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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Palästina und unsere Feinde

Wie sehr dem russischen Staat selber an seinem Machtzuwachs in Palästina
gelegen ist, geht aus der am 4. Mai 1882 aus das Betreiben des Prokurators
des Heiligen Synods, des ebenso bekannten wie berüchtigten Pobjedonoszew,
erfolgten Gründung der "Kaiserlich orthodoxen Palästina-Gesellschaft" hervor,
die unter der Aufsicht dieser staatlichen Kirchenbehörde und vor allem des
Russischen Auswärtigen Amtes arbeitet. Ihre Mitglieder gehören der ersten
Gesellschaft an. So erklärt sich auch die Höhe ihrer jährlichen Einnahmen, die
sich auf etwa 300000 Rubel, also 650000 Mark belaufen. Die erste ihrer
drei Abteilungen befaßt sich mit "gelehrten Arbeiten und Forschungen", die
zweite mit "der Unterstützung der orthodoxen Pilger", die dritte mit "der Pflege
des orthodoxen Glaubens im heiligen Lande".

Welches sind nun aber die Pläne Rußlands? Als immer machtvoller
auftretender Beherrscher des "schismatischen" von Rom losgelösten Orients gilt
es den Christen griechisch-orthodoxer Konfession wie den nicht der römisch¬
katholischen Kirche angehörenden katholischen Orientalen als der Befreier vom
Türkenjoch und hat darum auch, dieser günstigen Konjunktur Rechnung tragend,
durch die Errichtung von Schulen, Hospitälern, Kirchen und Klöstern die ge¬
hegten Erwartungen zu einem guten Teil befriedigt. So ist denn auch in einer
Kriegssitzung der Palästinagesellschaft auf das heilige Land für Rußland Beschlag
gelegt worden, um es in ein russisch-christliches zu wandeln. Aber die Pläne
Rußlands gehen viel weiter! Sie liegen wie bei Frankreich auf politischem
Gebiet. Palästina ist für Rußland nur eine Etappe auf seinem Eroberungs¬
zuge durch den ganzen christlichen Orient, soweit er nicht der Interessensphäre
der römisch-katholischen Kirche angehört. Die alte Neftorianische Kirche Palästinas
hat es sich darum dienstbar gemacht, den vor den Türken flüchtenden Armeniern
hat es aus demselben Grunde bereitwilligst Unterschlupf gewährt, und den
arabischen Syrern bietet es die Freundeshand, um. wenn einst die endgültige
Abrechnung mit dem Herrn seiner Schutzbefohlenen, der Türkei, kommen sollte.
Zwischen diese und ihren südlichen Untertanen einen Keil zu treiben und zugleich
von Asten her auf geebneter Bahn gegen Konstantinopel zu marschieren.

Zugleich geht aber Rußland auf Eroberungen im eigenen kirchlichen Lager
aus. Die griechische Kirche Palästinas mit ihrem Jerusalemer Patriarchat ist
ihm ein Dorn im Auge, den es durch einen sich immer steigernden Ausbau
seiner palästinensischen Machtstellung zu vernichten sucht, um an ihre Stelle zu
treten. Jedes Mittel ist ihm hierzu Recht. Wiederholt hat es dem Patriarchat,
um es seinen Plänen gefügig zu machen, die Geldkalamität der hohen Kirchen¬
behörde ausnutzend -- im Jahre 1905 beliefen sich ihre Schulden auf 6550000
Franken --, die aus dem russischen Besitz ihm zufließenden Einkünfte von jährlich
210000 Rubeln, also fast einer halben Million Mark, gesperrt, während es
durch seine Schulen und Kirchen wie Klöster zu den griechischen Gemeinden
die freundschaftlichsten Beziehungen unterhielt, um dieselben für seine selbst¬
süchtigen Zwecke sich dienstbar zu machen. Die Gemeinden selbst ergriffen nur


Palästina und unsere Feinde

Wie sehr dem russischen Staat selber an seinem Machtzuwachs in Palästina
gelegen ist, geht aus der am 4. Mai 1882 aus das Betreiben des Prokurators
des Heiligen Synods, des ebenso bekannten wie berüchtigten Pobjedonoszew,
erfolgten Gründung der „Kaiserlich orthodoxen Palästina-Gesellschaft" hervor,
die unter der Aufsicht dieser staatlichen Kirchenbehörde und vor allem des
Russischen Auswärtigen Amtes arbeitet. Ihre Mitglieder gehören der ersten
Gesellschaft an. So erklärt sich auch die Höhe ihrer jährlichen Einnahmen, die
sich auf etwa 300000 Rubel, also 650000 Mark belaufen. Die erste ihrer
drei Abteilungen befaßt sich mit „gelehrten Arbeiten und Forschungen", die
zweite mit „der Unterstützung der orthodoxen Pilger", die dritte mit „der Pflege
des orthodoxen Glaubens im heiligen Lande".

Welches sind nun aber die Pläne Rußlands? Als immer machtvoller
auftretender Beherrscher des „schismatischen" von Rom losgelösten Orients gilt
es den Christen griechisch-orthodoxer Konfession wie den nicht der römisch¬
katholischen Kirche angehörenden katholischen Orientalen als der Befreier vom
Türkenjoch und hat darum auch, dieser günstigen Konjunktur Rechnung tragend,
durch die Errichtung von Schulen, Hospitälern, Kirchen und Klöstern die ge¬
hegten Erwartungen zu einem guten Teil befriedigt. So ist denn auch in einer
Kriegssitzung der Palästinagesellschaft auf das heilige Land für Rußland Beschlag
gelegt worden, um es in ein russisch-christliches zu wandeln. Aber die Pläne
Rußlands gehen viel weiter! Sie liegen wie bei Frankreich auf politischem
Gebiet. Palästina ist für Rußland nur eine Etappe auf seinem Eroberungs¬
zuge durch den ganzen christlichen Orient, soweit er nicht der Interessensphäre
der römisch-katholischen Kirche angehört. Die alte Neftorianische Kirche Palästinas
hat es sich darum dienstbar gemacht, den vor den Türken flüchtenden Armeniern
hat es aus demselben Grunde bereitwilligst Unterschlupf gewährt, und den
arabischen Syrern bietet es die Freundeshand, um. wenn einst die endgültige
Abrechnung mit dem Herrn seiner Schutzbefohlenen, der Türkei, kommen sollte.
Zwischen diese und ihren südlichen Untertanen einen Keil zu treiben und zugleich
von Asten her auf geebneter Bahn gegen Konstantinopel zu marschieren.

Zugleich geht aber Rußland auf Eroberungen im eigenen kirchlichen Lager
aus. Die griechische Kirche Palästinas mit ihrem Jerusalemer Patriarchat ist
ihm ein Dorn im Auge, den es durch einen sich immer steigernden Ausbau
seiner palästinensischen Machtstellung zu vernichten sucht, um an ihre Stelle zu
treten. Jedes Mittel ist ihm hierzu Recht. Wiederholt hat es dem Patriarchat,
um es seinen Plänen gefügig zu machen, die Geldkalamität der hohen Kirchen¬
behörde ausnutzend — im Jahre 1905 beliefen sich ihre Schulden auf 6550000
Franken —, die aus dem russischen Besitz ihm zufließenden Einkünfte von jährlich
210000 Rubeln, also fast einer halben Million Mark, gesperrt, während es
durch seine Schulen und Kirchen wie Klöster zu den griechischen Gemeinden
die freundschaftlichsten Beziehungen unterhielt, um dieselben für seine selbst¬
süchtigen Zwecke sich dienstbar zu machen. Die Gemeinden selbst ergriffen nur


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[0241] Palästina und unsere Feinde Wie sehr dem russischen Staat selber an seinem Machtzuwachs in Palästina gelegen ist, geht aus der am 4. Mai 1882 aus das Betreiben des Prokurators des Heiligen Synods, des ebenso bekannten wie berüchtigten Pobjedonoszew, erfolgten Gründung der „Kaiserlich orthodoxen Palästina-Gesellschaft" hervor, die unter der Aufsicht dieser staatlichen Kirchenbehörde und vor allem des Russischen Auswärtigen Amtes arbeitet. Ihre Mitglieder gehören der ersten Gesellschaft an. So erklärt sich auch die Höhe ihrer jährlichen Einnahmen, die sich auf etwa 300000 Rubel, also 650000 Mark belaufen. Die erste ihrer drei Abteilungen befaßt sich mit „gelehrten Arbeiten und Forschungen", die zweite mit „der Unterstützung der orthodoxen Pilger", die dritte mit „der Pflege des orthodoxen Glaubens im heiligen Lande". Welches sind nun aber die Pläne Rußlands? Als immer machtvoller auftretender Beherrscher des „schismatischen" von Rom losgelösten Orients gilt es den Christen griechisch-orthodoxer Konfession wie den nicht der römisch¬ katholischen Kirche angehörenden katholischen Orientalen als der Befreier vom Türkenjoch und hat darum auch, dieser günstigen Konjunktur Rechnung tragend, durch die Errichtung von Schulen, Hospitälern, Kirchen und Klöstern die ge¬ hegten Erwartungen zu einem guten Teil befriedigt. So ist denn auch in einer Kriegssitzung der Palästinagesellschaft auf das heilige Land für Rußland Beschlag gelegt worden, um es in ein russisch-christliches zu wandeln. Aber die Pläne Rußlands gehen viel weiter! Sie liegen wie bei Frankreich auf politischem Gebiet. Palästina ist für Rußland nur eine Etappe auf seinem Eroberungs¬ zuge durch den ganzen christlichen Orient, soweit er nicht der Interessensphäre der römisch-katholischen Kirche angehört. Die alte Neftorianische Kirche Palästinas hat es sich darum dienstbar gemacht, den vor den Türken flüchtenden Armeniern hat es aus demselben Grunde bereitwilligst Unterschlupf gewährt, und den arabischen Syrern bietet es die Freundeshand, um. wenn einst die endgültige Abrechnung mit dem Herrn seiner Schutzbefohlenen, der Türkei, kommen sollte. Zwischen diese und ihren südlichen Untertanen einen Keil zu treiben und zugleich von Asten her auf geebneter Bahn gegen Konstantinopel zu marschieren. Zugleich geht aber Rußland auf Eroberungen im eigenen kirchlichen Lager aus. Die griechische Kirche Palästinas mit ihrem Jerusalemer Patriarchat ist ihm ein Dorn im Auge, den es durch einen sich immer steigernden Ausbau seiner palästinensischen Machtstellung zu vernichten sucht, um an ihre Stelle zu treten. Jedes Mittel ist ihm hierzu Recht. Wiederholt hat es dem Patriarchat, um es seinen Plänen gefügig zu machen, die Geldkalamität der hohen Kirchen¬ behörde ausnutzend — im Jahre 1905 beliefen sich ihre Schulden auf 6550000 Franken —, die aus dem russischen Besitz ihm zufließenden Einkünfte von jährlich 210000 Rubeln, also fast einer halben Million Mark, gesperrt, während es durch seine Schulen und Kirchen wie Klöster zu den griechischen Gemeinden die freundschaftlichsten Beziehungen unterhielt, um dieselben für seine selbst¬ süchtigen Zwecke sich dienstbar zu machen. Die Gemeinden selbst ergriffen nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/241>, abgerufen am 23.07.2024.