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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Grundsätzliches zur Rolonialfrage

weit geht, zu erwarten, daß ein deutsches Kolonialreich imstande sei, Deutsch¬
land gänzlich unabhängig von dem Ausland zu machen. Diese Forderung
aufstellen, hieße Unmögliches verlangen, ganz abgesehen davon, daß sie praktisch
niemals durchführbar und vielleicht auch gar nicht wünschenswert ist. Aber
wie gesagt: die Tendenz scheint immer mehr dahin zu gehen, und namentlich
sind es die großen Märkte London und New Aork, die darauf hinzielen, die
großen Welthandelsgüter mehr und mehr zu monopolisieren. Auf der Pariser
Wirtschaftskonferenz hat England bekanntlich noch den Versuch gemacht, das
russische Getreide seinen Zwecken dienstbar zu machen. Was beim Getreide
mißglückt ist, ist früher den Amerikanern bezüglich der Baumwolle gelungen
und ähnlich, wenn auch nicht in solchem Umfang, den Engländern hinsichtlich
des Kautschuks und anderer wichtiger Rohstoffe. Sich mit der politischen Un¬
abhängigkeit zu begnügen, ist aber ein Unding, wenn ihre Nährmutter, die
wirtschaftliche, nicht vorhanden ist. Die deutsche Volkswirtschaft befand sich aber
tatsächlich in einer Abhängigkeit vom Auslande und namentlich von dem kolonien¬
reichen England, die einer Tributpflicht verzweifelt ähnlich sah.

So viel über die wirtschaftliche Seite der Kolonialfrage.

Fast noch dringlicher stellt sie sich, wenn wir sie unter dem national-
politischen Gesichtspunkt betrachten. Was verschaffte denn England die Kontrolle
über die Meere? Nicht die Tatsache, daß seine geographische Lage in Europa ver¬
hältnismäßig günstig ist, denn ähnlich günstig und vielleicht noch günstiger ist
die Frankreichs. Ist es nicht vielmehr der Umstand, daß England im kon-
sequenten Ausbau seines Kolonialreichs sich überall auf der ganzen Welt
Bollwerke und Vorwerke seiner Macht geschaffen hat, die teilweise gar nichts
kolonienartiges mehr an sich haben, die vielmehr darüber hinaus gewachsen,
nicht mehr untergeordnete Glieder, sondern selbstschaffende Teile des britischen
Organismus geworden sind? Den Indischen oder Stillen Ozean beherrscht
England keineswegs von England aus, sondern von den großen Landteilen,
die es sich in Südafrika und in Indien geschaffen hat. Wir haben seinerzeit
in Deutschland mit Begeisterung den Gedanken der Auslandsflotten aufgenommen
und geglaubt, etwas Großes in ihnen geschaffen zu haben. War aber nicht
der ganze Gedanke eine Halbheit? Was nützten uns die Flotten, wenn wir
ihnen die Stützpunkte nicht gaben, wenn wir ihnen nicht die Möglichkeit
schufen, in gesicherten Häfen mit entsprechend großem Hinterland einen ständigen
Rückhalt zu finden? So hoch man die Taten der Kreuzer "Emden". "Königs¬
berg" und wie sie alle heißen, einschätzen mag, im Rahmen des ganzen Welt¬
krieges waren sie doch belanglos! Stellen wir uns auf der anderen Seite
aber einmal vor, wie sich der gesamte Kaperkrieg hätte entwickeln können, wenn
Deutschland rechtzeitig aus dem Auslandsflottengedanken die Konsequenz ge¬
zogen und durch Schaffung ausreichender Verteidigungsmöglichkeiten in seinen
Kolonien dafür Sorge getragen hätte, daß die Kreuzer nicht in dem Augen¬
blick, wo sie ihre Tätigkeit beginnen sollten, zu einem zwar ruhmreichen, aber


Grundsätzliches zur Rolonialfrage

weit geht, zu erwarten, daß ein deutsches Kolonialreich imstande sei, Deutsch¬
land gänzlich unabhängig von dem Ausland zu machen. Diese Forderung
aufstellen, hieße Unmögliches verlangen, ganz abgesehen davon, daß sie praktisch
niemals durchführbar und vielleicht auch gar nicht wünschenswert ist. Aber
wie gesagt: die Tendenz scheint immer mehr dahin zu gehen, und namentlich
sind es die großen Märkte London und New Aork, die darauf hinzielen, die
großen Welthandelsgüter mehr und mehr zu monopolisieren. Auf der Pariser
Wirtschaftskonferenz hat England bekanntlich noch den Versuch gemacht, das
russische Getreide seinen Zwecken dienstbar zu machen. Was beim Getreide
mißglückt ist, ist früher den Amerikanern bezüglich der Baumwolle gelungen
und ähnlich, wenn auch nicht in solchem Umfang, den Engländern hinsichtlich
des Kautschuks und anderer wichtiger Rohstoffe. Sich mit der politischen Un¬
abhängigkeit zu begnügen, ist aber ein Unding, wenn ihre Nährmutter, die
wirtschaftliche, nicht vorhanden ist. Die deutsche Volkswirtschaft befand sich aber
tatsächlich in einer Abhängigkeit vom Auslande und namentlich von dem kolonien¬
reichen England, die einer Tributpflicht verzweifelt ähnlich sah.

So viel über die wirtschaftliche Seite der Kolonialfrage.

Fast noch dringlicher stellt sie sich, wenn wir sie unter dem national-
politischen Gesichtspunkt betrachten. Was verschaffte denn England die Kontrolle
über die Meere? Nicht die Tatsache, daß seine geographische Lage in Europa ver¬
hältnismäßig günstig ist, denn ähnlich günstig und vielleicht noch günstiger ist
die Frankreichs. Ist es nicht vielmehr der Umstand, daß England im kon-
sequenten Ausbau seines Kolonialreichs sich überall auf der ganzen Welt
Bollwerke und Vorwerke seiner Macht geschaffen hat, die teilweise gar nichts
kolonienartiges mehr an sich haben, die vielmehr darüber hinaus gewachsen,
nicht mehr untergeordnete Glieder, sondern selbstschaffende Teile des britischen
Organismus geworden sind? Den Indischen oder Stillen Ozean beherrscht
England keineswegs von England aus, sondern von den großen Landteilen,
die es sich in Südafrika und in Indien geschaffen hat. Wir haben seinerzeit
in Deutschland mit Begeisterung den Gedanken der Auslandsflotten aufgenommen
und geglaubt, etwas Großes in ihnen geschaffen zu haben. War aber nicht
der ganze Gedanke eine Halbheit? Was nützten uns die Flotten, wenn wir
ihnen die Stützpunkte nicht gaben, wenn wir ihnen nicht die Möglichkeit
schufen, in gesicherten Häfen mit entsprechend großem Hinterland einen ständigen
Rückhalt zu finden? So hoch man die Taten der Kreuzer „Emden". „Königs¬
berg" und wie sie alle heißen, einschätzen mag, im Rahmen des ganzen Welt¬
krieges waren sie doch belanglos! Stellen wir uns auf der anderen Seite
aber einmal vor, wie sich der gesamte Kaperkrieg hätte entwickeln können, wenn
Deutschland rechtzeitig aus dem Auslandsflottengedanken die Konsequenz ge¬
zogen und durch Schaffung ausreichender Verteidigungsmöglichkeiten in seinen
Kolonien dafür Sorge getragen hätte, daß die Kreuzer nicht in dem Augen¬
blick, wo sie ihre Tätigkeit beginnen sollten, zu einem zwar ruhmreichen, aber


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[0113] Grundsätzliches zur Rolonialfrage weit geht, zu erwarten, daß ein deutsches Kolonialreich imstande sei, Deutsch¬ land gänzlich unabhängig von dem Ausland zu machen. Diese Forderung aufstellen, hieße Unmögliches verlangen, ganz abgesehen davon, daß sie praktisch niemals durchführbar und vielleicht auch gar nicht wünschenswert ist. Aber wie gesagt: die Tendenz scheint immer mehr dahin zu gehen, und namentlich sind es die großen Märkte London und New Aork, die darauf hinzielen, die großen Welthandelsgüter mehr und mehr zu monopolisieren. Auf der Pariser Wirtschaftskonferenz hat England bekanntlich noch den Versuch gemacht, das russische Getreide seinen Zwecken dienstbar zu machen. Was beim Getreide mißglückt ist, ist früher den Amerikanern bezüglich der Baumwolle gelungen und ähnlich, wenn auch nicht in solchem Umfang, den Engländern hinsichtlich des Kautschuks und anderer wichtiger Rohstoffe. Sich mit der politischen Un¬ abhängigkeit zu begnügen, ist aber ein Unding, wenn ihre Nährmutter, die wirtschaftliche, nicht vorhanden ist. Die deutsche Volkswirtschaft befand sich aber tatsächlich in einer Abhängigkeit vom Auslande und namentlich von dem kolonien¬ reichen England, die einer Tributpflicht verzweifelt ähnlich sah. So viel über die wirtschaftliche Seite der Kolonialfrage. Fast noch dringlicher stellt sie sich, wenn wir sie unter dem national- politischen Gesichtspunkt betrachten. Was verschaffte denn England die Kontrolle über die Meere? Nicht die Tatsache, daß seine geographische Lage in Europa ver¬ hältnismäßig günstig ist, denn ähnlich günstig und vielleicht noch günstiger ist die Frankreichs. Ist es nicht vielmehr der Umstand, daß England im kon- sequenten Ausbau seines Kolonialreichs sich überall auf der ganzen Welt Bollwerke und Vorwerke seiner Macht geschaffen hat, die teilweise gar nichts kolonienartiges mehr an sich haben, die vielmehr darüber hinaus gewachsen, nicht mehr untergeordnete Glieder, sondern selbstschaffende Teile des britischen Organismus geworden sind? Den Indischen oder Stillen Ozean beherrscht England keineswegs von England aus, sondern von den großen Landteilen, die es sich in Südafrika und in Indien geschaffen hat. Wir haben seinerzeit in Deutschland mit Begeisterung den Gedanken der Auslandsflotten aufgenommen und geglaubt, etwas Großes in ihnen geschaffen zu haben. War aber nicht der ganze Gedanke eine Halbheit? Was nützten uns die Flotten, wenn wir ihnen die Stützpunkte nicht gaben, wenn wir ihnen nicht die Möglichkeit schufen, in gesicherten Häfen mit entsprechend großem Hinterland einen ständigen Rückhalt zu finden? So hoch man die Taten der Kreuzer „Emden". „Königs¬ berg" und wie sie alle heißen, einschätzen mag, im Rahmen des ganzen Welt¬ krieges waren sie doch belanglos! Stellen wir uns auf der anderen Seite aber einmal vor, wie sich der gesamte Kaperkrieg hätte entwickeln können, wenn Deutschland rechtzeitig aus dem Auslandsflottengedanken die Konsequenz ge¬ zogen und durch Schaffung ausreichender Verteidigungsmöglichkeiten in seinen Kolonien dafür Sorge getragen hätte, daß die Kreuzer nicht in dem Augen¬ blick, wo sie ihre Tätigkeit beginnen sollten, zu einem zwar ruhmreichen, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/113>, abgerufen am 23.07.2024.