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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

darum die Annahme an die Bedingung, daß Italien zustimme, und veranlaßte
die Sendung des Prinzen Reuß ohne besondere Instruktionen nach Paris, um
den Kaiser in höflicher Weise hinzuhalten. Er hoffte, Italien werde sich nach
dem Schlage von Custozza weigern, Venetien als Geschenk anzunehmen, oder
er werde, falls ihn Italien doch im Stich lasse, Zeit gewinnen, mit Österreich
direkt zu verhandeln.

Über die Friedensbedingungen, die man stellen wollte, war man sich damals
im preußischen Hauptquartier noch nicht klar. Ohne Zweifel ging man auf eine
Annexion ganz Sachsens aus. während man von Hannover und Kurhessen nur
so viel nehmen wollte, als notwendig war, um eine Verbindung zwischen den
preußischen Ost- und Westprovinzen herzustellen. Bismarck ging damit über
das von Napoleon gebilligte Programm vom 10. Juni hinaus, aber wie er
meinte, nicht mehr, als durch die inzwischen erfochtenen Siege gerechtfertigt sei. In
Süddeutschland wollte er sich auch jetzt streng an das Programm halten. In
einem Erlaß vom 9. Juli an den Grafen Goltz sprach sich Bismarck etwas
näher aus. Der Botschafter wurde beauftragt, ziemlich umfangreiche Forderungen
Preußens bei Napoleon zu vertreten, nämlich die volle Annexion sämtlicher preußen-
seindlicher norddeutscher Staaten, oder wenn dies nicht durchzusetzen sei.
möglichst große Gebietsabtretungen, und jedenfalls die Aufrichtung eines
kräftigen Norddeutschen Bundes. Wenn Frankreich eine unfreundliche Haltung
einnehme, so solle Goltz "mit der rücksichtslosen Entfesselung der nationalen
Bewegung in ganz Deutschland drohen" (Brandenburg S. 549). Goltz sollte
keine Friedensbedingungen mit Napoleon vereinbaren, sondern ohne direkte
Vorschläge zu machen, nur Sortieren, wieviel Vorteil der Kaiser jetzt nach
Königgrätz über das Programm vom 10. Juni hinaus Preußen ohne Kompen-
sationen zugestehen wolle. In Frankreich rechnete man bereits selber mit
Annexionen, und da Napoleon entschlossen war. Norddeutschland dem preußischen
Einflüsse zu überlassen, so war es ihm im Grunde gleichgültig, wieviele nord¬
deutsche Staaten bestehen blieben, wenn Preußen nur den Süden nicht antastete.
Höchstens die Erhaltung Sachsens wünschte er. Trotzdem unterließ es Graf
Goltz, dem Kaiser die Forderung der Annexionen überhaupt vorzutragen,
wahrscheinlich weil er Vismarcks Politik, wie schon früher, nicht für richtig hielt.
Dadurch gab er Napoleon Gelegenheit, in einem Briefe, den er dem am
15. Juli wieder abreisenden Prinzen Reuß mitgab, überhaupt jede verpflichtende
Äußerung zu den preußischen Friedensbedingungen zu vermeiden.

Inzwischen wurden in Frankreich Stimmen laut, die die zu erwartende
Machtsteigerung Preußens keineswegs für so ungefährlich hielten, wie der
Kaiser selbst, und die immer dringender empfahlen, den Siegern von Königgrätz
die Früchte des militärischen Erfolges recht gründlich zu verkümmern. Wort¬
führer dieser Richtung war der Minister Drouyn de Lhuns, der nach Möglichkeit
die ihm allzu preußenfreundlich erscheinende Politik seines Herrschers durch¬
kreuzte. Auf seinen Befehl begab sich am 9. Juli der Botschafter Benedetti


Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

darum die Annahme an die Bedingung, daß Italien zustimme, und veranlaßte
die Sendung des Prinzen Reuß ohne besondere Instruktionen nach Paris, um
den Kaiser in höflicher Weise hinzuhalten. Er hoffte, Italien werde sich nach
dem Schlage von Custozza weigern, Venetien als Geschenk anzunehmen, oder
er werde, falls ihn Italien doch im Stich lasse, Zeit gewinnen, mit Österreich
direkt zu verhandeln.

Über die Friedensbedingungen, die man stellen wollte, war man sich damals
im preußischen Hauptquartier noch nicht klar. Ohne Zweifel ging man auf eine
Annexion ganz Sachsens aus. während man von Hannover und Kurhessen nur
so viel nehmen wollte, als notwendig war, um eine Verbindung zwischen den
preußischen Ost- und Westprovinzen herzustellen. Bismarck ging damit über
das von Napoleon gebilligte Programm vom 10. Juni hinaus, aber wie er
meinte, nicht mehr, als durch die inzwischen erfochtenen Siege gerechtfertigt sei. In
Süddeutschland wollte er sich auch jetzt streng an das Programm halten. In
einem Erlaß vom 9. Juli an den Grafen Goltz sprach sich Bismarck etwas
näher aus. Der Botschafter wurde beauftragt, ziemlich umfangreiche Forderungen
Preußens bei Napoleon zu vertreten, nämlich die volle Annexion sämtlicher preußen-
seindlicher norddeutscher Staaten, oder wenn dies nicht durchzusetzen sei.
möglichst große Gebietsabtretungen, und jedenfalls die Aufrichtung eines
kräftigen Norddeutschen Bundes. Wenn Frankreich eine unfreundliche Haltung
einnehme, so solle Goltz „mit der rücksichtslosen Entfesselung der nationalen
Bewegung in ganz Deutschland drohen" (Brandenburg S. 549). Goltz sollte
keine Friedensbedingungen mit Napoleon vereinbaren, sondern ohne direkte
Vorschläge zu machen, nur Sortieren, wieviel Vorteil der Kaiser jetzt nach
Königgrätz über das Programm vom 10. Juni hinaus Preußen ohne Kompen-
sationen zugestehen wolle. In Frankreich rechnete man bereits selber mit
Annexionen, und da Napoleon entschlossen war. Norddeutschland dem preußischen
Einflüsse zu überlassen, so war es ihm im Grunde gleichgültig, wieviele nord¬
deutsche Staaten bestehen blieben, wenn Preußen nur den Süden nicht antastete.
Höchstens die Erhaltung Sachsens wünschte er. Trotzdem unterließ es Graf
Goltz, dem Kaiser die Forderung der Annexionen überhaupt vorzutragen,
wahrscheinlich weil er Vismarcks Politik, wie schon früher, nicht für richtig hielt.
Dadurch gab er Napoleon Gelegenheit, in einem Briefe, den er dem am
15. Juli wieder abreisenden Prinzen Reuß mitgab, überhaupt jede verpflichtende
Äußerung zu den preußischen Friedensbedingungen zu vermeiden.

Inzwischen wurden in Frankreich Stimmen laut, die die zu erwartende
Machtsteigerung Preußens keineswegs für so ungefährlich hielten, wie der
Kaiser selbst, und die immer dringender empfahlen, den Siegern von Königgrätz
die Früchte des militärischen Erfolges recht gründlich zu verkümmern. Wort¬
führer dieser Richtung war der Minister Drouyn de Lhuns, der nach Möglichkeit
die ihm allzu preußenfreundlich erscheinende Politik seines Herrschers durch¬
kreuzte. Auf seinen Befehl begab sich am 9. Juli der Botschafter Benedetti


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/91>, abgerufen am 25.08.2024.