Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.Grundsätzliches zur Kolonialfrage Tatsächlich liegt aber die Gefahr vor, daß es uns an Rohstoffen für unsere Was von Baumwolle gilt, gilt übrigens ähnlich auch von anderen wichtigen 7*
Grundsätzliches zur Kolonialfrage Tatsächlich liegt aber die Gefahr vor, daß es uns an Rohstoffen für unsere Was von Baumwolle gilt, gilt übrigens ähnlich auch von anderen wichtigen 7*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331083"/> <fw type="header" place="top"> Grundsätzliches zur Kolonialfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_301"> Tatsächlich liegt aber die Gefahr vor, daß es uns an Rohstoffen für unsere<lb/> Industrie und damit an Arbeitsgelegenheit mangelt. Ich will nur an die<lb/> Baumwollfrage erinnern, die in unserem volkswirtschaflichen Dasein eine so<lb/> bedeutende Rolle spielt, daß in einzelnen Teilen Deutschlands nahezu die Hälfte<lb/> der Bevölkerung von der Sicherung der Baumwollzufuhr abhängt. Wir zahlten<lb/> in den letzten Jahren jährlich etwa 600 Millionen Mark für Baumwolle an<lb/> Amerika und England und waren, da die Baumwollernten in unseren eigenen<lb/> Kolonien noch keine sonderliche Rolle spielten, auf Gnade und Ungnade den<lb/> Preistreibereien der New Jorker Baumwollspekulanten ausgeliefert. Der Preis<lb/> für Baumwolle hat ohne Not und nur beeinflußt durch eben diese Spekulanten<lb/> im Laufe desselben Jahres häufig um die Hälfte seiner Durchschnittshöhe<lb/> geschwankt. Wenn man berücksichtigt, daß die Verteuerung der Baumwolle nur<lb/> um 10 Pfennig für das Pfund — tatsächlich sind ganz andere Preistreibereien<lb/> vorgekommen — Deutschland mit einer Mehrausgabe von jährlich 100 Millionen<lb/> Mark betastet, so wird man ermessen können, daß wir alles Interesse daran<lb/> haben, uns soweit wie möglich, von derartigen Unzuträglichkeiten frei zu machen.<lb/> Gewiß kann behauptet werden, daß ein noch so großes Kolonialreich uns niemals<lb/> gänzlich von der Abhängigkeit vom Ausland freimachen würde, aber den Grad<lb/> von Unabhängigheit könnte es uns auf jeden Fall geben, der uns erlaubt, uns<lb/> in der Zukunft nicht mehr auf Gnade und Ungnade der New Yorker Börse zu<lb/> überlassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_302" next="#ID_303"> Was von Baumwolle gilt, gilt übrigens ähnlich auch von anderen wichtigen<lb/> kolonialen und subtropischen Rohstoffen. Es sei hier nur an die Pflanzenseele<lb/> erinnert, die wir im Wert von mehreren hundert Millionen Mark in der Haupt¬<lb/> sache aus den westafrikanischen Kolonien Englands beziehen mußten. Die Ernte<lb/> Westafrikas an Ölrohstoffen ging zu sieben Achteln nach Deutschland. Deutschland<lb/> versorgte mit seinen Ölmühlen Amerika, England, Dänemark usw. In richtiger<lb/> Erkenntnis der Abhängigkeit Deutschlands von den westafrikanischen Ölpalmen-<lb/> beständen hat England kürzlich einen Zoll von 2 Pfund auf jede nach nicht englischen<lb/> Gebieten ausgeführte Tonne Palmkerne gelegt. Dieser Zoll kann nach Bedarf auf<lb/> -3,5 Pfund erhöht werden und ist zunächst für die Dauer des Krieges und 5 Jahre<lb/> nach ihm festgesetzt. Das bedeutet nichts anderes, als daß damit der deutschen<lb/> Pflanzenfettindustrie zu Gunsten der bisher noch völlig in den Kinderschuhen<lb/> steckenden englischen das Genick abgedreht wird. Der amerikanische Seifen¬<lb/> produzent wird in Zukunft sein Öl billiger von England beziehen als von<lb/> Deutschland, und ähnlich werden die Butterersatzmittel, die etwa Skandinavien<lb/> verbraucht, billiger von England zu beziehen sein. Was uns aber nebenbei<lb/> noch an dieser Tatsache zu interessieren hat, das ist der Umstand, daß auch<lb/> unsere Landwirtschaft dabei der leidtragende Teil ist. Wir haben in den letzten<lb/> Jahrzehnten, nachdem der Anbau von Raps und Rübsen in Deutschland zu<lb/> Gunsten anderer Kulturen aufgegeben worden war, jährlich Millionen und<lb/> Abermillionen Mark namentlich an englische und französische Kolonien zahlen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 7*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
Grundsätzliches zur Kolonialfrage
Tatsächlich liegt aber die Gefahr vor, daß es uns an Rohstoffen für unsere
Industrie und damit an Arbeitsgelegenheit mangelt. Ich will nur an die
Baumwollfrage erinnern, die in unserem volkswirtschaflichen Dasein eine so
bedeutende Rolle spielt, daß in einzelnen Teilen Deutschlands nahezu die Hälfte
der Bevölkerung von der Sicherung der Baumwollzufuhr abhängt. Wir zahlten
in den letzten Jahren jährlich etwa 600 Millionen Mark für Baumwolle an
Amerika und England und waren, da die Baumwollernten in unseren eigenen
Kolonien noch keine sonderliche Rolle spielten, auf Gnade und Ungnade den
Preistreibereien der New Jorker Baumwollspekulanten ausgeliefert. Der Preis
für Baumwolle hat ohne Not und nur beeinflußt durch eben diese Spekulanten
im Laufe desselben Jahres häufig um die Hälfte seiner Durchschnittshöhe
geschwankt. Wenn man berücksichtigt, daß die Verteuerung der Baumwolle nur
um 10 Pfennig für das Pfund — tatsächlich sind ganz andere Preistreibereien
vorgekommen — Deutschland mit einer Mehrausgabe von jährlich 100 Millionen
Mark betastet, so wird man ermessen können, daß wir alles Interesse daran
haben, uns soweit wie möglich, von derartigen Unzuträglichkeiten frei zu machen.
Gewiß kann behauptet werden, daß ein noch so großes Kolonialreich uns niemals
gänzlich von der Abhängigkeit vom Ausland freimachen würde, aber den Grad
von Unabhängigheit könnte es uns auf jeden Fall geben, der uns erlaubt, uns
in der Zukunft nicht mehr auf Gnade und Ungnade der New Yorker Börse zu
überlassen.
Was von Baumwolle gilt, gilt übrigens ähnlich auch von anderen wichtigen
kolonialen und subtropischen Rohstoffen. Es sei hier nur an die Pflanzenseele
erinnert, die wir im Wert von mehreren hundert Millionen Mark in der Haupt¬
sache aus den westafrikanischen Kolonien Englands beziehen mußten. Die Ernte
Westafrikas an Ölrohstoffen ging zu sieben Achteln nach Deutschland. Deutschland
versorgte mit seinen Ölmühlen Amerika, England, Dänemark usw. In richtiger
Erkenntnis der Abhängigkeit Deutschlands von den westafrikanischen Ölpalmen-
beständen hat England kürzlich einen Zoll von 2 Pfund auf jede nach nicht englischen
Gebieten ausgeführte Tonne Palmkerne gelegt. Dieser Zoll kann nach Bedarf auf
-3,5 Pfund erhöht werden und ist zunächst für die Dauer des Krieges und 5 Jahre
nach ihm festgesetzt. Das bedeutet nichts anderes, als daß damit der deutschen
Pflanzenfettindustrie zu Gunsten der bisher noch völlig in den Kinderschuhen
steckenden englischen das Genick abgedreht wird. Der amerikanische Seifen¬
produzent wird in Zukunft sein Öl billiger von England beziehen als von
Deutschland, und ähnlich werden die Butterersatzmittel, die etwa Skandinavien
verbraucht, billiger von England zu beziehen sein. Was uns aber nebenbei
noch an dieser Tatsache zu interessieren hat, das ist der Umstand, daß auch
unsere Landwirtschaft dabei der leidtragende Teil ist. Wir haben in den letzten
Jahrzehnten, nachdem der Anbau von Raps und Rübsen in Deutschland zu
Gunsten anderer Kulturen aufgegeben worden war, jährlich Millionen und
Abermillionen Mark namentlich an englische und französische Kolonien zahlen
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