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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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ordnung des Sozialismus. dem Zukunftsstaat, näherzuführen ist. nicht leicht
mehr entziehen können..." , ^ -> ^

Diese Sätze enthalten unseres Erachtens ein Bekenntnis, das durch eme
tiefe Verbeugung vor demokratischen Forderungen und sozialdemokraMen ^dem
der nationalen Einigung dienen will. Das den freien Gewerkschaften vom
Verfasser Thinae gespendete Lob wegen ihres staatstreuen Verhaltens soll acht
mit einem Wort bekrittelt werden, ob aber die Anerkennung der vowschen
Sozialdemokratie als einer vaterländisch gesinnten Partei heute noch so rück-
haltslos wie vor einem Jahre ausfallen würde, kann füglich bezweifelt werden.
Es kann doch nicht einfach darüber hinweggesehen werden, daß innerhalb der
Sozialdemokratie ein starrer Radikalismus von unbekannter Stärke nach une
vor sein Wesen treibt. Sollen Staat und Gesellschaft die Verantwortung auf
sich nehmen, dieser an Landesverrat grenzenden Strömung jede Schranke gegen
ihr freies Austoben fürsorglich aus dem Wege zu räumen?

Die Versöhnungspolitik der Thinae und Genossen ist einseitig eingestellt;
sie verlangt von der bürgerlichen Gesellschaft die weitestgehenden Zugeständmfse
an die sozialistische und demokratische Anschauungswelt, ohne danach zu fragen,
ob die bewährten Tragebalken unseres Staatswesens und seiner bürgerlichen
Wirtschaftsverfassung eine solche Belastung ungefährdet aushalten können. Wir
machen den um Herrn Thinae vereinigten Gelehrten und Politikern den Vor¬
wurf, daß die von ihnen konstruierten Einigungsformen in manchen Stücken
eher dazu angetan sind. Unfrieden zu säen als Versöhnungsfrüchte reifen zu
lassen.

Das gilt beispielsweise von den "Gedanken über zukünftige Staats¬
reformen" des Professors Anschütz. Derselbe glaubt wohl dem inneren Frieden
förderlich zu sein, wenn er den "konservativen Radikalismus" als den Hemm¬
schuh aller innerpolitischen Fortschritte in Preußen bezeichnet und den Unitarismus
im Reich auf Kosten der Einzelstaaten zu allbeherrschendem Einfluß ausgestalten
möchte? Unter bedauerlicher Verkennung der von Preußen ausstrahlenden
Lebenskräfte schwebten diesem Gelehrten Reformen vor, durch die eine mit
ganzer Machtfülle ausgestattete Reichsregierung eingesetzt und Preußen seiner
staatsrechtlichen Befugnisse im wesentlichen beraubt wird. Zwar sucht der Ver¬
fasser vorzuspiegeln, daß Preußen infolge einer breiten Demokratisierung seines
Wahlrechts an Festigkeit nur gewinnen könnte, andererseits soll aber durch eine
systematische Stärkung der Reichsgewalt der preußische Einfluß auf die Neichs-
geschäfte gründlich unterbunden werden, denn "das Reich ist nicht eine bloße
Attrappe, hinter der sich die preußische Hegemonie verbirgt". Die Existenz
des Bundesrath neben der "Neichsleitung" erscheint Professor Anschütz an sich
schon als ein Unding. Daher soll die jetzt vom Reichskanzler ausgeübte
"Leitung" an ein dem Reichstag verantwortliches Reichsministerium übergehen
und der Bundesrat in ein Reichsoberhaus mit den Funktionen eines Staatsrath
umgewandelt werden.


vom Krieg zum inneren Frieden

ordnung des Sozialismus. dem Zukunftsstaat, näherzuführen ist. nicht leicht
mehr entziehen können..." , ^ -> ^

Diese Sätze enthalten unseres Erachtens ein Bekenntnis, das durch eme
tiefe Verbeugung vor demokratischen Forderungen und sozialdemokraMen ^dem
der nationalen Einigung dienen will. Das den freien Gewerkschaften vom
Verfasser Thinae gespendete Lob wegen ihres staatstreuen Verhaltens soll acht
mit einem Wort bekrittelt werden, ob aber die Anerkennung der vowschen
Sozialdemokratie als einer vaterländisch gesinnten Partei heute noch so rück-
haltslos wie vor einem Jahre ausfallen würde, kann füglich bezweifelt werden.
Es kann doch nicht einfach darüber hinweggesehen werden, daß innerhalb der
Sozialdemokratie ein starrer Radikalismus von unbekannter Stärke nach une
vor sein Wesen treibt. Sollen Staat und Gesellschaft die Verantwortung auf
sich nehmen, dieser an Landesverrat grenzenden Strömung jede Schranke gegen
ihr freies Austoben fürsorglich aus dem Wege zu räumen?

Die Versöhnungspolitik der Thinae und Genossen ist einseitig eingestellt;
sie verlangt von der bürgerlichen Gesellschaft die weitestgehenden Zugeständmfse
an die sozialistische und demokratische Anschauungswelt, ohne danach zu fragen,
ob die bewährten Tragebalken unseres Staatswesens und seiner bürgerlichen
Wirtschaftsverfassung eine solche Belastung ungefährdet aushalten können. Wir
machen den um Herrn Thinae vereinigten Gelehrten und Politikern den Vor¬
wurf, daß die von ihnen konstruierten Einigungsformen in manchen Stücken
eher dazu angetan sind. Unfrieden zu säen als Versöhnungsfrüchte reifen zu
lassen.

Das gilt beispielsweise von den „Gedanken über zukünftige Staats¬
reformen" des Professors Anschütz. Derselbe glaubt wohl dem inneren Frieden
förderlich zu sein, wenn er den „konservativen Radikalismus" als den Hemm¬
schuh aller innerpolitischen Fortschritte in Preußen bezeichnet und den Unitarismus
im Reich auf Kosten der Einzelstaaten zu allbeherrschendem Einfluß ausgestalten
möchte? Unter bedauerlicher Verkennung der von Preußen ausstrahlenden
Lebenskräfte schwebten diesem Gelehrten Reformen vor, durch die eine mit
ganzer Machtfülle ausgestattete Reichsregierung eingesetzt und Preußen seiner
staatsrechtlichen Befugnisse im wesentlichen beraubt wird. Zwar sucht der Ver¬
fasser vorzuspiegeln, daß Preußen infolge einer breiten Demokratisierung seines
Wahlrechts an Festigkeit nur gewinnen könnte, andererseits soll aber durch eine
systematische Stärkung der Reichsgewalt der preußische Einfluß auf die Neichs-
geschäfte gründlich unterbunden werden, denn „das Reich ist nicht eine bloße
Attrappe, hinter der sich die preußische Hegemonie verbirgt". Die Existenz
des Bundesrath neben der „Neichsleitung" erscheint Professor Anschütz an sich
schon als ein Unding. Daher soll die jetzt vom Reichskanzler ausgeübte
„Leitung" an ein dem Reichstag verantwortliches Reichsministerium übergehen
und der Bundesrat in ein Reichsoberhaus mit den Funktionen eines Staatsrath
umgewandelt werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/81>, abgerufen am 25.08.2024.