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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

Bedingung abziehen lassen, daß sie während des Krieges nicht mehr gegen uns
diene und nach einer ihr bestimmten Gegend Frankreichs oder Algiers mar¬
schiere. Es blieb bekanntlich bei der Moltkeschen Forderung, doch wurden auf
Anregung und durch die Gnade des Königs angesichts der tapferen Verteidigung
der Armee von der Kriegsgefangenschaft ausgenommen alle Generale, Offiziere
und höhere Beamte, die sich auf Ehrenwort schriftlich verpflichteten, weder die
Waffen gegen Deutschland zu tragen, noch in irgendeiner Weise gegen dessen
Interesse bis zum Ende des gegenwärtigen Krieges zu handeln. Die Offiziere,
die diese Bedingungen annahmen, behielten ihre Waffen und ihr persönliches
Eigentum. Fast den gleichen Wortlaut hatte die Kapitulation von Metz am
27. Oktober 1870, und ebenso erlaubte die Kapitulation von Straßburg am
28. September 1870 den Offizieren und im gleichen Range stehenden Beamten
sämtlicher Truppen, nach einem von ihnen zu wählenden Aufenthaltsort ab¬
zureisen, wenn sie einen Revers auf Ehrenwort aufstellten. Ähnliche Be¬
dingungen erhielten die Besatzungen von Laon, Soissons und anderen Festungen.

Die deutsche Großmut wurde schmählich mißbraucht; unter anderen be¬
gingen sogar die Generäle Ducrot, Barral, Cambriels und Cremer, die in
Straßburg und Metz kapituliert hatten, die Ehrlosigkeit, trotz des gegebenen
Ehrenwortes weiter in der französischen Armee zu dienen, im ganzen
haben sich nachweislich huudertsünfundvierzig französische Offiziere, darunter
die oben genannten Generäle, ein Oberst, zwei Oberstleutnants, drei Kom¬
mandanten und dreißig Kapitäne des Ehrenwortbruchs schuldig gemacht. Teilweise
veröffentlichten sie entrüstete. Proteste gegen die Beschuldigung, die aber meist
durchaus nicht stichhaltig und voll knifflicher Wortklaubereien waren.

Die Generäle Barral und Ducrot begaben sich möglichst bald nach ihrer
Entlassung wieder zur französischen Armee. Barral reiste, nachdem er nach
Straßburgs Fall sogar zweifach das schriftliche Ehrenwort gegeben hatte, nach
Kolmar und von dort zur Loire-Armee, und Ducrot befehligte später den
großen Dezember-Ausfall der Pariser Truppen auf die Marne zu, aus dem
er trotz seines heiligen Schwures, nur als Toter oder Sieger nach Paris zu¬
rückzukehren, lebendig und besiegt heimkehrte.

Die Wortbrüchigkeit der französischen Offiziere erregte laute, lang nach¬
hallende Entrüstung, besonders nachdem bekannt worden war, daß die Regie¬
rung der Nationalverteidigung und Gambetta als Kriegsminister den Wortbruch
guthießen, ja die in Belgien und Deutschland internierten Offiziere durch
Drohungen und Aussetzung von Prämien dazu anhielten und die wortbrüchigen
Offiziere wieder in die Armee einreihten.

Bismarck machte diese unerhörten Zustände zum Gegenstand geharnischter
Noten.*) Es mag auf diesen tatkräftigen Widerspruch, gewiß aber auch auf die



") Näheres darüber siehe Knorr, "Bismarck und die französische KriegVführung 1870/71",
"Grenzboten", 74. Jahrgang, S. 298 ff.
Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

Bedingung abziehen lassen, daß sie während des Krieges nicht mehr gegen uns
diene und nach einer ihr bestimmten Gegend Frankreichs oder Algiers mar¬
schiere. Es blieb bekanntlich bei der Moltkeschen Forderung, doch wurden auf
Anregung und durch die Gnade des Königs angesichts der tapferen Verteidigung
der Armee von der Kriegsgefangenschaft ausgenommen alle Generale, Offiziere
und höhere Beamte, die sich auf Ehrenwort schriftlich verpflichteten, weder die
Waffen gegen Deutschland zu tragen, noch in irgendeiner Weise gegen dessen
Interesse bis zum Ende des gegenwärtigen Krieges zu handeln. Die Offiziere,
die diese Bedingungen annahmen, behielten ihre Waffen und ihr persönliches
Eigentum. Fast den gleichen Wortlaut hatte die Kapitulation von Metz am
27. Oktober 1870, und ebenso erlaubte die Kapitulation von Straßburg am
28. September 1870 den Offizieren und im gleichen Range stehenden Beamten
sämtlicher Truppen, nach einem von ihnen zu wählenden Aufenthaltsort ab¬
zureisen, wenn sie einen Revers auf Ehrenwort aufstellten. Ähnliche Be¬
dingungen erhielten die Besatzungen von Laon, Soissons und anderen Festungen.

Die deutsche Großmut wurde schmählich mißbraucht; unter anderen be¬
gingen sogar die Generäle Ducrot, Barral, Cambriels und Cremer, die in
Straßburg und Metz kapituliert hatten, die Ehrlosigkeit, trotz des gegebenen
Ehrenwortes weiter in der französischen Armee zu dienen, im ganzen
haben sich nachweislich huudertsünfundvierzig französische Offiziere, darunter
die oben genannten Generäle, ein Oberst, zwei Oberstleutnants, drei Kom¬
mandanten und dreißig Kapitäne des Ehrenwortbruchs schuldig gemacht. Teilweise
veröffentlichten sie entrüstete. Proteste gegen die Beschuldigung, die aber meist
durchaus nicht stichhaltig und voll knifflicher Wortklaubereien waren.

Die Generäle Barral und Ducrot begaben sich möglichst bald nach ihrer
Entlassung wieder zur französischen Armee. Barral reiste, nachdem er nach
Straßburgs Fall sogar zweifach das schriftliche Ehrenwort gegeben hatte, nach
Kolmar und von dort zur Loire-Armee, und Ducrot befehligte später den
großen Dezember-Ausfall der Pariser Truppen auf die Marne zu, aus dem
er trotz seines heiligen Schwures, nur als Toter oder Sieger nach Paris zu¬
rückzukehren, lebendig und besiegt heimkehrte.

Die Wortbrüchigkeit der französischen Offiziere erregte laute, lang nach¬
hallende Entrüstung, besonders nachdem bekannt worden war, daß die Regie¬
rung der Nationalverteidigung und Gambetta als Kriegsminister den Wortbruch
guthießen, ja die in Belgien und Deutschland internierten Offiziere durch
Drohungen und Aussetzung von Prämien dazu anhielten und die wortbrüchigen
Offiziere wieder in die Armee einreihten.

Bismarck machte diese unerhörten Zustände zum Gegenstand geharnischter
Noten.*) Es mag auf diesen tatkräftigen Widerspruch, gewiß aber auch auf die



") Näheres darüber siehe Knorr, „Bismarck und die französische KriegVführung 1870/71",
„Grenzboten", 74. Jahrgang, S. 298 ff.
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[0250] Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort Bedingung abziehen lassen, daß sie während des Krieges nicht mehr gegen uns diene und nach einer ihr bestimmten Gegend Frankreichs oder Algiers mar¬ schiere. Es blieb bekanntlich bei der Moltkeschen Forderung, doch wurden auf Anregung und durch die Gnade des Königs angesichts der tapferen Verteidigung der Armee von der Kriegsgefangenschaft ausgenommen alle Generale, Offiziere und höhere Beamte, die sich auf Ehrenwort schriftlich verpflichteten, weder die Waffen gegen Deutschland zu tragen, noch in irgendeiner Weise gegen dessen Interesse bis zum Ende des gegenwärtigen Krieges zu handeln. Die Offiziere, die diese Bedingungen annahmen, behielten ihre Waffen und ihr persönliches Eigentum. Fast den gleichen Wortlaut hatte die Kapitulation von Metz am 27. Oktober 1870, und ebenso erlaubte die Kapitulation von Straßburg am 28. September 1870 den Offizieren und im gleichen Range stehenden Beamten sämtlicher Truppen, nach einem von ihnen zu wählenden Aufenthaltsort ab¬ zureisen, wenn sie einen Revers auf Ehrenwort aufstellten. Ähnliche Be¬ dingungen erhielten die Besatzungen von Laon, Soissons und anderen Festungen. Die deutsche Großmut wurde schmählich mißbraucht; unter anderen be¬ gingen sogar die Generäle Ducrot, Barral, Cambriels und Cremer, die in Straßburg und Metz kapituliert hatten, die Ehrlosigkeit, trotz des gegebenen Ehrenwortes weiter in der französischen Armee zu dienen, im ganzen haben sich nachweislich huudertsünfundvierzig französische Offiziere, darunter die oben genannten Generäle, ein Oberst, zwei Oberstleutnants, drei Kom¬ mandanten und dreißig Kapitäne des Ehrenwortbruchs schuldig gemacht. Teilweise veröffentlichten sie entrüstete. Proteste gegen die Beschuldigung, die aber meist durchaus nicht stichhaltig und voll knifflicher Wortklaubereien waren. Die Generäle Barral und Ducrot begaben sich möglichst bald nach ihrer Entlassung wieder zur französischen Armee. Barral reiste, nachdem er nach Straßburgs Fall sogar zweifach das schriftliche Ehrenwort gegeben hatte, nach Kolmar und von dort zur Loire-Armee, und Ducrot befehligte später den großen Dezember-Ausfall der Pariser Truppen auf die Marne zu, aus dem er trotz seines heiligen Schwures, nur als Toter oder Sieger nach Paris zu¬ rückzukehren, lebendig und besiegt heimkehrte. Die Wortbrüchigkeit der französischen Offiziere erregte laute, lang nach¬ hallende Entrüstung, besonders nachdem bekannt worden war, daß die Regie¬ rung der Nationalverteidigung und Gambetta als Kriegsminister den Wortbruch guthießen, ja die in Belgien und Deutschland internierten Offiziere durch Drohungen und Aussetzung von Prämien dazu anhielten und die wortbrüchigen Offiziere wieder in die Armee einreihten. Bismarck machte diese unerhörten Zustände zum Gegenstand geharnischter Noten.*) Es mag auf diesen tatkräftigen Widerspruch, gewiß aber auch auf die ") Näheres darüber siehe Knorr, „Bismarck und die französische KriegVführung 1870/71", „Grenzboten", 74. Jahrgang, S. 298 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/250>, abgerufen am 23.07.2024.