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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege

Mehrheit sich der Sparfrage gegenüber absolut passiv verhält und freiwillig aus
sich heraus nichts tut, um den Widerstand der Arbeiter zu brechen.

Erfahrene und einsichtsvolle Männer der verschiedensten Kreise betonen aber
immer wieder, daß die wirtschaftliche Hebung der handarbeitenden, minder¬
bemittelten Klassen nicht allein durch Erhöhung der Arbeitslöhne, sondern nur
in Verbindung mit einer zweckmäßigen Verteilung des verdienten Lohnes zu
erreichen sei. Immer lauter wurden die Klagen über die Lockerung des Familien¬
verhältnisses zwischen Eltern und Kindern, immer größer der Ruf nach Ein¬
schränkung der Vergnügungssucht, der Verschwendung und Trunksucht. Dem¬
gegenüber konnte sich auch die Negierung auf die Dauer nicht untätig verhalten.
In den verschiedenen Novellen der Gewerbeordnung finden sich vielfach Hinweise
auf die Notwendigkeit, hiergegen gesetzlich einzuschreiten. In der Regierungs¬
vorlage zur Novelle der Gewerbeordnung von 1891 heißt es: "In den letzten
Jahren haben sich die Klagen über die Lockerung der Zucht und Sitte und über
das Schwinden der elterlichen Autorität bei den jugendlichen Arbeitern gemehrt,
mangelnder Sparsinn, übermäßiger Besuch von Wirtshäusern und Tanzböden,
frühzeitige und leichtsinnige Heiraten ohne andere Mittel als der tägliche Ver¬
dienst sind gerade bei den jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen hervor¬
getreten, die früh das elterliche Haus verlassen oder die elterliche Zucht ab¬
geschüttelt und seit dem Verlassen der Volksschule nur die Zucht innerhalb der
Fabrik kennen gelernt haben". Die daraufhin durch Novelle zur Gewerbeordnung
vom Jahre 1891 eingeführten Maßnahmen haben jedoch irgendwelche praktische
Bedeutung nicht erlangt. Weder die neue Ordnung der Arbeitsbücher und
Arbeitszeugnisse (§Z 107 ff. R.G.O.), noch der Z 119a R.G.O.. der es ermöglicht,
durch Ortsstatut die Abführung des Arbeitslohnes Minderjähriger an deren
Eltern anzuordnen. Die § 107ff. R. G. O. können überhaupt als geeignetes
Mittel zur Festigung der Familienzucht nicht angesehen werden; und der Z 119a
R. G. O. könnte nur dann den beabsichtigten Erfolg haben, wenn sein Inhalt
obligatorisch gestaltet würde, mit der Maßgabe, daß die unmittelbare Auszahlung
des Lohnes an die Eltern oder sonstige gesetzliche Vertreter auf deren Antrag
ohne weiteres zu geschehen hätte. Es ist bezeichnend, daß nach den Jahres¬
berichten der preußischen Regierungs- und Gewerberäte in ganz Preußen nur
in zwei Jnspektionsbezirken, und auch dort nur in ganz vereinzelten Fällen, von
der Befugnis des § 119a R. G. O. Gebrauch gemacht worden ist*). Wegen
fehlenden Zwanges haben die Kommunen ein derartiges Statut nicht eingeführt,
offenbar, weil sie Unbequemlichkeiten und Nackenschläge befürchteten und auch wohl
nicht mit Unrecht voraushaben, daß eine Abwanderung der jugendlichen Arbeiter
in solche Betriebe stattfinden würde, wo ein solches Statut nicht eingeführt wäre.

Aus allem dürste sich ergeben, daß die staatliche Förderung des Sparens
unumgänglich ist. Aber, wird mancher fragen, ist denn ein Zwang zum Sparen



"') von Biederstem a, a> O, S> 37.
Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege

Mehrheit sich der Sparfrage gegenüber absolut passiv verhält und freiwillig aus
sich heraus nichts tut, um den Widerstand der Arbeiter zu brechen.

Erfahrene und einsichtsvolle Männer der verschiedensten Kreise betonen aber
immer wieder, daß die wirtschaftliche Hebung der handarbeitenden, minder¬
bemittelten Klassen nicht allein durch Erhöhung der Arbeitslöhne, sondern nur
in Verbindung mit einer zweckmäßigen Verteilung des verdienten Lohnes zu
erreichen sei. Immer lauter wurden die Klagen über die Lockerung des Familien¬
verhältnisses zwischen Eltern und Kindern, immer größer der Ruf nach Ein¬
schränkung der Vergnügungssucht, der Verschwendung und Trunksucht. Dem¬
gegenüber konnte sich auch die Negierung auf die Dauer nicht untätig verhalten.
In den verschiedenen Novellen der Gewerbeordnung finden sich vielfach Hinweise
auf die Notwendigkeit, hiergegen gesetzlich einzuschreiten. In der Regierungs¬
vorlage zur Novelle der Gewerbeordnung von 1891 heißt es: „In den letzten
Jahren haben sich die Klagen über die Lockerung der Zucht und Sitte und über
das Schwinden der elterlichen Autorität bei den jugendlichen Arbeitern gemehrt,
mangelnder Sparsinn, übermäßiger Besuch von Wirtshäusern und Tanzböden,
frühzeitige und leichtsinnige Heiraten ohne andere Mittel als der tägliche Ver¬
dienst sind gerade bei den jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen hervor¬
getreten, die früh das elterliche Haus verlassen oder die elterliche Zucht ab¬
geschüttelt und seit dem Verlassen der Volksschule nur die Zucht innerhalb der
Fabrik kennen gelernt haben". Die daraufhin durch Novelle zur Gewerbeordnung
vom Jahre 1891 eingeführten Maßnahmen haben jedoch irgendwelche praktische
Bedeutung nicht erlangt. Weder die neue Ordnung der Arbeitsbücher und
Arbeitszeugnisse (§Z 107 ff. R.G.O.), noch der Z 119a R.G.O.. der es ermöglicht,
durch Ortsstatut die Abführung des Arbeitslohnes Minderjähriger an deren
Eltern anzuordnen. Die § 107ff. R. G. O. können überhaupt als geeignetes
Mittel zur Festigung der Familienzucht nicht angesehen werden; und der Z 119a
R. G. O. könnte nur dann den beabsichtigten Erfolg haben, wenn sein Inhalt
obligatorisch gestaltet würde, mit der Maßgabe, daß die unmittelbare Auszahlung
des Lohnes an die Eltern oder sonstige gesetzliche Vertreter auf deren Antrag
ohne weiteres zu geschehen hätte. Es ist bezeichnend, daß nach den Jahres¬
berichten der preußischen Regierungs- und Gewerberäte in ganz Preußen nur
in zwei Jnspektionsbezirken, und auch dort nur in ganz vereinzelten Fällen, von
der Befugnis des § 119a R. G. O. Gebrauch gemacht worden ist*). Wegen
fehlenden Zwanges haben die Kommunen ein derartiges Statut nicht eingeführt,
offenbar, weil sie Unbequemlichkeiten und Nackenschläge befürchteten und auch wohl
nicht mit Unrecht voraushaben, daß eine Abwanderung der jugendlichen Arbeiter
in solche Betriebe stattfinden würde, wo ein solches Statut nicht eingeführt wäre.

Aus allem dürste sich ergeben, daß die staatliche Förderung des Sparens
unumgänglich ist. Aber, wird mancher fragen, ist denn ein Zwang zum Sparen



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[0153] Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege Mehrheit sich der Sparfrage gegenüber absolut passiv verhält und freiwillig aus sich heraus nichts tut, um den Widerstand der Arbeiter zu brechen. Erfahrene und einsichtsvolle Männer der verschiedensten Kreise betonen aber immer wieder, daß die wirtschaftliche Hebung der handarbeitenden, minder¬ bemittelten Klassen nicht allein durch Erhöhung der Arbeitslöhne, sondern nur in Verbindung mit einer zweckmäßigen Verteilung des verdienten Lohnes zu erreichen sei. Immer lauter wurden die Klagen über die Lockerung des Familien¬ verhältnisses zwischen Eltern und Kindern, immer größer der Ruf nach Ein¬ schränkung der Vergnügungssucht, der Verschwendung und Trunksucht. Dem¬ gegenüber konnte sich auch die Negierung auf die Dauer nicht untätig verhalten. In den verschiedenen Novellen der Gewerbeordnung finden sich vielfach Hinweise auf die Notwendigkeit, hiergegen gesetzlich einzuschreiten. In der Regierungs¬ vorlage zur Novelle der Gewerbeordnung von 1891 heißt es: „In den letzten Jahren haben sich die Klagen über die Lockerung der Zucht und Sitte und über das Schwinden der elterlichen Autorität bei den jugendlichen Arbeitern gemehrt, mangelnder Sparsinn, übermäßiger Besuch von Wirtshäusern und Tanzböden, frühzeitige und leichtsinnige Heiraten ohne andere Mittel als der tägliche Ver¬ dienst sind gerade bei den jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen hervor¬ getreten, die früh das elterliche Haus verlassen oder die elterliche Zucht ab¬ geschüttelt und seit dem Verlassen der Volksschule nur die Zucht innerhalb der Fabrik kennen gelernt haben". Die daraufhin durch Novelle zur Gewerbeordnung vom Jahre 1891 eingeführten Maßnahmen haben jedoch irgendwelche praktische Bedeutung nicht erlangt. Weder die neue Ordnung der Arbeitsbücher und Arbeitszeugnisse (§Z 107 ff. R.G.O.), noch der Z 119a R.G.O.. der es ermöglicht, durch Ortsstatut die Abführung des Arbeitslohnes Minderjähriger an deren Eltern anzuordnen. Die § 107ff. R. G. O. können überhaupt als geeignetes Mittel zur Festigung der Familienzucht nicht angesehen werden; und der Z 119a R. G. O. könnte nur dann den beabsichtigten Erfolg haben, wenn sein Inhalt obligatorisch gestaltet würde, mit der Maßgabe, daß die unmittelbare Auszahlung des Lohnes an die Eltern oder sonstige gesetzliche Vertreter auf deren Antrag ohne weiteres zu geschehen hätte. Es ist bezeichnend, daß nach den Jahres¬ berichten der preußischen Regierungs- und Gewerberäte in ganz Preußen nur in zwei Jnspektionsbezirken, und auch dort nur in ganz vereinzelten Fällen, von der Befugnis des § 119a R. G. O. Gebrauch gemacht worden ist*). Wegen fehlenden Zwanges haben die Kommunen ein derartiges Statut nicht eingeführt, offenbar, weil sie Unbequemlichkeiten und Nackenschläge befürchteten und auch wohl nicht mit Unrecht voraushaben, daß eine Abwanderung der jugendlichen Arbeiter in solche Betriebe stattfinden würde, wo ein solches Statut nicht eingeführt wäre. Aus allem dürste sich ergeben, daß die staatliche Förderung des Sparens unumgänglich ist. Aber, wird mancher fragen, ist denn ein Zwang zum Sparen "') von Biederstem a, a> O, S> 37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/153>, abgerufen am 23.07.2024.