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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Zukunft der deutschen Seeschiffahrt

rückgegangen sei, in Deutschland dagegen von 5134000 auf 3 890 000; dieser
Statistik widerspricht aber auf das schärfste die allgemeine Klage der englischen
Reeber über verloren gegangenen Frachtraum. Mitte Oktober erklärte Runciman
im Unterhaus, daß England seit Kriegsbeginn durch den Feind und Seegefahr
2 Millionen Tonnen Laderaum verloren habe. So konnte es denn zu so
grotesken Vergeltungsforderungen kommen wie der, daß für jede von Deutsch¬
land versenkte Tonne aus den deutschen Schiffsbeständen eine entsprechende Ab¬
tretung erfolgen müsse, ganz zu schweigen von Heißspornen, die gleich "Kon¬
fiskation" der ganzen deutschen Kriegs- und Handelsflotte verlangen. Man
würde aber irren, wenn man glaubte, daß solche Forderungen nur von un¬
verantwortlichen Schreiern ausgingen; Organisationen wie Lloyds Verhinderer
und die Handelskammer Manchester haben sie gestellt. Und wo man die Be¬
sinnung etwas gewahrt hat, fordert man doch Maßnahmen, die der Crom-
wellschen Navigationsakte, deren letzte Reste erst vor einem halben Jahrhundert
verschwanden, ganz außerordentlich ähnlich sehen. Man will deutsche Schiffe in
englischen Häfen entweder überhaupt nicht oder doch nur unter äußerst er¬
schwerenden Bedingungen zulassen. So verlangt zum Beispiel die Handels¬
kammer Bombay, die noch nicht so weit geht wie andere, daß während der
ersten sechs Monate nach Friedensschluß kein "feindliches" Fahrzeug in irgend¬
einen britischen Hafen zugelassen werde und nachher erst in der Weise, daß die
verbündeten und neutralen Länder Vorzugsbedingungen erhielten, etwa durch
eine Sondersteuer der "feindlichen" Schiffe. Es entbehrt nicht einer gewissen
Pikanterie, daß nach Mitteilungen japanischer Blätter jetzt schon japanische
Schisse in indischen Häfen nur unter erschwerenden Bedingungen zugelassen
werden; man sieht also, was man zu erwarten hat. Wenn man auch diese
Drohungen nicht allzu tragisch zu nehmen braucht, denn auch der Weltverkehr be¬
ruht schließlich auf Gegenseitigkeit, so kann man sich doch darauf gefaßt machen,
daß, England die deutsche Schiffahrt nach Möglichkeit Manieren wird. Sein
ausgedehnter Besitz an Häfen, Stützpunkten, Kohlenstationen über die ganze
Welt gibt ihm hinreichende Mittel dazu in die Hand. Frankreich, vielleicht
auch Italien und noch die eine oder andere Macht des Zehnverbandes werden
dem Beispiel nach Kräften folgen.

Unendlich viel wichtiger aber als der Handelskrieg ist die Konkurrenz, die
nach dem Kriege mit Sicherheit zu erwarten ist. Die kriegführenden Mächte
haben alle Ursache, das äußerste zu tun, sowohl um Verluste einzuholen als
um überhaupt "im Geschäft zu bleiben". Eine gute Illustration dazu ist die
Mitteilung, die bei den Lebensmitteldebatten im Oktober im englischen Unter¬
haus gemacht wurde, daß von den über 10 000 englischen Schiffen zurzeit für
die Auslandfahrt nur 1118 zur Verfügung stehen; bei den anderen Krieg¬
führenden liegt es noch schlimmer, während die Flotten der Mittelmächte so gut
wie ganz zum Stilliegen gezwungen sind. So konnte es nicht ausbleiben, daß
die am Kriege nicht beteiligten Mächte die Gelegenheit zur Ausdehnung ihrer


Die Zukunft der deutschen Seeschiffahrt

rückgegangen sei, in Deutschland dagegen von 5134000 auf 3 890 000; dieser
Statistik widerspricht aber auf das schärfste die allgemeine Klage der englischen
Reeber über verloren gegangenen Frachtraum. Mitte Oktober erklärte Runciman
im Unterhaus, daß England seit Kriegsbeginn durch den Feind und Seegefahr
2 Millionen Tonnen Laderaum verloren habe. So konnte es denn zu so
grotesken Vergeltungsforderungen kommen wie der, daß für jede von Deutsch¬
land versenkte Tonne aus den deutschen Schiffsbeständen eine entsprechende Ab¬
tretung erfolgen müsse, ganz zu schweigen von Heißspornen, die gleich „Kon¬
fiskation" der ganzen deutschen Kriegs- und Handelsflotte verlangen. Man
würde aber irren, wenn man glaubte, daß solche Forderungen nur von un¬
verantwortlichen Schreiern ausgingen; Organisationen wie Lloyds Verhinderer
und die Handelskammer Manchester haben sie gestellt. Und wo man die Be¬
sinnung etwas gewahrt hat, fordert man doch Maßnahmen, die der Crom-
wellschen Navigationsakte, deren letzte Reste erst vor einem halben Jahrhundert
verschwanden, ganz außerordentlich ähnlich sehen. Man will deutsche Schiffe in
englischen Häfen entweder überhaupt nicht oder doch nur unter äußerst er¬
schwerenden Bedingungen zulassen. So verlangt zum Beispiel die Handels¬
kammer Bombay, die noch nicht so weit geht wie andere, daß während der
ersten sechs Monate nach Friedensschluß kein „feindliches" Fahrzeug in irgend¬
einen britischen Hafen zugelassen werde und nachher erst in der Weise, daß die
verbündeten und neutralen Länder Vorzugsbedingungen erhielten, etwa durch
eine Sondersteuer der „feindlichen" Schiffe. Es entbehrt nicht einer gewissen
Pikanterie, daß nach Mitteilungen japanischer Blätter jetzt schon japanische
Schisse in indischen Häfen nur unter erschwerenden Bedingungen zugelassen
werden; man sieht also, was man zu erwarten hat. Wenn man auch diese
Drohungen nicht allzu tragisch zu nehmen braucht, denn auch der Weltverkehr be¬
ruht schließlich auf Gegenseitigkeit, so kann man sich doch darauf gefaßt machen,
daß, England die deutsche Schiffahrt nach Möglichkeit Manieren wird. Sein
ausgedehnter Besitz an Häfen, Stützpunkten, Kohlenstationen über die ganze
Welt gibt ihm hinreichende Mittel dazu in die Hand. Frankreich, vielleicht
auch Italien und noch die eine oder andere Macht des Zehnverbandes werden
dem Beispiel nach Kräften folgen.

Unendlich viel wichtiger aber als der Handelskrieg ist die Konkurrenz, die
nach dem Kriege mit Sicherheit zu erwarten ist. Die kriegführenden Mächte
haben alle Ursache, das äußerste zu tun, sowohl um Verluste einzuholen als
um überhaupt „im Geschäft zu bleiben". Eine gute Illustration dazu ist die
Mitteilung, die bei den Lebensmitteldebatten im Oktober im englischen Unter¬
haus gemacht wurde, daß von den über 10 000 englischen Schiffen zurzeit für
die Auslandfahrt nur 1118 zur Verfügung stehen; bei den anderen Krieg¬
führenden liegt es noch schlimmer, während die Flotten der Mittelmächte so gut
wie ganz zum Stilliegen gezwungen sind. So konnte es nicht ausbleiben, daß
die am Kriege nicht beteiligten Mächte die Gelegenheit zur Ausdehnung ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/224>, abgerufen am 23.07.2024.