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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Leibniz und der deutsche Geist

zwecklosen oder gar zweckwidrigen Handelns treffen. Gott sah unendlich viele
Welten als möglich vor sich, aber er mußte die zweckmäßigste wählen, weil er
sich sonst mit seinem eigenen Wesen in Widerspruch befunden hätte. So ist auch
die berühmte Lehre von der besten Welt und damit der in der deutschen
Theologie durch ihn höchst fruchtbar gewordene Gedanke der Theodizee aus dieser
idealistischen Metaphnsik erwachsen. Das Böse, das Gott in der Welt duldet, ist eine
conäitio sine qua non der Zweckidee, weil ohne Böses keine Freiheit und ohne
Freiheit keine Tugend möglich ist. Die Freiheit aber, die aus der Vernunft kommt,
ist der höchste Gedanke der praktischen Philosophie, in ihr bewährt sich der
Mensch in seiner ihm im Zweckbereich der Welt zugewiesenen Selbstbestimmung.

Es spielt hier letzten Endes in den klaren Gedankenbau eine tiefe, ra¬
tional nicht auflösbare Mystik, eine innige Versunkenheit in die Wunder der
Welt und der Gottheit. Daß dieser scharfe Geist sich auch wieder in einem
fast kindlichen Hingenommensein an unerfüllbare Träumereien hing, ist, fast
wird man versucht, leider zu sagen, ein sprechender Beweis für feine echt
deutsche Stammeszugehörigkeit. Der Zwiespalt zwischen einem starken persön¬
lichen Kämpferwillen und einer durch Übermaß theoretischer Erwägungen auf
eine tatensremde Versöhnlichkeit und Ausgleichung der Gegensätze drängenden
Geistesrichtung hat ihn nie verlassen. Es steckt etwas Hamletisches in seinem
Wesen, das sich zu einer immer ungestillten innern Unruhe verdichtet und ihn
ohne Rast durch die Länder getrieben hat. Der deutsche Wandertrieb war in
ihm so mächtig, daß kein noch so lockendes Angebot ihn irgendwo dauernd
fesseln konnte, denn die nach tausend Richtungen auseinanderflatternden Inter¬
essen seines Geistes mußten immer neue Nahrung haben. Er träumte von
einer christlichen Universalreligion, er glaubte fest, daß es die Bestimmung und
das Wesen der Welt sei, alles Widerstreitende auszugleichen und darum auch
in Glaubensfragen einmütig zu werden. Er träumte auch von einem Völker¬
frühling, der alle Nationen in gegenseitiger Liebe umschlingen sollte. Aber
derselbe Mann war auch wieder eine trotzige deutsche Kämpfernatur, zu keinem
Zugeständnis in wissenschaftlichen Dingen bereit und im geistigen Kampf mit
den ausländischen Gelehrten sehr viel gröber in der Wahl der Formen als
diese. Und auch als Politiker pflegte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen,
seine flammende Streitschrift "rex Lkn8tiani88inn8" gegen den Sonnenkönig
war ein Ausdruck unverfälschten deutschen Zornes.

Leibniz als Gelehrter und Mensch war Universalist, und das Deutschtum
hat zum allergrößten Teil unbewußt aus ihm gesprochen. Aber für die
Prägung jenes besonderen deutschen Geistes, den das achtzehnte Jahrhundert
ausbildete und das neunzehnte zu immer sichtbarerer Entfaltung führte, ward
seine Lehre zum unverrückbaren Grundstein. Auch der deutsche Geist hat einen
ewigen Zug ins Kosmopolitische wie der von Leibniz, einen Hang zur Welt¬
versöhnung, bis er. einmal aus seinem theoretischen Gleichmut aufgeschreckt, zur
deutschen Schwertschrift wird. _




Grenzboten IV 191" 12
Leibniz und der deutsche Geist

zwecklosen oder gar zweckwidrigen Handelns treffen. Gott sah unendlich viele
Welten als möglich vor sich, aber er mußte die zweckmäßigste wählen, weil er
sich sonst mit seinem eigenen Wesen in Widerspruch befunden hätte. So ist auch
die berühmte Lehre von der besten Welt und damit der in der deutschen
Theologie durch ihn höchst fruchtbar gewordene Gedanke der Theodizee aus dieser
idealistischen Metaphnsik erwachsen. Das Böse, das Gott in der Welt duldet, ist eine
conäitio sine qua non der Zweckidee, weil ohne Böses keine Freiheit und ohne
Freiheit keine Tugend möglich ist. Die Freiheit aber, die aus der Vernunft kommt,
ist der höchste Gedanke der praktischen Philosophie, in ihr bewährt sich der
Mensch in seiner ihm im Zweckbereich der Welt zugewiesenen Selbstbestimmung.

Es spielt hier letzten Endes in den klaren Gedankenbau eine tiefe, ra¬
tional nicht auflösbare Mystik, eine innige Versunkenheit in die Wunder der
Welt und der Gottheit. Daß dieser scharfe Geist sich auch wieder in einem
fast kindlichen Hingenommensein an unerfüllbare Träumereien hing, ist, fast
wird man versucht, leider zu sagen, ein sprechender Beweis für feine echt
deutsche Stammeszugehörigkeit. Der Zwiespalt zwischen einem starken persön¬
lichen Kämpferwillen und einer durch Übermaß theoretischer Erwägungen auf
eine tatensremde Versöhnlichkeit und Ausgleichung der Gegensätze drängenden
Geistesrichtung hat ihn nie verlassen. Es steckt etwas Hamletisches in seinem
Wesen, das sich zu einer immer ungestillten innern Unruhe verdichtet und ihn
ohne Rast durch die Länder getrieben hat. Der deutsche Wandertrieb war in
ihm so mächtig, daß kein noch so lockendes Angebot ihn irgendwo dauernd
fesseln konnte, denn die nach tausend Richtungen auseinanderflatternden Inter¬
essen seines Geistes mußten immer neue Nahrung haben. Er träumte von
einer christlichen Universalreligion, er glaubte fest, daß es die Bestimmung und
das Wesen der Welt sei, alles Widerstreitende auszugleichen und darum auch
in Glaubensfragen einmütig zu werden. Er träumte auch von einem Völker¬
frühling, der alle Nationen in gegenseitiger Liebe umschlingen sollte. Aber
derselbe Mann war auch wieder eine trotzige deutsche Kämpfernatur, zu keinem
Zugeständnis in wissenschaftlichen Dingen bereit und im geistigen Kampf mit
den ausländischen Gelehrten sehr viel gröber in der Wahl der Formen als
diese. Und auch als Politiker pflegte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen,
seine flammende Streitschrift „rex Lkn8tiani88inn8« gegen den Sonnenkönig
war ein Ausdruck unverfälschten deutschen Zornes.

Leibniz als Gelehrter und Mensch war Universalist, und das Deutschtum
hat zum allergrößten Teil unbewußt aus ihm gesprochen. Aber für die
Prägung jenes besonderen deutschen Geistes, den das achtzehnte Jahrhundert
ausbildete und das neunzehnte zu immer sichtbarerer Entfaltung führte, ward
seine Lehre zum unverrückbaren Grundstein. Auch der deutsche Geist hat einen
ewigen Zug ins Kosmopolitische wie der von Leibniz, einen Hang zur Welt¬
versöhnung, bis er. einmal aus seinem theoretischen Gleichmut aufgeschreckt, zur
deutschen Schwertschrift wird. _




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[0189] Leibniz und der deutsche Geist zwecklosen oder gar zweckwidrigen Handelns treffen. Gott sah unendlich viele Welten als möglich vor sich, aber er mußte die zweckmäßigste wählen, weil er sich sonst mit seinem eigenen Wesen in Widerspruch befunden hätte. So ist auch die berühmte Lehre von der besten Welt und damit der in der deutschen Theologie durch ihn höchst fruchtbar gewordene Gedanke der Theodizee aus dieser idealistischen Metaphnsik erwachsen. Das Böse, das Gott in der Welt duldet, ist eine conäitio sine qua non der Zweckidee, weil ohne Böses keine Freiheit und ohne Freiheit keine Tugend möglich ist. Die Freiheit aber, die aus der Vernunft kommt, ist der höchste Gedanke der praktischen Philosophie, in ihr bewährt sich der Mensch in seiner ihm im Zweckbereich der Welt zugewiesenen Selbstbestimmung. Es spielt hier letzten Endes in den klaren Gedankenbau eine tiefe, ra¬ tional nicht auflösbare Mystik, eine innige Versunkenheit in die Wunder der Welt und der Gottheit. Daß dieser scharfe Geist sich auch wieder in einem fast kindlichen Hingenommensein an unerfüllbare Träumereien hing, ist, fast wird man versucht, leider zu sagen, ein sprechender Beweis für feine echt deutsche Stammeszugehörigkeit. Der Zwiespalt zwischen einem starken persön¬ lichen Kämpferwillen und einer durch Übermaß theoretischer Erwägungen auf eine tatensremde Versöhnlichkeit und Ausgleichung der Gegensätze drängenden Geistesrichtung hat ihn nie verlassen. Es steckt etwas Hamletisches in seinem Wesen, das sich zu einer immer ungestillten innern Unruhe verdichtet und ihn ohne Rast durch die Länder getrieben hat. Der deutsche Wandertrieb war in ihm so mächtig, daß kein noch so lockendes Angebot ihn irgendwo dauernd fesseln konnte, denn die nach tausend Richtungen auseinanderflatternden Inter¬ essen seines Geistes mußten immer neue Nahrung haben. Er träumte von einer christlichen Universalreligion, er glaubte fest, daß es die Bestimmung und das Wesen der Welt sei, alles Widerstreitende auszugleichen und darum auch in Glaubensfragen einmütig zu werden. Er träumte auch von einem Völker¬ frühling, der alle Nationen in gegenseitiger Liebe umschlingen sollte. Aber derselbe Mann war auch wieder eine trotzige deutsche Kämpfernatur, zu keinem Zugeständnis in wissenschaftlichen Dingen bereit und im geistigen Kampf mit den ausländischen Gelehrten sehr viel gröber in der Wahl der Formen als diese. Und auch als Politiker pflegte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen, seine flammende Streitschrift „rex Lkn8tiani88inn8« gegen den Sonnenkönig war ein Ausdruck unverfälschten deutschen Zornes. Leibniz als Gelehrter und Mensch war Universalist, und das Deutschtum hat zum allergrößten Teil unbewußt aus ihm gesprochen. Aber für die Prägung jenes besonderen deutschen Geistes, den das achtzehnte Jahrhundert ausbildete und das neunzehnte zu immer sichtbarerer Entfaltung führte, ward seine Lehre zum unverrückbaren Grundstein. Auch der deutsche Geist hat einen ewigen Zug ins Kosmopolitische wie der von Leibniz, einen Hang zur Welt¬ versöhnung, bis er. einmal aus seinem theoretischen Gleichmut aufgeschreckt, zur deutschen Schwertschrift wird. _ Grenzboten IV 191« 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/189>, abgerufen am 23.07.2024.