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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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vom Krieg zum inneren Frieden

wendigkeit der Selbstbesinnung, der inneren Erneuerung kann gar nicht ernst
und nachdrücklich genug betont werden; von ihr darf sich niemand, wer es
auch sei, ausschließen. Erst wenn ein jeder sich bewußt geworden ist, wieviel
Unvollkommenheit und Bedingtheit ihm selbst anhaftet, wie sehr auch er auf
die Milde und Nachsicht der anderen angewiesen ist, dann sind die Voraus¬
setzungen sür ein gegenseitiges Verstehen gegeben."

Nachdem dergestalt durch die Läuterung aller und eines jeden einzelnen
der Boden für ein gegenseitiges Verstehen bereitet ist, wird, wie Dr. Thinae
meint, auch das bisher vermißte Vertrauen sich einstellen. Der Krieg wird
sich hierbei als ein kräftiger Helfer erweisen, denn er hat allen Parteien das
Gewissen dem Vaterlande gegenüber geschärft. Angesichts des furchtbaren Er¬
lebens der Gegenwart müßten alle verbitternden Erinnerungen ausgelöscht und
ein neues Konto ohne Vorurteil und Belastung aufgelegt werden. Niemals sei
die Zeit hierzu günstiger gewesen als eben jetzt, wo Monarchie und Staats¬
autorität hochaufgerichtet dastünden und der christliche Gedanke die Herzen dem
brüderlichen Vertrauen öffne . . .

So spricht der Idealismus, der an den Sieg der edleren Anlagen in den
Mitmenschen über deren eigennützige Berechnung glaubt. Auch wir hoffen,
daß der Krieg als ein segensreicher Erwecker zur Duldsamkeit und Nächstenliebe
sich erweisen und dadurch dem Emporwuchern innerer Zwietracht entgegenwirken
wird, die alten Gegensätze aber werden -- vielleicht in gemilderten Formen --
fortbestehen. Weder wird die menschliche Natur sich umkneten lassen, noch
werden die sozialen Spannungen entschwinden, noch werden die konfessionellen
Reibungen völlig erlöschen, noch werden die politischen Kämpfe jemals ein
überwundener Standpunkt sein. Für den inneren Frieden werden materielle
Bedingungen wirksamer sein als blühende Rhetorik.

Die einzelnen Mitarbeiter mögen empfunden haben, wie mit den bloßen
Mahnungen zur Friedfertigkeit das trotzige Herz der Menschen nicht zu be¬
kehren ist. Der geistigen Erneuerung sollen daher reale Zugeständnisse zu Hilfe
kommen. Sofort zeigt sich aber auch, wie schwankend der Boden für einen
Ausgleich ist. Wir bleiben bei dem Abschnitt über den Frieden unter den
politischen Parteien stehen. Jeder Verfasser will natürlich das eigene Partei¬
gesicht wahren und soll doch programmmäßig dem Gegner eine Hand zur Ver¬
ständigung bieten. Das ergibt einen bunten Strauß von ZukunftsVersprechungen,
von denen Niemand weiß, was von ihnen erfüllt und inwiefern dem inneren
Frieden dadurch Nährkraft zugeführt werden wird. Der auf konservativem
Boden stehende Herr v. Oertzen ist der Meinung, daß die Parteien veraltete
Ideale aufgeben und Vertrauen zueinander fassen müßten. Im übrigen träfe
das Umlernen am wenigsten die konservative Partei, weil deren Grundsätze
die gewaltige Generalprobe des Weltkriegs so glänzend bestanden hätten, daß
eine Richtungsschwenkung eher einen Verlust als Gewinn bedeuten würde. Der
wichtigsten Zukunftsaufgabe, der Fortbildung der Sozialreform, würden die


vom Krieg zum inneren Frieden

wendigkeit der Selbstbesinnung, der inneren Erneuerung kann gar nicht ernst
und nachdrücklich genug betont werden; von ihr darf sich niemand, wer es
auch sei, ausschließen. Erst wenn ein jeder sich bewußt geworden ist, wieviel
Unvollkommenheit und Bedingtheit ihm selbst anhaftet, wie sehr auch er auf
die Milde und Nachsicht der anderen angewiesen ist, dann sind die Voraus¬
setzungen sür ein gegenseitiges Verstehen gegeben."

Nachdem dergestalt durch die Läuterung aller und eines jeden einzelnen
der Boden für ein gegenseitiges Verstehen bereitet ist, wird, wie Dr. Thinae
meint, auch das bisher vermißte Vertrauen sich einstellen. Der Krieg wird
sich hierbei als ein kräftiger Helfer erweisen, denn er hat allen Parteien das
Gewissen dem Vaterlande gegenüber geschärft. Angesichts des furchtbaren Er¬
lebens der Gegenwart müßten alle verbitternden Erinnerungen ausgelöscht und
ein neues Konto ohne Vorurteil und Belastung aufgelegt werden. Niemals sei
die Zeit hierzu günstiger gewesen als eben jetzt, wo Monarchie und Staats¬
autorität hochaufgerichtet dastünden und der christliche Gedanke die Herzen dem
brüderlichen Vertrauen öffne . . .

So spricht der Idealismus, der an den Sieg der edleren Anlagen in den
Mitmenschen über deren eigennützige Berechnung glaubt. Auch wir hoffen,
daß der Krieg als ein segensreicher Erwecker zur Duldsamkeit und Nächstenliebe
sich erweisen und dadurch dem Emporwuchern innerer Zwietracht entgegenwirken
wird, die alten Gegensätze aber werden — vielleicht in gemilderten Formen —
fortbestehen. Weder wird die menschliche Natur sich umkneten lassen, noch
werden die sozialen Spannungen entschwinden, noch werden die konfessionellen
Reibungen völlig erlöschen, noch werden die politischen Kämpfe jemals ein
überwundener Standpunkt sein. Für den inneren Frieden werden materielle
Bedingungen wirksamer sein als blühende Rhetorik.

Die einzelnen Mitarbeiter mögen empfunden haben, wie mit den bloßen
Mahnungen zur Friedfertigkeit das trotzige Herz der Menschen nicht zu be¬
kehren ist. Der geistigen Erneuerung sollen daher reale Zugeständnisse zu Hilfe
kommen. Sofort zeigt sich aber auch, wie schwankend der Boden für einen
Ausgleich ist. Wir bleiben bei dem Abschnitt über den Frieden unter den
politischen Parteien stehen. Jeder Verfasser will natürlich das eigene Partei¬
gesicht wahren und soll doch programmmäßig dem Gegner eine Hand zur Ver¬
ständigung bieten. Das ergibt einen bunten Strauß von ZukunftsVersprechungen,
von denen Niemand weiß, was von ihnen erfüllt und inwiefern dem inneren
Frieden dadurch Nährkraft zugeführt werden wird. Der auf konservativem
Boden stehende Herr v. Oertzen ist der Meinung, daß die Parteien veraltete
Ideale aufgeben und Vertrauen zueinander fassen müßten. Im übrigen träfe
das Umlernen am wenigsten die konservative Partei, weil deren Grundsätze
die gewaltige Generalprobe des Weltkriegs so glänzend bestanden hätten, daß
eine Richtungsschwenkung eher einen Verlust als Gewinn bedeuten würde. Der
wichtigsten Zukunftsaufgabe, der Fortbildung der Sozialreform, würden die


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[0084] vom Krieg zum inneren Frieden wendigkeit der Selbstbesinnung, der inneren Erneuerung kann gar nicht ernst und nachdrücklich genug betont werden; von ihr darf sich niemand, wer es auch sei, ausschließen. Erst wenn ein jeder sich bewußt geworden ist, wieviel Unvollkommenheit und Bedingtheit ihm selbst anhaftet, wie sehr auch er auf die Milde und Nachsicht der anderen angewiesen ist, dann sind die Voraus¬ setzungen sür ein gegenseitiges Verstehen gegeben." Nachdem dergestalt durch die Läuterung aller und eines jeden einzelnen der Boden für ein gegenseitiges Verstehen bereitet ist, wird, wie Dr. Thinae meint, auch das bisher vermißte Vertrauen sich einstellen. Der Krieg wird sich hierbei als ein kräftiger Helfer erweisen, denn er hat allen Parteien das Gewissen dem Vaterlande gegenüber geschärft. Angesichts des furchtbaren Er¬ lebens der Gegenwart müßten alle verbitternden Erinnerungen ausgelöscht und ein neues Konto ohne Vorurteil und Belastung aufgelegt werden. Niemals sei die Zeit hierzu günstiger gewesen als eben jetzt, wo Monarchie und Staats¬ autorität hochaufgerichtet dastünden und der christliche Gedanke die Herzen dem brüderlichen Vertrauen öffne . . . So spricht der Idealismus, der an den Sieg der edleren Anlagen in den Mitmenschen über deren eigennützige Berechnung glaubt. Auch wir hoffen, daß der Krieg als ein segensreicher Erwecker zur Duldsamkeit und Nächstenliebe sich erweisen und dadurch dem Emporwuchern innerer Zwietracht entgegenwirken wird, die alten Gegensätze aber werden — vielleicht in gemilderten Formen — fortbestehen. Weder wird die menschliche Natur sich umkneten lassen, noch werden die sozialen Spannungen entschwinden, noch werden die konfessionellen Reibungen völlig erlöschen, noch werden die politischen Kämpfe jemals ein überwundener Standpunkt sein. Für den inneren Frieden werden materielle Bedingungen wirksamer sein als blühende Rhetorik. Die einzelnen Mitarbeiter mögen empfunden haben, wie mit den bloßen Mahnungen zur Friedfertigkeit das trotzige Herz der Menschen nicht zu be¬ kehren ist. Der geistigen Erneuerung sollen daher reale Zugeständnisse zu Hilfe kommen. Sofort zeigt sich aber auch, wie schwankend der Boden für einen Ausgleich ist. Wir bleiben bei dem Abschnitt über den Frieden unter den politischen Parteien stehen. Jeder Verfasser will natürlich das eigene Partei¬ gesicht wahren und soll doch programmmäßig dem Gegner eine Hand zur Ver¬ ständigung bieten. Das ergibt einen bunten Strauß von ZukunftsVersprechungen, von denen Niemand weiß, was von ihnen erfüllt und inwiefern dem inneren Frieden dadurch Nährkraft zugeführt werden wird. Der auf konservativem Boden stehende Herr v. Oertzen ist der Meinung, daß die Parteien veraltete Ideale aufgeben und Vertrauen zueinander fassen müßten. Im übrigen träfe das Umlernen am wenigsten die konservative Partei, weil deren Grundsätze die gewaltige Generalprobe des Weltkriegs so glänzend bestanden hätten, daß eine Richtungsschwenkung eher einen Verlust als Gewinn bedeuten würde. Der wichtigsten Zukunftsaufgabe, der Fortbildung der Sozialreform, würden die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/84>, abgerufen am 23.07.2024.