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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Sparfrage vor, während und "ach dem Kriege

überhaupt notwendig? Sind nicht die achtzehn Milliarden Einlagen der gesamten
öffentlichen deutschen Sparkassen in Verbindung mit d?n zweiundzwanzig Millionen
ausgegebener Sparkassenbücher ein schlagender Beweis für den Sparsinn unserer
Bevölkerung? Diese Zahlen sind wohl geeignet, einen Beweis für die steigende
Wohlhabenheit des deutschen Volkes zu liefern, nicht aber dafür, daß nun gerade
auch die minderbemittelten, lohnarbeitenden Schichten an diesen Sparguthaben
wesentlich beteiligt sind. Irgendwelche Zahlen, die das letztere beweisen können,
sind in der Statistik nicht enthalten. Eine Vermehrung der Spargelegenheiten
und sonstige Verbesserungen im Sparkassenwesen, wie zum Beispiel Abholungs¬
system, Heimsparbüchsen, Schulsparkassen usw., würde daher auf das Sparen
der Minderbemittelten von keinem Einfluß sein. Solche Mittel und Mittelchen,
um den Spartrieb zu wecken und zu fördern, sind, so sagt von Biederstem
a. a. O. S. 19 zutreffend, für gewisse Kreise und im kleinen gewiß gut und
nützlich, aber große, bleibende Erfolge sind durch sie nicht zu erreichen. Die große
Masse der lohnarbeitenden Bevölkerung ist nur verhältnismäßig gering an den
achtzehn Milliarden Sparkasseneinlagen beteiligt. Zum Beweise dafür verweist er
auf einen interessanten Artikel des bekannten Sparkassenstatiftikers, Landesbankrat
Reusch-Wiesbaden, im Jahrgang 1910 der Zeitschrift "Die Sparkasse". S. 355.
Dieser Aufsatz macht es in hohem Grade wahrscheinlich, daß die Zahl der
systematischen Sparer, das heißt solcher, welche allmählich aus kleinen Beiträgen
eine größere Summe zusammensparen, sehr viel geringer ist, als man im Hinblick
auf die zirka zweiundzwanzig Millionen ausgegebener Sparkassenbücher annimmt.

Aber ließe sich denn nicht durch ein Prämiensystem die Vergnügungssucht
und Verschwendung beseitigen und an seiner Stelle der Spartrieb großziehen?
Ich möchte diese Frage schon mit Rücksicht auf die bisher mit Fabriksparkafsen
gemachten Erfahrungen verneinen. Das einzige, was für das Sparprämien¬
system spricht, ist, wie auch von Biederstem a. a. O. S. 12 mit Recht hervor¬
hebt, daß mit allen Zwangsmaßnahmen lange nicht das erreicht werden kann,
was die freiwillige Mitarbeit leistet. "Wie die freien Innungen den Zwangs¬
innungen, das freie Genossenschaftswesen den staatlich gebildeten Berufsver¬
tretungen der Handwerks-, Handels- und Landwirtschaftskammern mit gesetz¬
lichem Beitrittszwang überlegen sind, so würde es auch hier das Ideal bedeuten,
dem wir allerdings zustreben müssen, daß freiwillig die Summen erspart werden,
die den Minderbemittelten ein gesichertes Dasein ermöglichen. Da wir indessen
von diesem Ideal weit, sehr weit entfernt sind, so bleibt nur der Zwang."*)
Alles aber ist im Fluß, alles Gewohnheit. Mit der fortschreitenden Gesittung,
der wachsenden Einsicht, der Durchbildung sozialen Fühlens und Denkens, wird
der gesetzliche Zwang allmählich nicht mehr als solcher, sondern als das, was
er tatsächlich ist, nämlich als heilsame Wohltat empfunden werden. Die Grund¬
lage unserer heutigen Volkserziehung, nämlich allgemeine Schul-, Fortbildungs-



vvn Biederstem ni. a. O. S. 12.
Die Sparfrage vor, während und »ach dem Kriege

überhaupt notwendig? Sind nicht die achtzehn Milliarden Einlagen der gesamten
öffentlichen deutschen Sparkassen in Verbindung mit d?n zweiundzwanzig Millionen
ausgegebener Sparkassenbücher ein schlagender Beweis für den Sparsinn unserer
Bevölkerung? Diese Zahlen sind wohl geeignet, einen Beweis für die steigende
Wohlhabenheit des deutschen Volkes zu liefern, nicht aber dafür, daß nun gerade
auch die minderbemittelten, lohnarbeitenden Schichten an diesen Sparguthaben
wesentlich beteiligt sind. Irgendwelche Zahlen, die das letztere beweisen können,
sind in der Statistik nicht enthalten. Eine Vermehrung der Spargelegenheiten
und sonstige Verbesserungen im Sparkassenwesen, wie zum Beispiel Abholungs¬
system, Heimsparbüchsen, Schulsparkassen usw., würde daher auf das Sparen
der Minderbemittelten von keinem Einfluß sein. Solche Mittel und Mittelchen,
um den Spartrieb zu wecken und zu fördern, sind, so sagt von Biederstem
a. a. O. S. 19 zutreffend, für gewisse Kreise und im kleinen gewiß gut und
nützlich, aber große, bleibende Erfolge sind durch sie nicht zu erreichen. Die große
Masse der lohnarbeitenden Bevölkerung ist nur verhältnismäßig gering an den
achtzehn Milliarden Sparkasseneinlagen beteiligt. Zum Beweise dafür verweist er
auf einen interessanten Artikel des bekannten Sparkassenstatiftikers, Landesbankrat
Reusch-Wiesbaden, im Jahrgang 1910 der Zeitschrift „Die Sparkasse". S. 355.
Dieser Aufsatz macht es in hohem Grade wahrscheinlich, daß die Zahl der
systematischen Sparer, das heißt solcher, welche allmählich aus kleinen Beiträgen
eine größere Summe zusammensparen, sehr viel geringer ist, als man im Hinblick
auf die zirka zweiundzwanzig Millionen ausgegebener Sparkassenbücher annimmt.

Aber ließe sich denn nicht durch ein Prämiensystem die Vergnügungssucht
und Verschwendung beseitigen und an seiner Stelle der Spartrieb großziehen?
Ich möchte diese Frage schon mit Rücksicht auf die bisher mit Fabriksparkafsen
gemachten Erfahrungen verneinen. Das einzige, was für das Sparprämien¬
system spricht, ist, wie auch von Biederstem a. a. O. S. 12 mit Recht hervor¬
hebt, daß mit allen Zwangsmaßnahmen lange nicht das erreicht werden kann,
was die freiwillige Mitarbeit leistet. „Wie die freien Innungen den Zwangs¬
innungen, das freie Genossenschaftswesen den staatlich gebildeten Berufsver¬
tretungen der Handwerks-, Handels- und Landwirtschaftskammern mit gesetz¬
lichem Beitrittszwang überlegen sind, so würde es auch hier das Ideal bedeuten,
dem wir allerdings zustreben müssen, daß freiwillig die Summen erspart werden,
die den Minderbemittelten ein gesichertes Dasein ermöglichen. Da wir indessen
von diesem Ideal weit, sehr weit entfernt sind, so bleibt nur der Zwang."*)
Alles aber ist im Fluß, alles Gewohnheit. Mit der fortschreitenden Gesittung,
der wachsenden Einsicht, der Durchbildung sozialen Fühlens und Denkens, wird
der gesetzliche Zwang allmählich nicht mehr als solcher, sondern als das, was
er tatsächlich ist, nämlich als heilsame Wohltat empfunden werden. Die Grund¬
lage unserer heutigen Volkserziehung, nämlich allgemeine Schul-, Fortbildungs-



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[0154] Die Sparfrage vor, während und »ach dem Kriege überhaupt notwendig? Sind nicht die achtzehn Milliarden Einlagen der gesamten öffentlichen deutschen Sparkassen in Verbindung mit d?n zweiundzwanzig Millionen ausgegebener Sparkassenbücher ein schlagender Beweis für den Sparsinn unserer Bevölkerung? Diese Zahlen sind wohl geeignet, einen Beweis für die steigende Wohlhabenheit des deutschen Volkes zu liefern, nicht aber dafür, daß nun gerade auch die minderbemittelten, lohnarbeitenden Schichten an diesen Sparguthaben wesentlich beteiligt sind. Irgendwelche Zahlen, die das letztere beweisen können, sind in der Statistik nicht enthalten. Eine Vermehrung der Spargelegenheiten und sonstige Verbesserungen im Sparkassenwesen, wie zum Beispiel Abholungs¬ system, Heimsparbüchsen, Schulsparkassen usw., würde daher auf das Sparen der Minderbemittelten von keinem Einfluß sein. Solche Mittel und Mittelchen, um den Spartrieb zu wecken und zu fördern, sind, so sagt von Biederstem a. a. O. S. 19 zutreffend, für gewisse Kreise und im kleinen gewiß gut und nützlich, aber große, bleibende Erfolge sind durch sie nicht zu erreichen. Die große Masse der lohnarbeitenden Bevölkerung ist nur verhältnismäßig gering an den achtzehn Milliarden Sparkasseneinlagen beteiligt. Zum Beweise dafür verweist er auf einen interessanten Artikel des bekannten Sparkassenstatiftikers, Landesbankrat Reusch-Wiesbaden, im Jahrgang 1910 der Zeitschrift „Die Sparkasse". S. 355. Dieser Aufsatz macht es in hohem Grade wahrscheinlich, daß die Zahl der systematischen Sparer, das heißt solcher, welche allmählich aus kleinen Beiträgen eine größere Summe zusammensparen, sehr viel geringer ist, als man im Hinblick auf die zirka zweiundzwanzig Millionen ausgegebener Sparkassenbücher annimmt. Aber ließe sich denn nicht durch ein Prämiensystem die Vergnügungssucht und Verschwendung beseitigen und an seiner Stelle der Spartrieb großziehen? Ich möchte diese Frage schon mit Rücksicht auf die bisher mit Fabriksparkafsen gemachten Erfahrungen verneinen. Das einzige, was für das Sparprämien¬ system spricht, ist, wie auch von Biederstem a. a. O. S. 12 mit Recht hervor¬ hebt, daß mit allen Zwangsmaßnahmen lange nicht das erreicht werden kann, was die freiwillige Mitarbeit leistet. „Wie die freien Innungen den Zwangs¬ innungen, das freie Genossenschaftswesen den staatlich gebildeten Berufsver¬ tretungen der Handwerks-, Handels- und Landwirtschaftskammern mit gesetz¬ lichem Beitrittszwang überlegen sind, so würde es auch hier das Ideal bedeuten, dem wir allerdings zustreben müssen, daß freiwillig die Summen erspart werden, die den Minderbemittelten ein gesichertes Dasein ermöglichen. Da wir indessen von diesem Ideal weit, sehr weit entfernt sind, so bleibt nur der Zwang."*) Alles aber ist im Fluß, alles Gewohnheit. Mit der fortschreitenden Gesittung, der wachsenden Einsicht, der Durchbildung sozialen Fühlens und Denkens, wird der gesetzliche Zwang allmählich nicht mehr als solcher, sondern als das, was er tatsächlich ist, nämlich als heilsame Wohltat empfunden werden. Die Grund¬ lage unserer heutigen Volkserziehung, nämlich allgemeine Schul-, Fortbildungs- vvn Biederstem ni. a. O. S. 12.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/154>, abgerufen am 23.07.2024.