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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Palästina und unsere Feinde

zu dürfen. So waren denn auch fast in allen größeren Städten des Landes, vor
allem in Jerusalem und den Hafenorten Jaffa und Halfa, die europäischen
Großmächte durch ihre Konsuln vertreten, die wie sonst nur die Gesandten das
Recht der Exterritorialität genossen. Ja sogar ihre Schutzbefohlenen nahmen
kraft der von den Großmächten mit der Hohen Pforte geschlossenen Kapitulationen
an demselben teil. So durften sie nicht zur Steuer herangezogen werden, nur
der Grundbesitz und landwirtschaftliche Betrieb wurden hiervon ausgenommen,
ebenso waren die Nichtemheimischen ihrer Konsulatsgerichtsbarkeit unterstellt,
während Streitigkeiten zwischen Ausländern und Einheimischen unter Hin¬
zuziehung des betreffenden Konsulatsdragomans vor dem türkischen Gerichtshof
zum Austrag gebracht wurden. Auch durften nur in Begleitung oder mit
ausdrücklicher Erlaubnis des Konsuls türkische Beamte die Wohnung eines
Fremden betreten. Zur Aufrechterhaltung eines geordneten Verkehrs mit der
Heimat wurden in Jerusalem, Nazareth, Jaffa und Halfa, den eigentlichen
Pilgerzentren, heimische Postämter errichtet, die bei dem nach Tausenden
zählenden alljährlichen Pilgerverkehr einen empfindlichen Aderlaß des türkischen
Staatssäckels zur Folge hatten. So war es denn einfache Notwehr, wenn die
Türkei die bis in das Mittelalter hineinreichenden Kapitulationen zu Beginn
des Weltkrieges aufhob, um Herr im eigenen Lande zu bleiben.

Die den europäischen Großmächten eingeräumten Sonderrechte erweckten
bei unseren Feinden den Appetit nach mehr. Am unverfrorensten trat der"
selbe bei den Franzosen hervor, die Syrien als das "Frankreich des Orients"
betrachteten. So wurden die Beziehungen zu den christlichen Maroniten Syriens
Jahrhunderte hindurch gepflegt; schon während der Kreuzzüge fochten die
Maroniten auf Seiten der Franken, und Ludwig der Neunte schrieb in seinem
Dankesbrief für die gewährte Hilfe "Wir sind der Ansicht, daß die Maroniten
einen Bestandteil der französischen Nation bilden". Syrien aber ist das
Hinterland von Palästina, von dem aus Frankreich seine Fühlhörner nach
dem Lande Jesu ausstreckte. nennenswerte Erfolge hatte es hier gerade auf
wirtschaftlichem Gebiet in dem letzten Jahrzehnt zu verzeichnen. Nachdem
1892 die 3c>List6 6u nucum cle ter 6e la palsstme die Bahn Jaffa--
Jerusalem gebaut und in Betrieb genommen hatte, war 1912 der Ausbau
des dem Güterverkehr dieser Bahn dienenden Hafens von Jaffa, der durch
seine berüchtigten Klippen ein starkes Verkehrshindernis bot, einem Konsortium
französischer Aktiengesellschaften übertragen worden, und die SoLiöt6 ZLriLmw
6'Entreprise clans I'empire Ottomar, die mit vier Millionen Franks Kapital
arbeitet, hatte die Ausbesserung und Unterhaltung der Straßen Jaffa--Jerusalem,
Jaffa--Radius und Jerusalem--Radius zugewiesen erhalten. Vor allem aber
hat Frankreich seine Siege auf kulturellen Gebiet erfochten. Kein euro¬
päischer Staat hat nämlich so viel für die Einrichtung von Schulen im Orient
getan wie der französische: nicht weniger wie fünfhundertunddreißig französische
Schulen mit vierunofünfzigtausend Schülern zählte man vor Ausbruch des


Palästina und unsere Feinde

zu dürfen. So waren denn auch fast in allen größeren Städten des Landes, vor
allem in Jerusalem und den Hafenorten Jaffa und Halfa, die europäischen
Großmächte durch ihre Konsuln vertreten, die wie sonst nur die Gesandten das
Recht der Exterritorialität genossen. Ja sogar ihre Schutzbefohlenen nahmen
kraft der von den Großmächten mit der Hohen Pforte geschlossenen Kapitulationen
an demselben teil. So durften sie nicht zur Steuer herangezogen werden, nur
der Grundbesitz und landwirtschaftliche Betrieb wurden hiervon ausgenommen,
ebenso waren die Nichtemheimischen ihrer Konsulatsgerichtsbarkeit unterstellt,
während Streitigkeiten zwischen Ausländern und Einheimischen unter Hin¬
zuziehung des betreffenden Konsulatsdragomans vor dem türkischen Gerichtshof
zum Austrag gebracht wurden. Auch durften nur in Begleitung oder mit
ausdrücklicher Erlaubnis des Konsuls türkische Beamte die Wohnung eines
Fremden betreten. Zur Aufrechterhaltung eines geordneten Verkehrs mit der
Heimat wurden in Jerusalem, Nazareth, Jaffa und Halfa, den eigentlichen
Pilgerzentren, heimische Postämter errichtet, die bei dem nach Tausenden
zählenden alljährlichen Pilgerverkehr einen empfindlichen Aderlaß des türkischen
Staatssäckels zur Folge hatten. So war es denn einfache Notwehr, wenn die
Türkei die bis in das Mittelalter hineinreichenden Kapitulationen zu Beginn
des Weltkrieges aufhob, um Herr im eigenen Lande zu bleiben.

Die den europäischen Großmächten eingeräumten Sonderrechte erweckten
bei unseren Feinden den Appetit nach mehr. Am unverfrorensten trat der»
selbe bei den Franzosen hervor, die Syrien als das „Frankreich des Orients"
betrachteten. So wurden die Beziehungen zu den christlichen Maroniten Syriens
Jahrhunderte hindurch gepflegt; schon während der Kreuzzüge fochten die
Maroniten auf Seiten der Franken, und Ludwig der Neunte schrieb in seinem
Dankesbrief für die gewährte Hilfe „Wir sind der Ansicht, daß die Maroniten
einen Bestandteil der französischen Nation bilden". Syrien aber ist das
Hinterland von Palästina, von dem aus Frankreich seine Fühlhörner nach
dem Lande Jesu ausstreckte. nennenswerte Erfolge hatte es hier gerade auf
wirtschaftlichem Gebiet in dem letzten Jahrzehnt zu verzeichnen. Nachdem
1892 die 3c>List6 6u nucum cle ter 6e la palsstme die Bahn Jaffa—
Jerusalem gebaut und in Betrieb genommen hatte, war 1912 der Ausbau
des dem Güterverkehr dieser Bahn dienenden Hafens von Jaffa, der durch
seine berüchtigten Klippen ein starkes Verkehrshindernis bot, einem Konsortium
französischer Aktiengesellschaften übertragen worden, und die SoLiöt6 ZLriLmw
6'Entreprise clans I'empire Ottomar, die mit vier Millionen Franks Kapital
arbeitet, hatte die Ausbesserung und Unterhaltung der Straßen Jaffa—Jerusalem,
Jaffa—Radius und Jerusalem—Radius zugewiesen erhalten. Vor allem aber
hat Frankreich seine Siege auf kulturellen Gebiet erfochten. Kein euro¬
päischer Staat hat nämlich so viel für die Einrichtung von Schulen im Orient
getan wie der französische: nicht weniger wie fünfhundertunddreißig französische
Schulen mit vierunofünfzigtausend Schülern zählte man vor Ausbruch des


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[0238] Palästina und unsere Feinde zu dürfen. So waren denn auch fast in allen größeren Städten des Landes, vor allem in Jerusalem und den Hafenorten Jaffa und Halfa, die europäischen Großmächte durch ihre Konsuln vertreten, die wie sonst nur die Gesandten das Recht der Exterritorialität genossen. Ja sogar ihre Schutzbefohlenen nahmen kraft der von den Großmächten mit der Hohen Pforte geschlossenen Kapitulationen an demselben teil. So durften sie nicht zur Steuer herangezogen werden, nur der Grundbesitz und landwirtschaftliche Betrieb wurden hiervon ausgenommen, ebenso waren die Nichtemheimischen ihrer Konsulatsgerichtsbarkeit unterstellt, während Streitigkeiten zwischen Ausländern und Einheimischen unter Hin¬ zuziehung des betreffenden Konsulatsdragomans vor dem türkischen Gerichtshof zum Austrag gebracht wurden. Auch durften nur in Begleitung oder mit ausdrücklicher Erlaubnis des Konsuls türkische Beamte die Wohnung eines Fremden betreten. Zur Aufrechterhaltung eines geordneten Verkehrs mit der Heimat wurden in Jerusalem, Nazareth, Jaffa und Halfa, den eigentlichen Pilgerzentren, heimische Postämter errichtet, die bei dem nach Tausenden zählenden alljährlichen Pilgerverkehr einen empfindlichen Aderlaß des türkischen Staatssäckels zur Folge hatten. So war es denn einfache Notwehr, wenn die Türkei die bis in das Mittelalter hineinreichenden Kapitulationen zu Beginn des Weltkrieges aufhob, um Herr im eigenen Lande zu bleiben. Die den europäischen Großmächten eingeräumten Sonderrechte erweckten bei unseren Feinden den Appetit nach mehr. Am unverfrorensten trat der» selbe bei den Franzosen hervor, die Syrien als das „Frankreich des Orients" betrachteten. So wurden die Beziehungen zu den christlichen Maroniten Syriens Jahrhunderte hindurch gepflegt; schon während der Kreuzzüge fochten die Maroniten auf Seiten der Franken, und Ludwig der Neunte schrieb in seinem Dankesbrief für die gewährte Hilfe „Wir sind der Ansicht, daß die Maroniten einen Bestandteil der französischen Nation bilden". Syrien aber ist das Hinterland von Palästina, von dem aus Frankreich seine Fühlhörner nach dem Lande Jesu ausstreckte. nennenswerte Erfolge hatte es hier gerade auf wirtschaftlichem Gebiet in dem letzten Jahrzehnt zu verzeichnen. Nachdem 1892 die 3c>List6 6u nucum cle ter 6e la palsstme die Bahn Jaffa— Jerusalem gebaut und in Betrieb genommen hatte, war 1912 der Ausbau des dem Güterverkehr dieser Bahn dienenden Hafens von Jaffa, der durch seine berüchtigten Klippen ein starkes Verkehrshindernis bot, einem Konsortium französischer Aktiengesellschaften übertragen worden, und die SoLiöt6 ZLriLmw 6'Entreprise clans I'empire Ottomar, die mit vier Millionen Franks Kapital arbeitet, hatte die Ausbesserung und Unterhaltung der Straßen Jaffa—Jerusalem, Jaffa—Radius und Jerusalem—Radius zugewiesen erhalten. Vor allem aber hat Frankreich seine Siege auf kulturellen Gebiet erfochten. Kein euro¬ päischer Staat hat nämlich so viel für die Einrichtung von Schulen im Orient getan wie der französische: nicht weniger wie fünfhundertunddreißig französische Schulen mit vierunofünfzigtausend Schülern zählte man vor Ausbruch des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/238>, abgerufen am 23.07.2024.