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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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werden, im Interesse eines Ausgleichs scheint uns aber schon mel gewonnen wem-,
nicht von Fall zu Fall immer wieder die schwersten Geschütze gegen Anders¬
denkende aufgefahren werden, weil laut Übereinkunft die Stromnchtung vor¬
gezeichnet ist. Die innere Einigung unseres Volkes kann eben einen festen
Bauplan nicht entbehren, dieser aber muß davon ausgehen, was ungefähr an
gemeinsamen Grundlagen aus den verschiedenen Parteiprogrammen sich heraus"
schälen läßt. " ^ .

Unsere Randglossen zum Thema der inneren Einigung sind, une wir gerne
zugeben wollen, nur insofern zeitgemäß, als sie Fragen berühren, deren Be¬
leuchtung von mehreren anderen Seiten schon seit einiger Zelt systematisch in
Angriff genommen worden ist. Unzeitgemäß erscheinen aber solche Erörterungen
deshalb, weil aus ihnen positive Aktionspunkte unter den obwaltenden Um¬
ständen schlechterdings sich nicht ergeben können. Ungleich wichtiger ist. daß
wir jetzt wahrlich unsere Interessen nicht an Aufgaben verzetteln, die erst nach
Beendigung des Krieges greifbar in Erscheinung treten werden. Wie würden
wir einen Mann beurteilen, der. während ein verheerendes Brandfeuer in seinem
Hause wütet, sorgenvoll darüber nachsinnt, wie er nach Löschung der Gluten
seine innere Wohneinrichtung zweckmäßiger werde gestalten können? In den
Schriften der Apostel des inneren Friedens finden wir aber neben allgemeinen
Redewendungen Dutzende von Vorschlägen, die zu ihrer Realisierung ein großes
Aufgebot gesetzgeberischer Arbeiten voraussetzen. Einen praktischen Nutzeffekt
können solche Frühgeburten um so weniger haben, als niemand mit Sicherheit
behaupten kann, daß nach dem Friedensschluß ver allseitig angekündigte Reform¬
hebel gerade an dem besonders hervorgehobenen Punkte allem zuvor anzusetzen
sein wird. Probleme, deren umgehende Lösung jetzt großen Parteigruppen
unausschiebbar erscheint, werden unter der überwältigenden Fülle der zur
Wiederherstellung zerstörter Daseinsbedingungen erforderlichen Arbeiten späterhin
wahrscheinlich minder dringlich erscheinen, z. B. die Reform des Landtagswahl¬
rechts gegenüber der Neuordnung unseres Außenhandels. Dem Wettlauf der
Wünschenden wird, wie jeder Einsichtige anerkennen müßte, die Erfüllung der
Staatsnotwendigkeiten vorangehen müssen.

Die Kriegseinheit gestattet nicht, Unreifes und Ungeklärtes auf die politische
Tagesordnung zu setzen, denn jene Einheit würde solchenfalls Gefahr laufen,
auseinandergesprengt zu werden. Wir sollen uns hüten, für vergiftete Zank¬
apfel der Vergangenheit inmitten des Kriegssturmes schnelle Entschließungen zu
heischen. Schon die wenigen engbegrenzten Gesetzentwürfe, die von den Par¬
lamenten letzthin erledigt wurden, wie die Vereinsgesetznovelle und die Kriegs¬
gewinnsteuer, haben deutlich erkennen lassen, daß die alten Gegensätze nur
mühsam unter einen Hut gebracht werden könnten. In Hoffen und Bangen
harren wir der werdenden Dinge; sie voreilig meistern zu wollen, hieße der
weltgeschichtlichen Entwicklung vorgreifen. Friedrich Naumann hat sehr Recht,
wenn er schreibt: "Bei allen zukünftigen Entwicklungen hängt sehr viel davon


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vom Krieg zum inneren Frieden

werden, im Interesse eines Ausgleichs scheint uns aber schon mel gewonnen wem-,
nicht von Fall zu Fall immer wieder die schwersten Geschütze gegen Anders¬
denkende aufgefahren werden, weil laut Übereinkunft die Stromnchtung vor¬
gezeichnet ist. Die innere Einigung unseres Volkes kann eben einen festen
Bauplan nicht entbehren, dieser aber muß davon ausgehen, was ungefähr an
gemeinsamen Grundlagen aus den verschiedenen Parteiprogrammen sich heraus«
schälen läßt. „ ^ .

Unsere Randglossen zum Thema der inneren Einigung sind, une wir gerne
zugeben wollen, nur insofern zeitgemäß, als sie Fragen berühren, deren Be¬
leuchtung von mehreren anderen Seiten schon seit einiger Zelt systematisch in
Angriff genommen worden ist. Unzeitgemäß erscheinen aber solche Erörterungen
deshalb, weil aus ihnen positive Aktionspunkte unter den obwaltenden Um¬
ständen schlechterdings sich nicht ergeben können. Ungleich wichtiger ist. daß
wir jetzt wahrlich unsere Interessen nicht an Aufgaben verzetteln, die erst nach
Beendigung des Krieges greifbar in Erscheinung treten werden. Wie würden
wir einen Mann beurteilen, der. während ein verheerendes Brandfeuer in seinem
Hause wütet, sorgenvoll darüber nachsinnt, wie er nach Löschung der Gluten
seine innere Wohneinrichtung zweckmäßiger werde gestalten können? In den
Schriften der Apostel des inneren Friedens finden wir aber neben allgemeinen
Redewendungen Dutzende von Vorschlägen, die zu ihrer Realisierung ein großes
Aufgebot gesetzgeberischer Arbeiten voraussetzen. Einen praktischen Nutzeffekt
können solche Frühgeburten um so weniger haben, als niemand mit Sicherheit
behaupten kann, daß nach dem Friedensschluß ver allseitig angekündigte Reform¬
hebel gerade an dem besonders hervorgehobenen Punkte allem zuvor anzusetzen
sein wird. Probleme, deren umgehende Lösung jetzt großen Parteigruppen
unausschiebbar erscheint, werden unter der überwältigenden Fülle der zur
Wiederherstellung zerstörter Daseinsbedingungen erforderlichen Arbeiten späterhin
wahrscheinlich minder dringlich erscheinen, z. B. die Reform des Landtagswahl¬
rechts gegenüber der Neuordnung unseres Außenhandels. Dem Wettlauf der
Wünschenden wird, wie jeder Einsichtige anerkennen müßte, die Erfüllung der
Staatsnotwendigkeiten vorangehen müssen.

Die Kriegseinheit gestattet nicht, Unreifes und Ungeklärtes auf die politische
Tagesordnung zu setzen, denn jene Einheit würde solchenfalls Gefahr laufen,
auseinandergesprengt zu werden. Wir sollen uns hüten, für vergiftete Zank¬
apfel der Vergangenheit inmitten des Kriegssturmes schnelle Entschließungen zu
heischen. Schon die wenigen engbegrenzten Gesetzentwürfe, die von den Par¬
lamenten letzthin erledigt wurden, wie die Vereinsgesetznovelle und die Kriegs¬
gewinnsteuer, haben deutlich erkennen lassen, daß die alten Gegensätze nur
mühsam unter einen Hut gebracht werden könnten. In Hoffen und Bangen
harren wir der werdenden Dinge; sie voreilig meistern zu wollen, hieße der
weltgeschichtlichen Entwicklung vorgreifen. Friedrich Naumann hat sehr Recht,
wenn er schreibt: „Bei allen zukünftigen Entwicklungen hängt sehr viel davon


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[0079] vom Krieg zum inneren Frieden werden, im Interesse eines Ausgleichs scheint uns aber schon mel gewonnen wem-, nicht von Fall zu Fall immer wieder die schwersten Geschütze gegen Anders¬ denkende aufgefahren werden, weil laut Übereinkunft die Stromnchtung vor¬ gezeichnet ist. Die innere Einigung unseres Volkes kann eben einen festen Bauplan nicht entbehren, dieser aber muß davon ausgehen, was ungefähr an gemeinsamen Grundlagen aus den verschiedenen Parteiprogrammen sich heraus« schälen läßt. „ ^ . Unsere Randglossen zum Thema der inneren Einigung sind, une wir gerne zugeben wollen, nur insofern zeitgemäß, als sie Fragen berühren, deren Be¬ leuchtung von mehreren anderen Seiten schon seit einiger Zelt systematisch in Angriff genommen worden ist. Unzeitgemäß erscheinen aber solche Erörterungen deshalb, weil aus ihnen positive Aktionspunkte unter den obwaltenden Um¬ ständen schlechterdings sich nicht ergeben können. Ungleich wichtiger ist. daß wir jetzt wahrlich unsere Interessen nicht an Aufgaben verzetteln, die erst nach Beendigung des Krieges greifbar in Erscheinung treten werden. Wie würden wir einen Mann beurteilen, der. während ein verheerendes Brandfeuer in seinem Hause wütet, sorgenvoll darüber nachsinnt, wie er nach Löschung der Gluten seine innere Wohneinrichtung zweckmäßiger werde gestalten können? In den Schriften der Apostel des inneren Friedens finden wir aber neben allgemeinen Redewendungen Dutzende von Vorschlägen, die zu ihrer Realisierung ein großes Aufgebot gesetzgeberischer Arbeiten voraussetzen. Einen praktischen Nutzeffekt können solche Frühgeburten um so weniger haben, als niemand mit Sicherheit behaupten kann, daß nach dem Friedensschluß ver allseitig angekündigte Reform¬ hebel gerade an dem besonders hervorgehobenen Punkte allem zuvor anzusetzen sein wird. Probleme, deren umgehende Lösung jetzt großen Parteigruppen unausschiebbar erscheint, werden unter der überwältigenden Fülle der zur Wiederherstellung zerstörter Daseinsbedingungen erforderlichen Arbeiten späterhin wahrscheinlich minder dringlich erscheinen, z. B. die Reform des Landtagswahl¬ rechts gegenüber der Neuordnung unseres Außenhandels. Dem Wettlauf der Wünschenden wird, wie jeder Einsichtige anerkennen müßte, die Erfüllung der Staatsnotwendigkeiten vorangehen müssen. Die Kriegseinheit gestattet nicht, Unreifes und Ungeklärtes auf die politische Tagesordnung zu setzen, denn jene Einheit würde solchenfalls Gefahr laufen, auseinandergesprengt zu werden. Wir sollen uns hüten, für vergiftete Zank¬ apfel der Vergangenheit inmitten des Kriegssturmes schnelle Entschließungen zu heischen. Schon die wenigen engbegrenzten Gesetzentwürfe, die von den Par¬ lamenten letzthin erledigt wurden, wie die Vereinsgesetznovelle und die Kriegs¬ gewinnsteuer, haben deutlich erkennen lassen, daß die alten Gegensätze nur mühsam unter einen Hut gebracht werden könnten. In Hoffen und Bangen harren wir der werdenden Dinge; sie voreilig meistern zu wollen, hieße der weltgeschichtlichen Entwicklung vorgreifen. Friedrich Naumann hat sehr Recht, wenn er schreibt: „Bei allen zukünftigen Entwicklungen hängt sehr viel davon b*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/79>, abgerufen am 23.07.2024.