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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

ins preußische Hauptquartier mit dem Auftrag, sofort einen Waffenstillstand
herbeizuführen. Man lehnte dies Ansinnen unter Berufung auf die mangelnde
Zustimmung Italiens ad. Benedetti merkte bei feinen Verhandlungen mit
Bismarck, daß Preußen unter allen Umständen auf Annexionen in Nord¬
deutschland bestehen würde. Dies war der Punkt, über den Graf Goltz die
französische Negierung bisher nicht unterrichtet hatte. Über Frankreichs Haltung
zu dieser Bedingung verriet Benedetti kein Wort, doch gewann Bismarck den
Eindruck, als werde ein etwaiger Widerspruch dagegen nicht unüberwindlich sein.

Wenn möglich trachtete Bismarck trotz der schwebenden Vermittlung Frank¬
reichs darnach, mit Österreich direkt in Friedensverhandlungen zu treten. Es
war also notwendig, daß er mit dem König über die endgültigen Forderungen
einig wurde. Anscheinend war Bismarck mehr für Vollannexionen ganzer
norddeutscher Staaten, während der König alle seine Gegner gleichmäßiger
bestrafen und dafür keine von den besiegten Dynastien ganz ihres Landes
berauben wollte. Am 14. Juli traf ein Telegramm von Goltz ein, worin der
Botschafter die französischen Friedensvorschläge mitteilte. Von den Annexionen
war darin gar nicht die Rede, weil es ja Goltz unterlassen hatte, ihre Notwendigkeit
in Paris zu betonen. Preußen sah sich darum nicht in der Lage, diese Vorschläge
zur Grundlage für den Frieden zu machen. Doch setzte es Bismarck nach
einer schweren Beratung gegen die Meinung des Königs am 18. Juli durch,
daß man die Vorschläge wenigstens als Grundlage für den Waffenstillstand
annahm. Der König hatte durchaus die Aufnahme der Bedingung der Annexionen
auch schon ins Stillstandsprogramm verlangt. Aber schließlich gab er doch nach,
und Bismarck konnte nach seinem Willen den Österreichern Waffenstillstand
anbieten. Bis zum Eintreffen der Antwort wurden fünf Tage Waffenruhe
bewilligt. Diese Beratung vom 13. Juli muß nach Brandenburgs Forschungen
die sein, die Bismarck in den "Gedanken und Erinnerungen" nach Nikolsburg
auf den 23. Juli verlegt, und deren temperamentvollen äußeren Verlauf er dort
höchst anschaulich schildert. Schon am 19. Juli entschlossen sich übrigens der
König und Bismarck, über die Richtlinien des 18. Juli noch hinauszugehen
und die französischen Vorschläge nicht nur zur Grundlage der Stillstands-,
sondern sogar der Friedensverhandlungen mit Österreich zu machen, wenn dieses
sich bereit fände, seine deutschen Verbündeten preiszugeben. Inzwischen war
nämlich Benedetti wieder im Hauptquartier angekommen. Er war in Wien
gewesen und hatte dort die Annahme der französischen Vermittlung erreicht.
Da der Botschafter auf sofortigen Beginn der Friedensverhandlungen nunmehr
bestand, kam man auf den eben erwähnten Ausweg. In der Tat war Österreich
unter der Bedingung der Integrität Sachsens einem Separatfrieden geneigt.
Alle seine übrigen Verbündeten überließ man in Wien ihrem Schicksal. Auch
jetzt hätte Preußen noch die Möglichkeit gehabt, die Verhandlungen zu verzögern,
wenn man sich auf die immer noch mangelnde Zustimmung Italiens berufen
hätte. Bismarck hatte bisher die Verbündeten derart im Unklaren über den


Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

ins preußische Hauptquartier mit dem Auftrag, sofort einen Waffenstillstand
herbeizuführen. Man lehnte dies Ansinnen unter Berufung auf die mangelnde
Zustimmung Italiens ad. Benedetti merkte bei feinen Verhandlungen mit
Bismarck, daß Preußen unter allen Umständen auf Annexionen in Nord¬
deutschland bestehen würde. Dies war der Punkt, über den Graf Goltz die
französische Negierung bisher nicht unterrichtet hatte. Über Frankreichs Haltung
zu dieser Bedingung verriet Benedetti kein Wort, doch gewann Bismarck den
Eindruck, als werde ein etwaiger Widerspruch dagegen nicht unüberwindlich sein.

Wenn möglich trachtete Bismarck trotz der schwebenden Vermittlung Frank¬
reichs darnach, mit Österreich direkt in Friedensverhandlungen zu treten. Es
war also notwendig, daß er mit dem König über die endgültigen Forderungen
einig wurde. Anscheinend war Bismarck mehr für Vollannexionen ganzer
norddeutscher Staaten, während der König alle seine Gegner gleichmäßiger
bestrafen und dafür keine von den besiegten Dynastien ganz ihres Landes
berauben wollte. Am 14. Juli traf ein Telegramm von Goltz ein, worin der
Botschafter die französischen Friedensvorschläge mitteilte. Von den Annexionen
war darin gar nicht die Rede, weil es ja Goltz unterlassen hatte, ihre Notwendigkeit
in Paris zu betonen. Preußen sah sich darum nicht in der Lage, diese Vorschläge
zur Grundlage für den Frieden zu machen. Doch setzte es Bismarck nach
einer schweren Beratung gegen die Meinung des Königs am 18. Juli durch,
daß man die Vorschläge wenigstens als Grundlage für den Waffenstillstand
annahm. Der König hatte durchaus die Aufnahme der Bedingung der Annexionen
auch schon ins Stillstandsprogramm verlangt. Aber schließlich gab er doch nach,
und Bismarck konnte nach seinem Willen den Österreichern Waffenstillstand
anbieten. Bis zum Eintreffen der Antwort wurden fünf Tage Waffenruhe
bewilligt. Diese Beratung vom 13. Juli muß nach Brandenburgs Forschungen
die sein, die Bismarck in den „Gedanken und Erinnerungen" nach Nikolsburg
auf den 23. Juli verlegt, und deren temperamentvollen äußeren Verlauf er dort
höchst anschaulich schildert. Schon am 19. Juli entschlossen sich übrigens der
König und Bismarck, über die Richtlinien des 18. Juli noch hinauszugehen
und die französischen Vorschläge nicht nur zur Grundlage der Stillstands-,
sondern sogar der Friedensverhandlungen mit Österreich zu machen, wenn dieses
sich bereit fände, seine deutschen Verbündeten preiszugeben. Inzwischen war
nämlich Benedetti wieder im Hauptquartier angekommen. Er war in Wien
gewesen und hatte dort die Annahme der französischen Vermittlung erreicht.
Da der Botschafter auf sofortigen Beginn der Friedensverhandlungen nunmehr
bestand, kam man auf den eben erwähnten Ausweg. In der Tat war Österreich
unter der Bedingung der Integrität Sachsens einem Separatfrieden geneigt.
Alle seine übrigen Verbündeten überließ man in Wien ihrem Schicksal. Auch
jetzt hätte Preußen noch die Möglichkeit gehabt, die Verhandlungen zu verzögern,
wenn man sich auf die immer noch mangelnde Zustimmung Italiens berufen
hätte. Bismarck hatte bisher die Verbündeten derart im Unklaren über den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/92>, abgerufen am 23.07.2024.