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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Der Tauchbootkrieg

Gegnern freilich nicht unwillkommen sind, führen sie doch leicht zu für uns
ungünstigen politischen Verwicklungen, wie u. a. der Fall der Lusitania lehrt.

Die nächste und häufigste Folge ist die große Geführdung der Mannschaft
und der Reisenden auf feindlichen Handelsschiffen. Die amerikanische Regierung
hält es in ihrer Note vom 15. Mai 1915 für eine selbstverständliche Regel,
die, wie sie erwartet, auch die deutsche Negierung anerkennen werde, daß das
Leben von Nichtkämpfern durch die Zerstörung eines unbewaffneten Handels¬
schiffes nicht in Gefahr gebracht werden könne; sie glaubt, das Deutsche Reich
für eine absichtliche wie zufällige Verletzung amerikanischer, auf Schiffen krieg¬
führender Staaten reisender Bürger streng verantwortlich machen zu müssen.
Wie unhaltbar und ungerecht dieser Standtpunkt ist, hat schon der amerikanische
Senator W. I. Stone durch seine Bemerkung über das Schicksal der Lusitania-
Fcchrgäste beleuchtet: "Einmal an Bord eines britischen Schiffes waren sie auf
britischen Boden. War ihre Lage nicht im wesentlichen dieselbe, wie beim
Aufenthalt innerhalb der Mauern einer befestigten Stadt? Wenn amerika¬
nische Bürger innerhalb einer belagerten oder bedrohten Stadt verbleiben, und
der Feind greift an, was sollte dann unsere Regierung tun, wenn unseren
Staatsangehörigen ein Leid geschähe?" Und, so können wir weiter fragen,
vernichtet nicht auch die Seemine das unbewaffnete Schiff so gut wie das
bewaffnete, ja sogar das neutrale wie das feindliche? Und dennoch ist trotz
der Gefährdung friedlicher Reisender das Legen von Seculum innerhalb gewisser
Schranken völkerrechtlich erlaubt, und es bleibt erlaubt, auch wenn Menschen¬
leben wirklich vernichtet werden. Weit eher noch muß dies für das plötzliche
Torpedieren der feindlichen Schiffe gelten. Denn die Gefährdung der Schiffs¬
insassen hat hier in Wahrheit ihren Grund in der völkerrechtswidrigen Schiffs'
bewaffnung. Diese allein nötigt uns, jedes feindliche Schiff, auch das un¬
bewaffnete, das als solches ja nicht erkennbar ist, ohne Warnung zu zerstören.
Selbst die Anwesenheit von zahlreichen Fahrgästen, seien es Angehörige von
feindlichen oder neutralen Staaten, darf den Tauchbootführer nicht von solchem
Vorgehen abhalten, es sei denn, daß die dadurch zu erzielende Schädigung des
Feindes in gar keinem Verhältnis zu der Größe der Opfer stände. Das war
beispielsweise bei der Zerstörung des Dampfers Lusitania nicht der Fall, der
ungeheure Mengen von Munition und furchtbaren Sprengstoffen in feinem
Schiffsbauche barg, hinreichend um tausende und abertausende unserer Söhne
und Brüder zu töten und zu verstümmeln. Und wenn dieser Dampfer, vor
dessen Benutzung wiederholt ernstlich gewarnt worden war, aus falscher Rücksicht-
nahme auf die Schiffsinsassen nicht torpediert worden wäre, wäre das nicht
einem Freibriefe für alle weiteren Fahrten von munitionsbeladenen Paffagier¬
dampfern gleichgekommen? Oder mit welchem besseren Rechte hätten spätere
Dampfer zerstört werden können? Der Standpunkt der amerikanischen Regierung
läuft in Wahrheit darauf hinaus, daß durch völkerrechtswidrige Maßnahmen
des einen Kriegführenden dem andern der Gebrauch der rechtmäßigen Waffe


Der Tauchbootkrieg

Gegnern freilich nicht unwillkommen sind, führen sie doch leicht zu für uns
ungünstigen politischen Verwicklungen, wie u. a. der Fall der Lusitania lehrt.

Die nächste und häufigste Folge ist die große Geführdung der Mannschaft
und der Reisenden auf feindlichen Handelsschiffen. Die amerikanische Regierung
hält es in ihrer Note vom 15. Mai 1915 für eine selbstverständliche Regel,
die, wie sie erwartet, auch die deutsche Negierung anerkennen werde, daß das
Leben von Nichtkämpfern durch die Zerstörung eines unbewaffneten Handels¬
schiffes nicht in Gefahr gebracht werden könne; sie glaubt, das Deutsche Reich
für eine absichtliche wie zufällige Verletzung amerikanischer, auf Schiffen krieg¬
führender Staaten reisender Bürger streng verantwortlich machen zu müssen.
Wie unhaltbar und ungerecht dieser Standtpunkt ist, hat schon der amerikanische
Senator W. I. Stone durch seine Bemerkung über das Schicksal der Lusitania-
Fcchrgäste beleuchtet: „Einmal an Bord eines britischen Schiffes waren sie auf
britischen Boden. War ihre Lage nicht im wesentlichen dieselbe, wie beim
Aufenthalt innerhalb der Mauern einer befestigten Stadt? Wenn amerika¬
nische Bürger innerhalb einer belagerten oder bedrohten Stadt verbleiben, und
der Feind greift an, was sollte dann unsere Regierung tun, wenn unseren
Staatsangehörigen ein Leid geschähe?" Und, so können wir weiter fragen,
vernichtet nicht auch die Seemine das unbewaffnete Schiff so gut wie das
bewaffnete, ja sogar das neutrale wie das feindliche? Und dennoch ist trotz
der Gefährdung friedlicher Reisender das Legen von Seculum innerhalb gewisser
Schranken völkerrechtlich erlaubt, und es bleibt erlaubt, auch wenn Menschen¬
leben wirklich vernichtet werden. Weit eher noch muß dies für das plötzliche
Torpedieren der feindlichen Schiffe gelten. Denn die Gefährdung der Schiffs¬
insassen hat hier in Wahrheit ihren Grund in der völkerrechtswidrigen Schiffs'
bewaffnung. Diese allein nötigt uns, jedes feindliche Schiff, auch das un¬
bewaffnete, das als solches ja nicht erkennbar ist, ohne Warnung zu zerstören.
Selbst die Anwesenheit von zahlreichen Fahrgästen, seien es Angehörige von
feindlichen oder neutralen Staaten, darf den Tauchbootführer nicht von solchem
Vorgehen abhalten, es sei denn, daß die dadurch zu erzielende Schädigung des
Feindes in gar keinem Verhältnis zu der Größe der Opfer stände. Das war
beispielsweise bei der Zerstörung des Dampfers Lusitania nicht der Fall, der
ungeheure Mengen von Munition und furchtbaren Sprengstoffen in feinem
Schiffsbauche barg, hinreichend um tausende und abertausende unserer Söhne
und Brüder zu töten und zu verstümmeln. Und wenn dieser Dampfer, vor
dessen Benutzung wiederholt ernstlich gewarnt worden war, aus falscher Rücksicht-
nahme auf die Schiffsinsassen nicht torpediert worden wäre, wäre das nicht
einem Freibriefe für alle weiteren Fahrten von munitionsbeladenen Paffagier¬
dampfern gleichgekommen? Oder mit welchem besseren Rechte hätten spätere
Dampfer zerstört werden können? Der Standpunkt der amerikanischen Regierung
läuft in Wahrheit darauf hinaus, daß durch völkerrechtswidrige Maßnahmen
des einen Kriegführenden dem andern der Gebrauch der rechtmäßigen Waffe


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[0181] Der Tauchbootkrieg Gegnern freilich nicht unwillkommen sind, führen sie doch leicht zu für uns ungünstigen politischen Verwicklungen, wie u. a. der Fall der Lusitania lehrt. Die nächste und häufigste Folge ist die große Geführdung der Mannschaft und der Reisenden auf feindlichen Handelsschiffen. Die amerikanische Regierung hält es in ihrer Note vom 15. Mai 1915 für eine selbstverständliche Regel, die, wie sie erwartet, auch die deutsche Negierung anerkennen werde, daß das Leben von Nichtkämpfern durch die Zerstörung eines unbewaffneten Handels¬ schiffes nicht in Gefahr gebracht werden könne; sie glaubt, das Deutsche Reich für eine absichtliche wie zufällige Verletzung amerikanischer, auf Schiffen krieg¬ führender Staaten reisender Bürger streng verantwortlich machen zu müssen. Wie unhaltbar und ungerecht dieser Standtpunkt ist, hat schon der amerikanische Senator W. I. Stone durch seine Bemerkung über das Schicksal der Lusitania- Fcchrgäste beleuchtet: „Einmal an Bord eines britischen Schiffes waren sie auf britischen Boden. War ihre Lage nicht im wesentlichen dieselbe, wie beim Aufenthalt innerhalb der Mauern einer befestigten Stadt? Wenn amerika¬ nische Bürger innerhalb einer belagerten oder bedrohten Stadt verbleiben, und der Feind greift an, was sollte dann unsere Regierung tun, wenn unseren Staatsangehörigen ein Leid geschähe?" Und, so können wir weiter fragen, vernichtet nicht auch die Seemine das unbewaffnete Schiff so gut wie das bewaffnete, ja sogar das neutrale wie das feindliche? Und dennoch ist trotz der Gefährdung friedlicher Reisender das Legen von Seculum innerhalb gewisser Schranken völkerrechtlich erlaubt, und es bleibt erlaubt, auch wenn Menschen¬ leben wirklich vernichtet werden. Weit eher noch muß dies für das plötzliche Torpedieren der feindlichen Schiffe gelten. Denn die Gefährdung der Schiffs¬ insassen hat hier in Wahrheit ihren Grund in der völkerrechtswidrigen Schiffs' bewaffnung. Diese allein nötigt uns, jedes feindliche Schiff, auch das un¬ bewaffnete, das als solches ja nicht erkennbar ist, ohne Warnung zu zerstören. Selbst die Anwesenheit von zahlreichen Fahrgästen, seien es Angehörige von feindlichen oder neutralen Staaten, darf den Tauchbootführer nicht von solchem Vorgehen abhalten, es sei denn, daß die dadurch zu erzielende Schädigung des Feindes in gar keinem Verhältnis zu der Größe der Opfer stände. Das war beispielsweise bei der Zerstörung des Dampfers Lusitania nicht der Fall, der ungeheure Mengen von Munition und furchtbaren Sprengstoffen in feinem Schiffsbauche barg, hinreichend um tausende und abertausende unserer Söhne und Brüder zu töten und zu verstümmeln. Und wenn dieser Dampfer, vor dessen Benutzung wiederholt ernstlich gewarnt worden war, aus falscher Rücksicht- nahme auf die Schiffsinsassen nicht torpediert worden wäre, wäre das nicht einem Freibriefe für alle weiteren Fahrten von munitionsbeladenen Paffagier¬ dampfern gleichgekommen? Oder mit welchem besseren Rechte hätten spätere Dampfer zerstört werden können? Der Standpunkt der amerikanischen Regierung läuft in Wahrheit darauf hinaus, daß durch völkerrechtswidrige Maßnahmen des einen Kriegführenden dem andern der Gebrauch der rechtmäßigen Waffe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/181>, abgerufen am 23.07.2024.