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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Das polnische Problem

unterbreiten, was seine Beweisführung ungeheuer erschwert, aber er darf --
nein, er muß im Einzelfalle mehr sagen wie der Staatsmann, und alleiniger
Maßstab für die Preisgabe seines Wissens darf ihm sein durch verantwortungs¬
bewußtes Studium geschärftes Gewissen sein.

Trete ich im folgenden an eine Darlegung des polnischen Problems heran,
so wünsche ich keiner einzelnen Partei, keinem einzelnen Staatsmann, keiner
einzelnen Fürstlichkeit oder gar einer fürstlichen Hausmacht zu dienen, sondern
ausschließlich der Gesamtheit des deutschen Vaterlandes. Sie ist ein Gebot der
Stunde. Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen sollen sich von Grund
aus ändern. Die Polen sollen, dank dem Siegerwillen der verbündeten Mittel¬
mächte, wieder eintreten in die Reihe der selbständigen Nationalitäten. Das
ist ein Augenblick von höchster historischer und ethischer Bedeutung, verklärt durch
die Möglichkeit, zurückliegende Tatsachen und deren politische Folgeerscheinungen in
das grelle Licht sachlicher Kritik zu stellen und ihnen dadurch jeden Stachel für
die Zukunft zu nehmen. Das ist wenigstens der Zweck meiner Ausführungen.
Die Polenfrage ist zu einem der ernstesten Probleme der deutschen Politik ge¬
worden, nicht weil die Polen eine besonders "verwerfliche" Nation darstellten,
oder gar, weil zwischen Polen und Deutschen ein besonders tiefer Haß bestünde,
sondern weil es, um mit dem großen Friedrich zu sprechen, das Los der mensch-
lichen Dinge ist, daß kleine Interessen über die großen Angelegenheiten ent¬
scheiden. Die tausendfältigen kleinen Interessen von Fürsten, Händlern und Dema¬
gogen sind es. die es verhindert haben, daß die Hauptrichtlinien des polnischen
Problems, nämlich die seit anderthalb Jahrhunderten unbedingt vorhandene
Aufwärtsbewegung des polnischen Volkes und die seit einem Jahrhundert be¬
merkbare Tendenz zum Zusammenschluß der Völker Mitteleuropas immer wieder
in den Hintergrund treten mußten in ihrer Bedeutung als Fragen der Realpolitik.

Die Polenfrage ist vielleicht das schicksalschwerste Problem dieses Krieges,
weil es uns, falsch angefaßt, um alle nationalen und wirtschaftlichen Erfolge
bringen kann, die das Volk durch die herrlichen Taten seiner Armee und den
Opfersinn und die Ausdauer der Daheimgebliebenen errungen hat. Eine falsche
Einstellung der Polenfrage bedroht nicht weniger den sozialen Aufbau des deutschen
Volkes, wie die Landesgrenzen der preußischen Monarchie, gefährdet Habsburg,
nicht minder, wie die uns verbündeten Balkanstaaten und der Mittelmächte
Weltstellung überhaupt, -- bedroht die deutsche Nationalität in gleichem Maße,
wie die polnische, würde auch alle die berechtigten und hochfliegenden Hoff¬
nungen der Polen zerstören, die sie an die feierliche Autonomie-Erklärung durch
die verbündeten Kaisermächte knüpfen können I Darum ist sie aber auch nicht
durch Traktate und Verträge zu lösen, darum darf ihre Lösung nicht erwartet
werden durch Maßnahmen, die an vorübergehende Erscheinungen, wie sie im
Kriege erstehen, anknüpfen, sondern in erster Linie durch den guten Willen
und rückhaltlose Ehrlichkeit im Verhalten der neu verbundenen Völker und
ihrer Regierungen zueinander. In der Polenfrage treffen alle Stärkepole Ost


Das polnische Problem

unterbreiten, was seine Beweisführung ungeheuer erschwert, aber er darf —
nein, er muß im Einzelfalle mehr sagen wie der Staatsmann, und alleiniger
Maßstab für die Preisgabe seines Wissens darf ihm sein durch verantwortungs¬
bewußtes Studium geschärftes Gewissen sein.

Trete ich im folgenden an eine Darlegung des polnischen Problems heran,
so wünsche ich keiner einzelnen Partei, keinem einzelnen Staatsmann, keiner
einzelnen Fürstlichkeit oder gar einer fürstlichen Hausmacht zu dienen, sondern
ausschließlich der Gesamtheit des deutschen Vaterlandes. Sie ist ein Gebot der
Stunde. Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen sollen sich von Grund
aus ändern. Die Polen sollen, dank dem Siegerwillen der verbündeten Mittel¬
mächte, wieder eintreten in die Reihe der selbständigen Nationalitäten. Das
ist ein Augenblick von höchster historischer und ethischer Bedeutung, verklärt durch
die Möglichkeit, zurückliegende Tatsachen und deren politische Folgeerscheinungen in
das grelle Licht sachlicher Kritik zu stellen und ihnen dadurch jeden Stachel für
die Zukunft zu nehmen. Das ist wenigstens der Zweck meiner Ausführungen.
Die Polenfrage ist zu einem der ernstesten Probleme der deutschen Politik ge¬
worden, nicht weil die Polen eine besonders „verwerfliche" Nation darstellten,
oder gar, weil zwischen Polen und Deutschen ein besonders tiefer Haß bestünde,
sondern weil es, um mit dem großen Friedrich zu sprechen, das Los der mensch-
lichen Dinge ist, daß kleine Interessen über die großen Angelegenheiten ent¬
scheiden. Die tausendfältigen kleinen Interessen von Fürsten, Händlern und Dema¬
gogen sind es. die es verhindert haben, daß die Hauptrichtlinien des polnischen
Problems, nämlich die seit anderthalb Jahrhunderten unbedingt vorhandene
Aufwärtsbewegung des polnischen Volkes und die seit einem Jahrhundert be¬
merkbare Tendenz zum Zusammenschluß der Völker Mitteleuropas immer wieder
in den Hintergrund treten mußten in ihrer Bedeutung als Fragen der Realpolitik.

Die Polenfrage ist vielleicht das schicksalschwerste Problem dieses Krieges,
weil es uns, falsch angefaßt, um alle nationalen und wirtschaftlichen Erfolge
bringen kann, die das Volk durch die herrlichen Taten seiner Armee und den
Opfersinn und die Ausdauer der Daheimgebliebenen errungen hat. Eine falsche
Einstellung der Polenfrage bedroht nicht weniger den sozialen Aufbau des deutschen
Volkes, wie die Landesgrenzen der preußischen Monarchie, gefährdet Habsburg,
nicht minder, wie die uns verbündeten Balkanstaaten und der Mittelmächte
Weltstellung überhaupt, — bedroht die deutsche Nationalität in gleichem Maße,
wie die polnische, würde auch alle die berechtigten und hochfliegenden Hoff¬
nungen der Polen zerstören, die sie an die feierliche Autonomie-Erklärung durch
die verbündeten Kaisermächte knüpfen können I Darum ist sie aber auch nicht
durch Traktate und Verträge zu lösen, darum darf ihre Lösung nicht erwartet
werden durch Maßnahmen, die an vorübergehende Erscheinungen, wie sie im
Kriege erstehen, anknüpfen, sondern in erster Linie durch den guten Willen
und rückhaltlose Ehrlichkeit im Verhalten der neu verbundenen Völker und
ihrer Regierungen zueinander. In der Polenfrage treffen alle Stärkepole Ost


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[0206] Das polnische Problem unterbreiten, was seine Beweisführung ungeheuer erschwert, aber er darf — nein, er muß im Einzelfalle mehr sagen wie der Staatsmann, und alleiniger Maßstab für die Preisgabe seines Wissens darf ihm sein durch verantwortungs¬ bewußtes Studium geschärftes Gewissen sein. Trete ich im folgenden an eine Darlegung des polnischen Problems heran, so wünsche ich keiner einzelnen Partei, keinem einzelnen Staatsmann, keiner einzelnen Fürstlichkeit oder gar einer fürstlichen Hausmacht zu dienen, sondern ausschließlich der Gesamtheit des deutschen Vaterlandes. Sie ist ein Gebot der Stunde. Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen sollen sich von Grund aus ändern. Die Polen sollen, dank dem Siegerwillen der verbündeten Mittel¬ mächte, wieder eintreten in die Reihe der selbständigen Nationalitäten. Das ist ein Augenblick von höchster historischer und ethischer Bedeutung, verklärt durch die Möglichkeit, zurückliegende Tatsachen und deren politische Folgeerscheinungen in das grelle Licht sachlicher Kritik zu stellen und ihnen dadurch jeden Stachel für die Zukunft zu nehmen. Das ist wenigstens der Zweck meiner Ausführungen. Die Polenfrage ist zu einem der ernstesten Probleme der deutschen Politik ge¬ worden, nicht weil die Polen eine besonders „verwerfliche" Nation darstellten, oder gar, weil zwischen Polen und Deutschen ein besonders tiefer Haß bestünde, sondern weil es, um mit dem großen Friedrich zu sprechen, das Los der mensch- lichen Dinge ist, daß kleine Interessen über die großen Angelegenheiten ent¬ scheiden. Die tausendfältigen kleinen Interessen von Fürsten, Händlern und Dema¬ gogen sind es. die es verhindert haben, daß die Hauptrichtlinien des polnischen Problems, nämlich die seit anderthalb Jahrhunderten unbedingt vorhandene Aufwärtsbewegung des polnischen Volkes und die seit einem Jahrhundert be¬ merkbare Tendenz zum Zusammenschluß der Völker Mitteleuropas immer wieder in den Hintergrund treten mußten in ihrer Bedeutung als Fragen der Realpolitik. Die Polenfrage ist vielleicht das schicksalschwerste Problem dieses Krieges, weil es uns, falsch angefaßt, um alle nationalen und wirtschaftlichen Erfolge bringen kann, die das Volk durch die herrlichen Taten seiner Armee und den Opfersinn und die Ausdauer der Daheimgebliebenen errungen hat. Eine falsche Einstellung der Polenfrage bedroht nicht weniger den sozialen Aufbau des deutschen Volkes, wie die Landesgrenzen der preußischen Monarchie, gefährdet Habsburg, nicht minder, wie die uns verbündeten Balkanstaaten und der Mittelmächte Weltstellung überhaupt, — bedroht die deutsche Nationalität in gleichem Maße, wie die polnische, würde auch alle die berechtigten und hochfliegenden Hoff¬ nungen der Polen zerstören, die sie an die feierliche Autonomie-Erklärung durch die verbündeten Kaisermächte knüpfen können I Darum ist sie aber auch nicht durch Traktate und Verträge zu lösen, darum darf ihre Lösung nicht erwartet werden durch Maßnahmen, die an vorübergehende Erscheinungen, wie sie im Kriege erstehen, anknüpfen, sondern in erster Linie durch den guten Willen und rückhaltlose Ehrlichkeit im Verhalten der neu verbundenen Völker und ihrer Regierungen zueinander. In der Polenfrage treffen alle Stärkepole Ost

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/206>, abgerufen am 23.07.2024.