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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

Stand der Dinge gelassen, daß man sich in Florenz bitter beschwerte. König
Wilhelm, dem die ganze Grundlage der Friedensverhandlungen zu wenig den
Interessen Preußens zu entsprechen schien, wünschte die Benutzung dieses Umstandes,
fügte sich aber auch hier schließlich seinem Minister, der die Zustimmung Italiens
nicht mehr für zweckdienlich und auch nicht sür notwendig hielt, da es den
ausbedungenen Kampfpreis. Venetien. ja sicher bekommen würde. Daß man
auf der Grundlage der französisch-österreichischen Vorschläge nicht mehr hoffen
konnte, Sachsen zu erhalten, war in den Augen König Wilhelms sehr schmerzlich,
in den Augen Bismarcks nicht völlig unvorteilhaft, weil er nun um so eher Hoffnung
hatte, die Vollannexion Hannovers und Kurhesseus dem König als notwendig hin¬
stellen zu können, zu der sich dieser bisher noch nicht hatte entschließen wollen. Jetzt
endlich traf übrigens auch von Goltz aus Paris die Nachricht ein. daß er die
Anerkennung der Annexionen verlangt, und daß Napoleon sie bewilligt habe.

Am 23. Juli traten die preußischen und österreichischen Unterhändler in
Nikolsburg zusammen. Man einigte sich über viele Punkte ziemlich glatt.
streitig blieben die Integrität Sachsens, die Abtretung eines österreichischen
Grenzstrichs, die Höhe der Kriegskostenentschädigung und die Zugehörigkeit
Sachsens zum Norddeutschen Bunde. Bismarck gewann den entschiedenen Eindruck,
daß die Österreicher lieber den Krieg fortfetzen als ein Stück ihres Landes,
außer Venetien, oder Sachsens abtreten würden. Da der König trotzdem durch
mündliche Rücksprache noch nicht zum Nachgeben zu bestimmen war, verfaßte
Bismarck die ausführliche Denkschrift vom 24. Juli, die uns Sybel in seiner
Geschichte der Reichsgründung mitgeteilt hat. Bismarck beantragte hier, die
Integrität Österreichs und Sachsens anzuerkennen und auch die Höhe der
Kriegskostenentschädigung zu ermäßigen, und sich dafür an ausgedehnten nord¬
deutschen Annexionen schadlos zu halten, für die die Zustimmung Österreichs
und Frankreichs zu haben sei. Es ist nach Brandenburgs Feststellungen nicht
richtig, daß Bismarck. wie er in den "Gedanken und Erinnerungen" behauptet,
sür den FM der Ablehnung seiner Anträge seine Entlassung verlangt habe.
Der König gab auch ohnedies wieder nach, und schon am folgenden Tage
konnte Bismarck den Österreichern die gewünschten Zugeständnisse machen. Nur
der Forderung des Ausschlusses Sachsens vom Norddeutschen Bunde gab er
uicht statt, und der König Johann von Sachsen, dem Kaiser Franz Josef selbst
die Entscheidung über Krieg und Frieden überließ, vollzog daraufhin seinen
Eintritt in diesen freiwillig. So kam am 25. Juli der Präliminarfriede von
Nikolsburg zustande. Der lange Widerstand König Wilhelms gegen die
Österreich und Frankreich in kluger Weise entgegenkommende Politik Bismarcks
erklärt sich am befriedigendsten aus legitimistischen Motiven. Die Anerkennung
der Integrität Österreichs und Sachsens zwang ihn. wenn überhaupt Preußen
Länderzuwachs erhalten sollte, der der Größe seines Sieges entsprach, die völlige
Entthronung der Dynastien von Hannover. Kurhessen und Nassau zuzugeben,
was in seinen Augen eine Vergewaltigung des Fürstentums von Gottes Gnaden


Grenzboten III ISIS
Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

Stand der Dinge gelassen, daß man sich in Florenz bitter beschwerte. König
Wilhelm, dem die ganze Grundlage der Friedensverhandlungen zu wenig den
Interessen Preußens zu entsprechen schien, wünschte die Benutzung dieses Umstandes,
fügte sich aber auch hier schließlich seinem Minister, der die Zustimmung Italiens
nicht mehr für zweckdienlich und auch nicht sür notwendig hielt, da es den
ausbedungenen Kampfpreis. Venetien. ja sicher bekommen würde. Daß man
auf der Grundlage der französisch-österreichischen Vorschläge nicht mehr hoffen
konnte, Sachsen zu erhalten, war in den Augen König Wilhelms sehr schmerzlich,
in den Augen Bismarcks nicht völlig unvorteilhaft, weil er nun um so eher Hoffnung
hatte, die Vollannexion Hannovers und Kurhesseus dem König als notwendig hin¬
stellen zu können, zu der sich dieser bisher noch nicht hatte entschließen wollen. Jetzt
endlich traf übrigens auch von Goltz aus Paris die Nachricht ein. daß er die
Anerkennung der Annexionen verlangt, und daß Napoleon sie bewilligt habe.

Am 23. Juli traten die preußischen und österreichischen Unterhändler in
Nikolsburg zusammen. Man einigte sich über viele Punkte ziemlich glatt.
streitig blieben die Integrität Sachsens, die Abtretung eines österreichischen
Grenzstrichs, die Höhe der Kriegskostenentschädigung und die Zugehörigkeit
Sachsens zum Norddeutschen Bunde. Bismarck gewann den entschiedenen Eindruck,
daß die Österreicher lieber den Krieg fortfetzen als ein Stück ihres Landes,
außer Venetien, oder Sachsens abtreten würden. Da der König trotzdem durch
mündliche Rücksprache noch nicht zum Nachgeben zu bestimmen war, verfaßte
Bismarck die ausführliche Denkschrift vom 24. Juli, die uns Sybel in seiner
Geschichte der Reichsgründung mitgeteilt hat. Bismarck beantragte hier, die
Integrität Österreichs und Sachsens anzuerkennen und auch die Höhe der
Kriegskostenentschädigung zu ermäßigen, und sich dafür an ausgedehnten nord¬
deutschen Annexionen schadlos zu halten, für die die Zustimmung Österreichs
und Frankreichs zu haben sei. Es ist nach Brandenburgs Feststellungen nicht
richtig, daß Bismarck. wie er in den „Gedanken und Erinnerungen" behauptet,
sür den FM der Ablehnung seiner Anträge seine Entlassung verlangt habe.
Der König gab auch ohnedies wieder nach, und schon am folgenden Tage
konnte Bismarck den Österreichern die gewünschten Zugeständnisse machen. Nur
der Forderung des Ausschlusses Sachsens vom Norddeutschen Bunde gab er
uicht statt, und der König Johann von Sachsen, dem Kaiser Franz Josef selbst
die Entscheidung über Krieg und Frieden überließ, vollzog daraufhin seinen
Eintritt in diesen freiwillig. So kam am 25. Juli der Präliminarfriede von
Nikolsburg zustande. Der lange Widerstand König Wilhelms gegen die
Österreich und Frankreich in kluger Weise entgegenkommende Politik Bismarcks
erklärt sich am befriedigendsten aus legitimistischen Motiven. Die Anerkennung
der Integrität Österreichs und Sachsens zwang ihn. wenn überhaupt Preußen
Länderzuwachs erhalten sollte, der der Größe seines Sieges entsprach, die völlige
Entthronung der Dynastien von Hannover. Kurhessen und Nassau zuzugeben,
was in seinen Augen eine Vergewaltigung des Fürstentums von Gottes Gnaden


Grenzboten III ISIS
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/93>, abgerufen am 23.07.2024.