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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

die Hegemonie gäbe, für Frankreich den hinreichenden Grund liefern würde,
derartige Kompensationen zu verlangen, darüber hat Bismarck damals nie eine
unzweideutige Erklärung herauslocken können. Erst kurz vor der Londoner
Konferenz verband Frankreich mit direkten Bündnisvorschlägen die Erklärung,
daß ihm eine Annexion Holsteins und Südschleswigs durch Preußen keinen Anlaß
bieten würde, territoriale Kompensationen zu fordern.

Von den preußischen Diplomaten war der Pariser Botschafter Graf Goltz
schon seit 1863 für ein festes Vertragsverhältnis mit Frankreich. Bismarck
hingegen zog in der Schleswig-holsteinschen Sache das Bündnis mit Österreich
vor in der festen Überzeugung, daß es an Gründen nie fehlen könne, dieses
wieder loszuwerden, sobald es seine Dienste getan hatte. Er wußte, daß der
König Wilhelm und die konservativen Kreise gern mit Österreich und höchst
ungern mit dem "revolutionären" Frankreich zusammen gingen. Er wußte
auch, daß dem Kaiser Franz Josef und seinem Minister des Auswärtigen.
Grafen Rechberg, nicht minder am Frieden mit Preußen gelegen war. Man
bemühte sich, noch einmal an die Möglichkeit zu glauben, daß Österreich und
Preußen gemeinsam die deutschen Angelegenheiten leiten könnten, und Bismarck
war entschlossen, aus diesem guten Willen Kapital für Preußen zu schlagen.
Auf Frankreichs wohlwollende Haltung glaubte er jederzeit noch rechnen zu
können, sowie sich seine Politik gegen Österreich wendete. Denn er hatte den
leitenden Gedanken der napoleonischen Staatskunst durchschaut und traute sich
zu, klüger zu sein als der Kaiser, seine günstigen Gesinnungen für eine Macht¬
steigerung Preußens erst auszunützen, wenn es zur Auseinandersetzung mit
Österreich kam, und dann den Preis, den Frankreich dafür erwartete, nicht zu
zahlen. Er erkannte auch, daß das Zugeständnis der Einverleibung Schleswig-
Holsteins ohne Kompensationen nicht ohne Hintergedanken Napoleons gemacht
worden war. Denn die Einverleibung war nur durch Krieg mit Österreich
möglich; wenn dieser aber einmal kam, dann mußte er naturnotwendig nicht
nur über Schleswig-Holstein, sondern über die Vorherrschaft in ganz Deutsch¬
land entscheiden. Das versetzte Napoleon jederzeit noch in die Lage, zu
behaupten, die politische Situation habe sich völlig verändert; nun müsse er
doch Kompensationen anmelden.

Im Frühjahr 1865 verschärfte sich der Gegensatz zwischen Österreich und
Preußen so, daß die Zeit der Entscheidung gekommen schien. Damals ver¬
mittelte Botschafter Graf Goltz neue französische Anträge. Bismarck lehnte
sie ab, weil der König eine Verbindung mit Frankreich nicht wünsche. Über
seine eigentlichen Gründe setzte er dem Grafen Goltz auseinander: "Es sei viel
besser, wenn Österreich sich davor fürchtete, daß Preußen ein Bündnis mit
Frankreich schließen könne, während gleichzeitig Frankreich damit rechnen müsse,
daß man das österreichische Bündnis vorziehe." (Brandenburg S. 426.)
Bismarck traute Napoleon überhaupt zu, daß dieser sich schließlich auf die
vorteilhaftere, also unter Umständen auch einmal auf die österreichische Seite


Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes

die Hegemonie gäbe, für Frankreich den hinreichenden Grund liefern würde,
derartige Kompensationen zu verlangen, darüber hat Bismarck damals nie eine
unzweideutige Erklärung herauslocken können. Erst kurz vor der Londoner
Konferenz verband Frankreich mit direkten Bündnisvorschlägen die Erklärung,
daß ihm eine Annexion Holsteins und Südschleswigs durch Preußen keinen Anlaß
bieten würde, territoriale Kompensationen zu fordern.

Von den preußischen Diplomaten war der Pariser Botschafter Graf Goltz
schon seit 1863 für ein festes Vertragsverhältnis mit Frankreich. Bismarck
hingegen zog in der Schleswig-holsteinschen Sache das Bündnis mit Österreich
vor in der festen Überzeugung, daß es an Gründen nie fehlen könne, dieses
wieder loszuwerden, sobald es seine Dienste getan hatte. Er wußte, daß der
König Wilhelm und die konservativen Kreise gern mit Österreich und höchst
ungern mit dem „revolutionären" Frankreich zusammen gingen. Er wußte
auch, daß dem Kaiser Franz Josef und seinem Minister des Auswärtigen.
Grafen Rechberg, nicht minder am Frieden mit Preußen gelegen war. Man
bemühte sich, noch einmal an die Möglichkeit zu glauben, daß Österreich und
Preußen gemeinsam die deutschen Angelegenheiten leiten könnten, und Bismarck
war entschlossen, aus diesem guten Willen Kapital für Preußen zu schlagen.
Auf Frankreichs wohlwollende Haltung glaubte er jederzeit noch rechnen zu
können, sowie sich seine Politik gegen Österreich wendete. Denn er hatte den
leitenden Gedanken der napoleonischen Staatskunst durchschaut und traute sich
zu, klüger zu sein als der Kaiser, seine günstigen Gesinnungen für eine Macht¬
steigerung Preußens erst auszunützen, wenn es zur Auseinandersetzung mit
Österreich kam, und dann den Preis, den Frankreich dafür erwartete, nicht zu
zahlen. Er erkannte auch, daß das Zugeständnis der Einverleibung Schleswig-
Holsteins ohne Kompensationen nicht ohne Hintergedanken Napoleons gemacht
worden war. Denn die Einverleibung war nur durch Krieg mit Österreich
möglich; wenn dieser aber einmal kam, dann mußte er naturnotwendig nicht
nur über Schleswig-Holstein, sondern über die Vorherrschaft in ganz Deutsch¬
land entscheiden. Das versetzte Napoleon jederzeit noch in die Lage, zu
behaupten, die politische Situation habe sich völlig verändert; nun müsse er
doch Kompensationen anmelden.

Im Frühjahr 1865 verschärfte sich der Gegensatz zwischen Österreich und
Preußen so, daß die Zeit der Entscheidung gekommen schien. Damals ver¬
mittelte Botschafter Graf Goltz neue französische Anträge. Bismarck lehnte
sie ab, weil der König eine Verbindung mit Frankreich nicht wünsche. Über
seine eigentlichen Gründe setzte er dem Grafen Goltz auseinander: „Es sei viel
besser, wenn Österreich sich davor fürchtete, daß Preußen ein Bündnis mit
Frankreich schließen könne, während gleichzeitig Frankreich damit rechnen müsse,
daß man das österreichische Bündnis vorziehe." (Brandenburg S. 426.)
Bismarck traute Napoleon überhaupt zu, daß dieser sich schließlich auf die
vorteilhaftere, also unter Umständen auch einmal auf die österreichische Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/88>, abgerufen am 23.07.2024.