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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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vom Arieg zum inneren Frieden

achtbaren Anregungen zu Papier gebracht. Wir wünschen, daß recht mele
Leser den vorgetragenen Gedankengängen prüfend nachgehen. Sie werden
neben manchem Anfechtbaren viel Ansprechendes finden. Vor allem wM er¬
freulich die begeisterte Vaterlandsverehrung, die aus allen Abhandlungen her¬
vorleuchtet. "Das Interesse, das den Ton für alle Reden und das Maß für
alle Bestrebungen gibt, bleibt das Vaterland." Die Übereinstimmung in der
Grundauffafsung läßt freilich für fehr widerspruchsvolle Ausdeutungen Raum.

Das Programm des Friedensbuches ist. wie ersichtlich, fehr wen gesteckt.
Trotzdem können die Darlegungen der einzelnen Verfasser, die acht nur unsere
sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die polMschen und
konfessionellen Parteiungen. die Nationalitäten frage und die tiefsten Probleme
deutscher "Innerlichkeit" (nach einem Ausdruck des Professors Rudolf Eucken) in
vorgezeichneten Sinne behandeln sollen, die Hauptfragen nur in kürzesten Um-
rissen erörtern. Über die Staatskirche, das Parteiwesen, über me polmsche
Frage, das Judentum u. tgi. in. existiert je eine große Literatur, deren Kennens
zur richtigen Beurteilung der betreffenden Themata unerläßlich ist. Denn die
Urteilsbildung muß das Für und Wider erwägen, während die Thimmeschen
Mitarbeiter gewissermaßen an eine bestimmte Marschlinie gebunden waren.
Ihre Aufgabe deutet dahin, daß sie versöhnlichen Stimmungen unter den sich
befehdenden Parteien eine Gasse bahnen sollen. Mithin fügt es sich von
selbst, daß sie ihnen unbequeme Wahrheiten und Einwände aus ihren Be¬
trachtungen ausschließen, dagegen die zu einem friedlichen Ausgleich geeignet
erscheinenden Momente um fo eindringlicher hervorheben. Anders war die
heikle Aufgabe wohl auch nicht zu lösen. Die Mannigfaltigkeit der Themata
beeinträchtigt aber die Gründlichkeit: die Tendenz des Friedensbuches leistet der
Einseitigkeit der Darstellung Vorschub.

Einen ungefähren Einblick in das Wollen der Propagandisten des inneren
Friedens gewährt die Schlußrede des Herausgebers, in der es u. a. heißt:

"Hinfort soll eine jede Partei, eine jede Glaubensgemeinschaft, jeder
Volksstamm und Stand sich ehrlich und eifrig bemühen, die anderen, denen
man bisher kühl und fremd, oft feindlich gegenüberstand, nach Wesensart
und wirklichem Wollen kennen zu lernen. Kein oberflächliches Aburteilen
auf Grund vorgefaßter Meinungen darf mehr stattfinden; der Protestant
muß den Katholiken und Juden, der Liberale und der Freigeist den Positiven
und Orthodoxen, der Konservative den Sozialdemokraten und umgekehrt zu
begreifen und zu verstehen suchen. Sobald nur alle Teile den aufrichtigen
Willen zu solchem Kennenlernen, zu solchem gerechten Verstehen und Urteilen
haben, müssen sie ja sofort gewahr werden, wieviel Wertvolles, Gutes und
Edles auch die anderen Richtungen in sich schließen, und wieviel man von
ihnen lernen und gewinnen kann. Selbstverständlich ist es mit dem Ein¬
dringen in die Psyche des andern allein nicht getan; eine ernste, unnach¬
sichtige Selbstprüfung und Einkehr muß damit verbunden fein. Die Not-


vom Arieg zum inneren Frieden

achtbaren Anregungen zu Papier gebracht. Wir wünschen, daß recht mele
Leser den vorgetragenen Gedankengängen prüfend nachgehen. Sie werden
neben manchem Anfechtbaren viel Ansprechendes finden. Vor allem wM er¬
freulich die begeisterte Vaterlandsverehrung, die aus allen Abhandlungen her¬
vorleuchtet. „Das Interesse, das den Ton für alle Reden und das Maß für
alle Bestrebungen gibt, bleibt das Vaterland." Die Übereinstimmung in der
Grundauffafsung läßt freilich für fehr widerspruchsvolle Ausdeutungen Raum.

Das Programm des Friedensbuches ist. wie ersichtlich, fehr wen gesteckt.
Trotzdem können die Darlegungen der einzelnen Verfasser, die acht nur unsere
sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die polMschen und
konfessionellen Parteiungen. die Nationalitäten frage und die tiefsten Probleme
deutscher „Innerlichkeit" (nach einem Ausdruck des Professors Rudolf Eucken) in
vorgezeichneten Sinne behandeln sollen, die Hauptfragen nur in kürzesten Um-
rissen erörtern. Über die Staatskirche, das Parteiwesen, über me polmsche
Frage, das Judentum u. tgi. in. existiert je eine große Literatur, deren Kennens
zur richtigen Beurteilung der betreffenden Themata unerläßlich ist. Denn die
Urteilsbildung muß das Für und Wider erwägen, während die Thimmeschen
Mitarbeiter gewissermaßen an eine bestimmte Marschlinie gebunden waren.
Ihre Aufgabe deutet dahin, daß sie versöhnlichen Stimmungen unter den sich
befehdenden Parteien eine Gasse bahnen sollen. Mithin fügt es sich von
selbst, daß sie ihnen unbequeme Wahrheiten und Einwände aus ihren Be¬
trachtungen ausschließen, dagegen die zu einem friedlichen Ausgleich geeignet
erscheinenden Momente um fo eindringlicher hervorheben. Anders war die
heikle Aufgabe wohl auch nicht zu lösen. Die Mannigfaltigkeit der Themata
beeinträchtigt aber die Gründlichkeit: die Tendenz des Friedensbuches leistet der
Einseitigkeit der Darstellung Vorschub.

Einen ungefähren Einblick in das Wollen der Propagandisten des inneren
Friedens gewährt die Schlußrede des Herausgebers, in der es u. a. heißt:

„Hinfort soll eine jede Partei, eine jede Glaubensgemeinschaft, jeder
Volksstamm und Stand sich ehrlich und eifrig bemühen, die anderen, denen
man bisher kühl und fremd, oft feindlich gegenüberstand, nach Wesensart
und wirklichem Wollen kennen zu lernen. Kein oberflächliches Aburteilen
auf Grund vorgefaßter Meinungen darf mehr stattfinden; der Protestant
muß den Katholiken und Juden, der Liberale und der Freigeist den Positiven
und Orthodoxen, der Konservative den Sozialdemokraten und umgekehrt zu
begreifen und zu verstehen suchen. Sobald nur alle Teile den aufrichtigen
Willen zu solchem Kennenlernen, zu solchem gerechten Verstehen und Urteilen
haben, müssen sie ja sofort gewahr werden, wieviel Wertvolles, Gutes und
Edles auch die anderen Richtungen in sich schließen, und wieviel man von
ihnen lernen und gewinnen kann. Selbstverständlich ist es mit dem Ein¬
dringen in die Psyche des andern allein nicht getan; eine ernste, unnach¬
sichtige Selbstprüfung und Einkehr muß damit verbunden fein. Die Not-


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[0083] vom Arieg zum inneren Frieden achtbaren Anregungen zu Papier gebracht. Wir wünschen, daß recht mele Leser den vorgetragenen Gedankengängen prüfend nachgehen. Sie werden neben manchem Anfechtbaren viel Ansprechendes finden. Vor allem wM er¬ freulich die begeisterte Vaterlandsverehrung, die aus allen Abhandlungen her¬ vorleuchtet. „Das Interesse, das den Ton für alle Reden und das Maß für alle Bestrebungen gibt, bleibt das Vaterland." Die Übereinstimmung in der Grundauffafsung läßt freilich für fehr widerspruchsvolle Ausdeutungen Raum. Das Programm des Friedensbuches ist. wie ersichtlich, fehr wen gesteckt. Trotzdem können die Darlegungen der einzelnen Verfasser, die acht nur unsere sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die polMschen und konfessionellen Parteiungen. die Nationalitäten frage und die tiefsten Probleme deutscher „Innerlichkeit" (nach einem Ausdruck des Professors Rudolf Eucken) in vorgezeichneten Sinne behandeln sollen, die Hauptfragen nur in kürzesten Um- rissen erörtern. Über die Staatskirche, das Parteiwesen, über me polmsche Frage, das Judentum u. tgi. in. existiert je eine große Literatur, deren Kennens zur richtigen Beurteilung der betreffenden Themata unerläßlich ist. Denn die Urteilsbildung muß das Für und Wider erwägen, während die Thimmeschen Mitarbeiter gewissermaßen an eine bestimmte Marschlinie gebunden waren. Ihre Aufgabe deutet dahin, daß sie versöhnlichen Stimmungen unter den sich befehdenden Parteien eine Gasse bahnen sollen. Mithin fügt es sich von selbst, daß sie ihnen unbequeme Wahrheiten und Einwände aus ihren Be¬ trachtungen ausschließen, dagegen die zu einem friedlichen Ausgleich geeignet erscheinenden Momente um fo eindringlicher hervorheben. Anders war die heikle Aufgabe wohl auch nicht zu lösen. Die Mannigfaltigkeit der Themata beeinträchtigt aber die Gründlichkeit: die Tendenz des Friedensbuches leistet der Einseitigkeit der Darstellung Vorschub. Einen ungefähren Einblick in das Wollen der Propagandisten des inneren Friedens gewährt die Schlußrede des Herausgebers, in der es u. a. heißt: „Hinfort soll eine jede Partei, eine jede Glaubensgemeinschaft, jeder Volksstamm und Stand sich ehrlich und eifrig bemühen, die anderen, denen man bisher kühl und fremd, oft feindlich gegenüberstand, nach Wesensart und wirklichem Wollen kennen zu lernen. Kein oberflächliches Aburteilen auf Grund vorgefaßter Meinungen darf mehr stattfinden; der Protestant muß den Katholiken und Juden, der Liberale und der Freigeist den Positiven und Orthodoxen, der Konservative den Sozialdemokraten und umgekehrt zu begreifen und zu verstehen suchen. Sobald nur alle Teile den aufrichtigen Willen zu solchem Kennenlernen, zu solchem gerechten Verstehen und Urteilen haben, müssen sie ja sofort gewahr werden, wieviel Wertvolles, Gutes und Edles auch die anderen Richtungen in sich schließen, und wieviel man von ihnen lernen und gewinnen kann. Selbstverständlich ist es mit dem Ein¬ dringen in die Psyche des andern allein nicht getan; eine ernste, unnach¬ sichtige Selbstprüfung und Einkehr muß damit verbunden fein. Die Not-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/83>, abgerufen am 25.08.2024.