Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Tauchbootkrieg

mehr und mehr steigernde Häufigkeit der Versenkung neutraler Schiffe ihren letzten
Grund in Englands völkerrechtswidriger Ausdehnung der Bannwarenliste hat.
Nachdem Deutschland -- zögernd zwar, aber schließlich notgedrungen -- Eng¬
lands Beispiele gefolgt ist und ebenfalls fast alle Arten von Waren, die in
dieser Zeit mangelnden Frachtenraums überhaupt noch für die Verschiffung in
Betracht kommen, für Baumgut erklärt hat, ist es dahin gekommen, daß fast
jedes Schiff eines Neutralen, das England oder dessen Verbündeten Waren
zuführt, der Wegnahme oder Zerstörung durch unsere Tauchboote ausgesetzt ist.
So richtet sich die Entrüstung gegen uns, statt gegen England.

Wohl aus solcher Stimmung heraus hat man das Tauchboot, sofern es
nicht gegen Kriegsschiffe, sondern gegen feindliche und neutrale Handelsschiffe
verwendet wird, schlechthin als völkerrechtswidriges Kriegsmittel wegen der
regelmäßig notwendig werdenden Zerstörung der beschlagnahmten Schiffe
bezeichnet. Es sei "praktisch unmöglich", heißt es in der Note der Vereinigten
Staaten an Deutschland vom 15. Mai 1915, "Unterseebote für die Vernichtung
des Handels zu verwenden, ohne dabei die Regeln der Billigkeit, der Vernunft,
der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu mißachten, die von der modernen
Anschauung als gebietend angesehen werden."

Ob die amerikanische Regierung diese Ansicht noch aufrechterhalten mag,
nachdem England in der Ostsee den Tauchbootkrieg im Verein mit Rußland
rücksichtslos gegen deutsche Handelsschiffe führt und diese völkerrechtswidrig
sogar in den Küstengewässern Schwedens angegriffen hat, bleibe dahingestellt.
Jedenfalls ist die Ansicht unbegründet, nicht nur hinsichtlich der Verwendung
der Tauchboote gegen feindliche, sondern auch gegen neutrale Handelsschiffe.

Über die Zulässigkeit der Zerstörung von beschlagnahmbaren Kauffahrtei¬
schiffen -- und zwar nur von neutralen Schiffen -- handelt die Londoner
Seekriegsrechtserklärung von 1909. Sie ist zwar von den Mächten nicht
ratifiziert worden, ihre Regeln entsprechen aber, wie es in der einleitenden
Bestimmung der Signatarmächte zutreffend heißt, "im wesentlichen den allgemein
anerkannten Grundsätzen des internationalen Rechts", so daß sie trotz jenes
Mangels als geltendes Völkerrecht anerkannt werden dürfen, wie auch der
Haager ständige Schiedsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 6. Mai 1913
sie "für das Seekriegsrecht der Kulturstaaten als maßgebend" betrachtet.
Neutrale Handelsschiffe können danach, abgesehen von dem Fall des Blockade¬
bruchs, noch in gewissen anderen Fällen beschlagnahmt werden, nämlich in den
in den Artikeln 45 und 46 aufgeführten Fällen der neutralitätswidrigen Unter¬
stützung eines Kriegführenden und in dem praktisch besonders wichtigen Falle
des Artikel 40: wenn die von dem Schiffe beförderte Bannware nach Wert,
Gewicht, Umfang oder Fracht mehr als die Hälfte der Ladung ausmacht.
Das Schiff ist zu diesem Zweck nach altem Herkommen zunächst anzuhalten
und zu durchsuchen, dann gegebenenfalls zu beschlagnahmen. Das beschlag¬
nahmte Schiff darf von der nehmenden Kriegsmacht nicht zerstört werden,


Der Tauchbootkrieg

mehr und mehr steigernde Häufigkeit der Versenkung neutraler Schiffe ihren letzten
Grund in Englands völkerrechtswidriger Ausdehnung der Bannwarenliste hat.
Nachdem Deutschland — zögernd zwar, aber schließlich notgedrungen — Eng¬
lands Beispiele gefolgt ist und ebenfalls fast alle Arten von Waren, die in
dieser Zeit mangelnden Frachtenraums überhaupt noch für die Verschiffung in
Betracht kommen, für Baumgut erklärt hat, ist es dahin gekommen, daß fast
jedes Schiff eines Neutralen, das England oder dessen Verbündeten Waren
zuführt, der Wegnahme oder Zerstörung durch unsere Tauchboote ausgesetzt ist.
So richtet sich die Entrüstung gegen uns, statt gegen England.

Wohl aus solcher Stimmung heraus hat man das Tauchboot, sofern es
nicht gegen Kriegsschiffe, sondern gegen feindliche und neutrale Handelsschiffe
verwendet wird, schlechthin als völkerrechtswidriges Kriegsmittel wegen der
regelmäßig notwendig werdenden Zerstörung der beschlagnahmten Schiffe
bezeichnet. Es sei „praktisch unmöglich", heißt es in der Note der Vereinigten
Staaten an Deutschland vom 15. Mai 1915, „Unterseebote für die Vernichtung
des Handels zu verwenden, ohne dabei die Regeln der Billigkeit, der Vernunft,
der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu mißachten, die von der modernen
Anschauung als gebietend angesehen werden."

Ob die amerikanische Regierung diese Ansicht noch aufrechterhalten mag,
nachdem England in der Ostsee den Tauchbootkrieg im Verein mit Rußland
rücksichtslos gegen deutsche Handelsschiffe führt und diese völkerrechtswidrig
sogar in den Küstengewässern Schwedens angegriffen hat, bleibe dahingestellt.
Jedenfalls ist die Ansicht unbegründet, nicht nur hinsichtlich der Verwendung
der Tauchboote gegen feindliche, sondern auch gegen neutrale Handelsschiffe.

Über die Zulässigkeit der Zerstörung von beschlagnahmbaren Kauffahrtei¬
schiffen — und zwar nur von neutralen Schiffen — handelt die Londoner
Seekriegsrechtserklärung von 1909. Sie ist zwar von den Mächten nicht
ratifiziert worden, ihre Regeln entsprechen aber, wie es in der einleitenden
Bestimmung der Signatarmächte zutreffend heißt, „im wesentlichen den allgemein
anerkannten Grundsätzen des internationalen Rechts", so daß sie trotz jenes
Mangels als geltendes Völkerrecht anerkannt werden dürfen, wie auch der
Haager ständige Schiedsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 6. Mai 1913
sie „für das Seekriegsrecht der Kulturstaaten als maßgebend" betrachtet.
Neutrale Handelsschiffe können danach, abgesehen von dem Fall des Blockade¬
bruchs, noch in gewissen anderen Fällen beschlagnahmt werden, nämlich in den
in den Artikeln 45 und 46 aufgeführten Fällen der neutralitätswidrigen Unter¬
stützung eines Kriegführenden und in dem praktisch besonders wichtigen Falle
des Artikel 40: wenn die von dem Schiffe beförderte Bannware nach Wert,
Gewicht, Umfang oder Fracht mehr als die Hälfte der Ladung ausmacht.
Das Schiff ist zu diesem Zweck nach altem Herkommen zunächst anzuhalten
und zu durchsuchen, dann gegebenenfalls zu beschlagnahmen. Das beschlag¬
nahmte Schiff darf von der nehmenden Kriegsmacht nicht zerstört werden,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331146"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Tauchbootkrieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_597" prev="#ID_596"> mehr und mehr steigernde Häufigkeit der Versenkung neutraler Schiffe ihren letzten<lb/>
Grund in Englands völkerrechtswidriger Ausdehnung der Bannwarenliste hat.<lb/>
Nachdem Deutschland &#x2014; zögernd zwar, aber schließlich notgedrungen &#x2014; Eng¬<lb/>
lands Beispiele gefolgt ist und ebenfalls fast alle Arten von Waren, die in<lb/>
dieser Zeit mangelnden Frachtenraums überhaupt noch für die Verschiffung in<lb/>
Betracht kommen, für Baumgut erklärt hat, ist es dahin gekommen, daß fast<lb/>
jedes Schiff eines Neutralen, das England oder dessen Verbündeten Waren<lb/>
zuführt, der Wegnahme oder Zerstörung durch unsere Tauchboote ausgesetzt ist.<lb/>
So richtet sich die Entrüstung gegen uns, statt gegen England.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_598"> Wohl aus solcher Stimmung heraus hat man das Tauchboot, sofern es<lb/>
nicht gegen Kriegsschiffe, sondern gegen feindliche und neutrale Handelsschiffe<lb/>
verwendet wird, schlechthin als völkerrechtswidriges Kriegsmittel wegen der<lb/>
regelmäßig notwendig werdenden Zerstörung der beschlagnahmten Schiffe<lb/>
bezeichnet. Es sei &#x201E;praktisch unmöglich", heißt es in der Note der Vereinigten<lb/>
Staaten an Deutschland vom 15. Mai 1915, &#x201E;Unterseebote für die Vernichtung<lb/>
des Handels zu verwenden, ohne dabei die Regeln der Billigkeit, der Vernunft,<lb/>
der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu mißachten, die von der modernen<lb/>
Anschauung als gebietend angesehen werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_599"> Ob die amerikanische Regierung diese Ansicht noch aufrechterhalten mag,<lb/>
nachdem England in der Ostsee den Tauchbootkrieg im Verein mit Rußland<lb/>
rücksichtslos gegen deutsche Handelsschiffe führt und diese völkerrechtswidrig<lb/>
sogar in den Küstengewässern Schwedens angegriffen hat, bleibe dahingestellt.<lb/>
Jedenfalls ist die Ansicht unbegründet, nicht nur hinsichtlich der Verwendung<lb/>
der Tauchboote gegen feindliche, sondern auch gegen neutrale Handelsschiffe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_600" next="#ID_601"> Über die Zulässigkeit der Zerstörung von beschlagnahmbaren Kauffahrtei¬<lb/>
schiffen &#x2014; und zwar nur von neutralen Schiffen &#x2014; handelt die Londoner<lb/>
Seekriegsrechtserklärung von 1909. Sie ist zwar von den Mächten nicht<lb/>
ratifiziert worden, ihre Regeln entsprechen aber, wie es in der einleitenden<lb/>
Bestimmung der Signatarmächte zutreffend heißt, &#x201E;im wesentlichen den allgemein<lb/>
anerkannten Grundsätzen des internationalen Rechts", so daß sie trotz jenes<lb/>
Mangels als geltendes Völkerrecht anerkannt werden dürfen, wie auch der<lb/>
Haager ständige Schiedsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 6. Mai 1913<lb/>
sie &#x201E;für das Seekriegsrecht der Kulturstaaten als maßgebend" betrachtet.<lb/>
Neutrale Handelsschiffe können danach, abgesehen von dem Fall des Blockade¬<lb/>
bruchs, noch in gewissen anderen Fällen beschlagnahmt werden, nämlich in den<lb/>
in den Artikeln 45 und 46 aufgeführten Fällen der neutralitätswidrigen Unter¬<lb/>
stützung eines Kriegführenden und in dem praktisch besonders wichtigen Falle<lb/>
des Artikel 40: wenn die von dem Schiffe beförderte Bannware nach Wert,<lb/>
Gewicht, Umfang oder Fracht mehr als die Hälfte der Ladung ausmacht.<lb/>
Das Schiff ist zu diesem Zweck nach altem Herkommen zunächst anzuhalten<lb/>
und zu durchsuchen, dann gegebenenfalls zu beschlagnahmen. Das beschlag¬<lb/>
nahmte Schiff darf von der nehmenden Kriegsmacht nicht zerstört werden,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] Der Tauchbootkrieg mehr und mehr steigernde Häufigkeit der Versenkung neutraler Schiffe ihren letzten Grund in Englands völkerrechtswidriger Ausdehnung der Bannwarenliste hat. Nachdem Deutschland — zögernd zwar, aber schließlich notgedrungen — Eng¬ lands Beispiele gefolgt ist und ebenfalls fast alle Arten von Waren, die in dieser Zeit mangelnden Frachtenraums überhaupt noch für die Verschiffung in Betracht kommen, für Baumgut erklärt hat, ist es dahin gekommen, daß fast jedes Schiff eines Neutralen, das England oder dessen Verbündeten Waren zuführt, der Wegnahme oder Zerstörung durch unsere Tauchboote ausgesetzt ist. So richtet sich die Entrüstung gegen uns, statt gegen England. Wohl aus solcher Stimmung heraus hat man das Tauchboot, sofern es nicht gegen Kriegsschiffe, sondern gegen feindliche und neutrale Handelsschiffe verwendet wird, schlechthin als völkerrechtswidriges Kriegsmittel wegen der regelmäßig notwendig werdenden Zerstörung der beschlagnahmten Schiffe bezeichnet. Es sei „praktisch unmöglich", heißt es in der Note der Vereinigten Staaten an Deutschland vom 15. Mai 1915, „Unterseebote für die Vernichtung des Handels zu verwenden, ohne dabei die Regeln der Billigkeit, der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu mißachten, die von der modernen Anschauung als gebietend angesehen werden." Ob die amerikanische Regierung diese Ansicht noch aufrechterhalten mag, nachdem England in der Ostsee den Tauchbootkrieg im Verein mit Rußland rücksichtslos gegen deutsche Handelsschiffe führt und diese völkerrechtswidrig sogar in den Küstengewässern Schwedens angegriffen hat, bleibe dahingestellt. Jedenfalls ist die Ansicht unbegründet, nicht nur hinsichtlich der Verwendung der Tauchboote gegen feindliche, sondern auch gegen neutrale Handelsschiffe. Über die Zulässigkeit der Zerstörung von beschlagnahmbaren Kauffahrtei¬ schiffen — und zwar nur von neutralen Schiffen — handelt die Londoner Seekriegsrechtserklärung von 1909. Sie ist zwar von den Mächten nicht ratifiziert worden, ihre Regeln entsprechen aber, wie es in der einleitenden Bestimmung der Signatarmächte zutreffend heißt, „im wesentlichen den allgemein anerkannten Grundsätzen des internationalen Rechts", so daß sie trotz jenes Mangels als geltendes Völkerrecht anerkannt werden dürfen, wie auch der Haager ständige Schiedsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 6. Mai 1913 sie „für das Seekriegsrecht der Kulturstaaten als maßgebend" betrachtet. Neutrale Handelsschiffe können danach, abgesehen von dem Fall des Blockade¬ bruchs, noch in gewissen anderen Fällen beschlagnahmt werden, nämlich in den in den Artikeln 45 und 46 aufgeführten Fällen der neutralitätswidrigen Unter¬ stützung eines Kriegführenden und in dem praktisch besonders wichtigen Falle des Artikel 40: wenn die von dem Schiffe beförderte Bannware nach Wert, Gewicht, Umfang oder Fracht mehr als die Hälfte der Ladung ausmacht. Das Schiff ist zu diesem Zweck nach altem Herkommen zunächst anzuhalten und zu durchsuchen, dann gegebenenfalls zu beschlagnahmen. Das beschlag¬ nahmte Schiff darf von der nehmenden Kriegsmacht nicht zerstört werden,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/174>, abgerufen am 23.07.2024.