¬
pflichten, bis zur Beendigung des Krieges nicht die Waffen zu ergreifen und
keine gegen die japanischen Interessen verstoßende Handlung zu begehen. Nach
dem Kampfe vom 10. August 1904 im selben Kriege wurde die Besatzung der
russischen Schiffe, die nach Kiautschou geflüchtet waren, gegen ihr Ehrenwort,
w Tsingtau bis zum Ende des Krieges zu bleiben, entlassen.

So machte die Praxis des Kriegsrechts von alters her bis in die neueste
Zeit umfangreichen Gebrauch von der Entlassung Kriegsgefangener mit dem


Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

ehrenhaften Elemente im französischen Heere zurückzuführen sein, daß die
Nationalversammlung später das Verfahren der Regierung heftig rügte, so daß
im einzelnen Falle gegen die wortbrüchigen Offiziere vorgegangen wurde.

Kein Krieg in neuerer Zeit hat wohl fo nachhaltigen Einfluß auf die
Fortentwicklung des Völkerrechts geübt, wie der von 1870/71. er regte zu
weiteren internationalen Zusammenkünften und zu Versuchen an. die Gesetze
und Gebräuche des Landkrieges festzulegen. Auch die Erfahrungen mit der
Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort wurden in den am Kriege be¬
teiligten Ländern viel erörtert; kaum ein Handbuch des Völkerrechts überging
sie mit Stillschweigen. Die Franzosen suchten die Haltung der wortbrüchigen
Offiziere zu beschönigen oder wenigstens als durch die Umstände entschuldbar
hinzustellen.

Die Ersahrungen von 1870 veranlaßten den deutschen Generalstab in der
von ihm im Jahre 1902 herausgegebenen Schrift „Kriegsgebrauch im Land¬
kriege" auszuführen, daß Entlassung ganzer Truppenteile auf Ehrenwort nicht
üblich sei, daß vielmehr mit jedem einzelnen verhandelt werden müsse und
jede derartige Verhandlung „sehr genau zu formulieren und der Wortlaut aufs
sorgfältigste zu prüfen sei". Besonderes Gewicht wird darauf gelegt, daß genau
ausgedrückt werde, ob der Entlassene nur verpflichtet sei, in dem gegenwärtigen
Kriege nicht mehr mit den Waffen gegen den entlassenden Staat zu kämpfen, ob
er dagegen seinem Lande in anderweitigen Stellungen oder in Kolonien usw.
Dienste leisten könne, oder ob ihm alle und jede Dienstleistung untersagt sei.

Auch in den weiteren Kriegen des neunzehnten und in den kleineren des
zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Brauch der ehrenwörtlichen Entlassung Kriegs¬
gefangener geübt. Dabei blieb die umfassende Verpflichtungsformel, die bei den
großen Kapitulationen des Jahres 1870 angewandt war, vorbildlich. Im Buren¬
kriege mußten bei der Übergabe von Bloemfontein die gefangenen Buren
folgenden Eid leisten: „Ich schwöre, während der Dauer des jetzigen Krieges nicht
die Waffen gegen die englische Regierung wieder zu ergreifen, und den Re¬
publikanern weder Beistand leisten, noch ihnen Nachrichten über die englischen
Streitkräfte zu bringen", sowie: „Ich schwöre bis zum Ende des Krieges ruhig
zu Hause zu bleiben. Ich weiß übrigens, daß ich mich durch Verletzung meiner
Eide nach Kriegsrecht strafbar mache".

Bei Übergabe von Port Arthur am 7. Januar 1905 mußten die russische::
Offiziere, Beamten und Freiwilligen sich schriftlich auf ihr Ehrenwort hin ver¬
pflichten, bis zur Beendigung des Krieges nicht die Waffen zu ergreifen und
keine gegen die japanischen Interessen verstoßende Handlung zu begehen. Nach
dem Kampfe vom 10. August 1904 im selben Kriege wurde die Besatzung der
russischen Schiffe, die nach Kiautschou geflüchtet waren, gegen ihr Ehrenwort,
w Tsingtau bis zum Ende des Krieges zu bleiben, entlassen.

So machte die Praxis des Kriegsrechts von alters her bis in die neueste
Zeit umfangreichen Gebrauch von der Entlassung Kriegsgefangener mit dem


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[0251] Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort ehrenhaften Elemente im französischen Heere zurückzuführen sein, daß die Nationalversammlung später das Verfahren der Regierung heftig rügte, so daß im einzelnen Falle gegen die wortbrüchigen Offiziere vorgegangen wurde. Kein Krieg in neuerer Zeit hat wohl fo nachhaltigen Einfluß auf die Fortentwicklung des Völkerrechts geübt, wie der von 1870/71. er regte zu weiteren internationalen Zusammenkünften und zu Versuchen an. die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges festzulegen. Auch die Erfahrungen mit der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort wurden in den am Kriege be¬ teiligten Ländern viel erörtert; kaum ein Handbuch des Völkerrechts überging sie mit Stillschweigen. Die Franzosen suchten die Haltung der wortbrüchigen Offiziere zu beschönigen oder wenigstens als durch die Umstände entschuldbar hinzustellen. Die Ersahrungen von 1870 veranlaßten den deutschen Generalstab in der von ihm im Jahre 1902 herausgegebenen Schrift „Kriegsgebrauch im Land¬ kriege" auszuführen, daß Entlassung ganzer Truppenteile auf Ehrenwort nicht üblich sei, daß vielmehr mit jedem einzelnen verhandelt werden müsse und jede derartige Verhandlung „sehr genau zu formulieren und der Wortlaut aufs sorgfältigste zu prüfen sei". Besonderes Gewicht wird darauf gelegt, daß genau ausgedrückt werde, ob der Entlassene nur verpflichtet sei, in dem gegenwärtigen Kriege nicht mehr mit den Waffen gegen den entlassenden Staat zu kämpfen, ob er dagegen seinem Lande in anderweitigen Stellungen oder in Kolonien usw. Dienste leisten könne, oder ob ihm alle und jede Dienstleistung untersagt sei. Auch in den weiteren Kriegen des neunzehnten und in den kleineren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Brauch der ehrenwörtlichen Entlassung Kriegs¬ gefangener geübt. Dabei blieb die umfassende Verpflichtungsformel, die bei den großen Kapitulationen des Jahres 1870 angewandt war, vorbildlich. Im Buren¬ kriege mußten bei der Übergabe von Bloemfontein die gefangenen Buren folgenden Eid leisten: „Ich schwöre, während der Dauer des jetzigen Krieges nicht die Waffen gegen die englische Regierung wieder zu ergreifen, und den Re¬ publikanern weder Beistand leisten, noch ihnen Nachrichten über die englischen Streitkräfte zu bringen", sowie: „Ich schwöre bis zum Ende des Krieges ruhig zu Hause zu bleiben. Ich weiß übrigens, daß ich mich durch Verletzung meiner Eide nach Kriegsrecht strafbar mache". Bei Übergabe von Port Arthur am 7. Januar 1905 mußten die russische:: Offiziere, Beamten und Freiwilligen sich schriftlich auf ihr Ehrenwort hin ver¬ pflichten, bis zur Beendigung des Krieges nicht die Waffen zu ergreifen und keine gegen die japanischen Interessen verstoßende Handlung zu begehen. Nach dem Kampfe vom 10. August 1904 im selben Kriege wurde die Besatzung der russischen Schiffe, die nach Kiautschou geflüchtet waren, gegen ihr Ehrenwort, w Tsingtau bis zum Ende des Krieges zu bleiben, entlassen. So machte die Praxis des Kriegsrechts von alters her bis in die neueste Zeit umfangreichen Gebrauch von der Entlassung Kriegsgefangener mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/251>, abgerufen am 23.07.2024.