Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes Napoleons anzunehmen, und verlangte die direkte Abtretung durch Österreich. Nunmehr hatte sich Bismarck die diplomatischen Voraussetzungen der Abrech¬ Zum Nachteil für die französische Politik fiel die Entscheidung von König- Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes Napoleons anzunehmen, und verlangte die direkte Abtretung durch Österreich. Nunmehr hatte sich Bismarck die diplomatischen Voraussetzungen der Abrech¬ Zum Nachteil für die französische Politik fiel die Entscheidung von König- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330628"/> <fw type="header" place="top"> Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes</fw><lb/> <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289"> Napoleons anzunehmen, und verlangte die direkte Abtretung durch Österreich.<lb/> Da wollte sich auch der Franzosenkaiser Österreich gegenüber nicht binden.</p><lb/> <p xml:id="ID_291"> Nunmehr hatte sich Bismarck die diplomatischen Voraussetzungen der Abrech¬<lb/> nung mit Osterreich geschaffen und schlug unverzüglich los. Sein deutsches<lb/> Programm ging weniger vom Einheitsgedanken an sich aus, sondern davon,<lb/> daß es gelte Deutschland zu einer Macht von europäischem Gewicht zu machen,<lb/> und zwar auf der Grundlage der bereits vorhandenen preußischen Macht. In<lb/> diesem Grundgedanken war und blieb er gegenüber den Bestrebungen der<lb/> Paulskirche und der preußischen Union original, auch als er nachmals in deren<lb/> Bahnen einlenkte. In ihm lag die Möglichkeit einer Beschränkung, die die<lb/> älteren Einigungsprojekte nicht in gleichem Maße gehabt hatten. Wenn es<lb/> nicht so sehr auf die Einheit an sich, sondern auf die Macht ankam, dann<lb/> brauchte Bismarck durchaus nicht die vollendete Einheit Deutschlands als Ziel<lb/> ins Auge zu fassen, sondern er konnte mit der Durchführung der Bundesreform<lb/> lediglich nördlich des Mains sehr wohl auf kürzere oder auch längere Zeit,<lb/> unter Umständen gar für immer zufrieden sein. Früher hatte Bismarck an<lb/> eine regelrechte Teilung Deutschlands mit Österreich gedacht, und auch jetzt fiel<lb/> es ihm nicht schwer, das Reformprogramm nur auf Norddeutschland zu erstrecken,<lb/> da Frankreich diese Beschränkung zur Bedingung seines erwähnten Verzichts<lb/> auf Kompensationen machte. Selbst Sachsen preiszugeben und die süddeutschen<lb/> Staaten aus dem Zollverein zu entlassen, hätte er sich vermutlich zur Not<lb/> entschlossen. Konfessionelle, ethnographische und parteipolitische Erwägungen<lb/> ließen ihm öfters ein enges Zusammenarbeiten mit dem großenteils katholischen<lb/> und demokratischen Süden als gar nicht so unbedingt wünschenswert erscheinen.<lb/> Es war also Bismarck bei seinen Versicherungen gegenüber Frankreich zunächst<lb/> gewiß ernst mit der Beschränkung der preußischen Vorherrschaft auf den Norden,<lb/> ohne daß er dies als Lösung für alle Zeiten zu betrachten brauchte. Am<lb/> 10. Juni 1866 trat er mit folgendem Bundesreformprogramm hervor: engerer<lb/> straff organisierter Norddeutscher Bund unter preußischer Führung, weiterer<lb/> loser Zusammenschluß mit den süddeutschen Staaten im Sinne des alten<lb/> Deutschen Bundes. Der Oberbefehl über die süddeutschen Truppen im Kriege<lb/> sollte nicht Preußen, sondern Bayern zustehen. Für diesen Plan gewann<lb/> Bismarck die vorhin erwähnte Zustimmung Napoleons.</p><lb/> <p xml:id="ID_292" next="#ID_293"> Zum Nachteil für die französische Politik fiel die Entscheidung von König-<lb/> grätz viel zu schnell und gründlich. Österreich bot Napoleon neuerdings Venetien<lb/> an, und der Kaiser nahm es und trat Preußen gegenüber am 5. Juli als<lb/> Vermittler auf. Es war ein gefährlicher Schritt, denn hätte Preußen jetzt ab¬<lb/> gelehnt, so wäre es Napoleon seinem Prestige schuldig gewesen, die Annahme<lb/> der Vermittlung zu erzwingen, und das französische Heer war damals noch<lb/> viel weniger als 1870 für einen großen Krieg gerüstet. Der Eindruck der<lb/> Einmischung war in Preußen sehr schlecht. Doch nahm Bismarck die Ver¬<lb/> mittlung an in der Absicht, die Verhandlungen zu verschleppen. Er knüpfte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes
Napoleons anzunehmen, und verlangte die direkte Abtretung durch Österreich.
Da wollte sich auch der Franzosenkaiser Österreich gegenüber nicht binden.
Nunmehr hatte sich Bismarck die diplomatischen Voraussetzungen der Abrech¬
nung mit Osterreich geschaffen und schlug unverzüglich los. Sein deutsches
Programm ging weniger vom Einheitsgedanken an sich aus, sondern davon,
daß es gelte Deutschland zu einer Macht von europäischem Gewicht zu machen,
und zwar auf der Grundlage der bereits vorhandenen preußischen Macht. In
diesem Grundgedanken war und blieb er gegenüber den Bestrebungen der
Paulskirche und der preußischen Union original, auch als er nachmals in deren
Bahnen einlenkte. In ihm lag die Möglichkeit einer Beschränkung, die die
älteren Einigungsprojekte nicht in gleichem Maße gehabt hatten. Wenn es
nicht so sehr auf die Einheit an sich, sondern auf die Macht ankam, dann
brauchte Bismarck durchaus nicht die vollendete Einheit Deutschlands als Ziel
ins Auge zu fassen, sondern er konnte mit der Durchführung der Bundesreform
lediglich nördlich des Mains sehr wohl auf kürzere oder auch längere Zeit,
unter Umständen gar für immer zufrieden sein. Früher hatte Bismarck an
eine regelrechte Teilung Deutschlands mit Österreich gedacht, und auch jetzt fiel
es ihm nicht schwer, das Reformprogramm nur auf Norddeutschland zu erstrecken,
da Frankreich diese Beschränkung zur Bedingung seines erwähnten Verzichts
auf Kompensationen machte. Selbst Sachsen preiszugeben und die süddeutschen
Staaten aus dem Zollverein zu entlassen, hätte er sich vermutlich zur Not
entschlossen. Konfessionelle, ethnographische und parteipolitische Erwägungen
ließen ihm öfters ein enges Zusammenarbeiten mit dem großenteils katholischen
und demokratischen Süden als gar nicht so unbedingt wünschenswert erscheinen.
Es war also Bismarck bei seinen Versicherungen gegenüber Frankreich zunächst
gewiß ernst mit der Beschränkung der preußischen Vorherrschaft auf den Norden,
ohne daß er dies als Lösung für alle Zeiten zu betrachten brauchte. Am
10. Juni 1866 trat er mit folgendem Bundesreformprogramm hervor: engerer
straff organisierter Norddeutscher Bund unter preußischer Führung, weiterer
loser Zusammenschluß mit den süddeutschen Staaten im Sinne des alten
Deutschen Bundes. Der Oberbefehl über die süddeutschen Truppen im Kriege
sollte nicht Preußen, sondern Bayern zustehen. Für diesen Plan gewann
Bismarck die vorhin erwähnte Zustimmung Napoleons.
Zum Nachteil für die französische Politik fiel die Entscheidung von König-
grätz viel zu schnell und gründlich. Österreich bot Napoleon neuerdings Venetien
an, und der Kaiser nahm es und trat Preußen gegenüber am 5. Juli als
Vermittler auf. Es war ein gefährlicher Schritt, denn hätte Preußen jetzt ab¬
gelehnt, so wäre es Napoleon seinem Prestige schuldig gewesen, die Annahme
der Vermittlung zu erzwingen, und das französische Heer war damals noch
viel weniger als 1870 für einen großen Krieg gerüstet. Der Eindruck der
Einmischung war in Preußen sehr schlecht. Doch nahm Bismarck die Ver¬
mittlung an in der Absicht, die Verhandlungen zu verschleppen. Er knüpfte
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