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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

erduldet.") Dulden, stillhalten, das ist die alte harte Aufgabe. Jeder von
uns sucht sich in seiner Weise mit dem Schwersten abzufinden. Und es wäre
unerträglich zu verlieren, wenn nicht gerade durch solchen Verlust ein gnädiges
Schicksal dem Menschen auch eindringlich und werth machte, was er besitzt und
festzuhalten im Stande ist.

Aber trotzdem; ich weiß nicht, wie Sie in zarter und inniger Empfindung
Besitz und Verlieren betrachten, mir aber wird bei jedem solchen Schlage,
großem und kleinem, immer lebhafter fühlbar, wie wenig man als Einzelner
auf der Erde haftet. Schneller und schneller laufen mir die Jahre, und
es ist mir eine gewöhnliche Stimmung, mich als Reisenden zu betrachten.
Bilder. Menschen, Liebe, Haß ziehen durch die Seele, in den fröhlichsten
Stunden, in der wärmsten Stimmung überfällt mich das Gefühl, daß dies
Alles auch das -Liebste nicht mein ist. Es ist kein Schmerz dabei, auch keine
Resignation, es ist doch auch nicht innere Kälte, aber im Hintergrund eine
Ruhe u. Stille. Und groß und dauerhaft fühle ich nur, woran ich mit
Millionen Theil habe! So denke ich mir, wirds innerlich mit den Jahren
immer kühler und stiller, bis das eigene Leben sich ganz verliert, allmälig,
schmerzlos, im großen Ocean endet.

Es war eine andere Art Verlust, der mich in diesen Tagen ernst gestimmt
hat. Mathys^) sind nach Karlsruhe abgereist, und ich hatte mich seit sechs
Jahren sehr an Beide gewöhnt.

Ach Vieles stimmt ernst. Das confuse Aussehen der deutschen Verhältnisse,
vor Allem die klägliche Wirthschaft in Preußen. Sie werden Gelegenheit gehabt
haben, mit Dur!ers°) darüber zu sprechen. Und ich habe die geheime Empfin-
dung. daß Ihres Hauses Ansichten für Max nicht ohne Vortheil gewesen sind.
Der Freund ist nicht ganz so frei von dem Banne seines Kreises geblieben,
als ich ihn gewünscht hätte. Er steht auf dem Standpunkt vieler Altliberalen
in Preußen, welche durch persönlichen Groll und Nichtachtung der jetzigen
Majorität in ihrem Urtheil befangen werden. Er ist in einem starken Irrthum,
wenn er meint, daß einige Concessionen in der unglücklichen Militärfrage die
tiefe Kluft zuschulden können. Und er ist nicht Diplomat genug, um mit Würde
und innrer Haltung seine eigene Ueberzeugung zu conserviren. und die unver¬
meidlichen Concessionen an seine Stellung machen zu können. Ich wünsche ihm
sehr, daß er über die Festigkeit seiner eigenen Stellung sich nicht täusche, und
noch mehr, daß er zum Kronprinzen sich so stelle, daß er dem armen jungen
Herrn von dauerndem Nutzen sein kann.

Heut wage ich noch eine Bitte. Es sind bei mir 100 Thlr. für Otto
Ludwigs eingegangen, ich möchte sie schnell und sicher in sein Haus geschafft



°) Die Gräfin hatte ihren Bruder verloren. ^) Karl Mathy, badischer Staatsmann,
später in Leipzig wohnhaft, mit Freytag befreundet (vgl. Freytag: K. Mathy, ein Lebens¬
bild). °) Der Historiker Max Duncker, der seit einigen Jahren als Geh. Regierungsrat in
Berlin weilte. °) Der Dichter, mit Freytag befreundet.
Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

erduldet.») Dulden, stillhalten, das ist die alte harte Aufgabe. Jeder von
uns sucht sich in seiner Weise mit dem Schwersten abzufinden. Und es wäre
unerträglich zu verlieren, wenn nicht gerade durch solchen Verlust ein gnädiges
Schicksal dem Menschen auch eindringlich und werth machte, was er besitzt und
festzuhalten im Stande ist.

Aber trotzdem; ich weiß nicht, wie Sie in zarter und inniger Empfindung
Besitz und Verlieren betrachten, mir aber wird bei jedem solchen Schlage,
großem und kleinem, immer lebhafter fühlbar, wie wenig man als Einzelner
auf der Erde haftet. Schneller und schneller laufen mir die Jahre, und
es ist mir eine gewöhnliche Stimmung, mich als Reisenden zu betrachten.
Bilder. Menschen, Liebe, Haß ziehen durch die Seele, in den fröhlichsten
Stunden, in der wärmsten Stimmung überfällt mich das Gefühl, daß dies
Alles auch das -Liebste nicht mein ist. Es ist kein Schmerz dabei, auch keine
Resignation, es ist doch auch nicht innere Kälte, aber im Hintergrund eine
Ruhe u. Stille. Und groß und dauerhaft fühle ich nur, woran ich mit
Millionen Theil habe! So denke ich mir, wirds innerlich mit den Jahren
immer kühler und stiller, bis das eigene Leben sich ganz verliert, allmälig,
schmerzlos, im großen Ocean endet.

Es war eine andere Art Verlust, der mich in diesen Tagen ernst gestimmt
hat. Mathys^) sind nach Karlsruhe abgereist, und ich hatte mich seit sechs
Jahren sehr an Beide gewöhnt.

Ach Vieles stimmt ernst. Das confuse Aussehen der deutschen Verhältnisse,
vor Allem die klägliche Wirthschaft in Preußen. Sie werden Gelegenheit gehabt
haben, mit Dur!ers°) darüber zu sprechen. Und ich habe die geheime Empfin-
dung. daß Ihres Hauses Ansichten für Max nicht ohne Vortheil gewesen sind.
Der Freund ist nicht ganz so frei von dem Banne seines Kreises geblieben,
als ich ihn gewünscht hätte. Er steht auf dem Standpunkt vieler Altliberalen
in Preußen, welche durch persönlichen Groll und Nichtachtung der jetzigen
Majorität in ihrem Urtheil befangen werden. Er ist in einem starken Irrthum,
wenn er meint, daß einige Concessionen in der unglücklichen Militärfrage die
tiefe Kluft zuschulden können. Und er ist nicht Diplomat genug, um mit Würde
und innrer Haltung seine eigene Ueberzeugung zu conserviren. und die unver¬
meidlichen Concessionen an seine Stellung machen zu können. Ich wünsche ihm
sehr, daß er über die Festigkeit seiner eigenen Stellung sich nicht täusche, und
noch mehr, daß er zum Kronprinzen sich so stelle, daß er dem armen jungen
Herrn von dauerndem Nutzen sein kann.

Heut wage ich noch eine Bitte. Es sind bei mir 100 Thlr. für Otto
Ludwigs eingegangen, ich möchte sie schnell und sicher in sein Haus geschafft



°) Die Gräfin hatte ihren Bruder verloren. ^) Karl Mathy, badischer Staatsmann,
später in Leipzig wohnhaft, mit Freytag befreundet (vgl. Freytag: K. Mathy, ein Lebens¬
bild). °) Der Historiker Max Duncker, der seit einigen Jahren als Geh. Regierungsrat in
Berlin weilte. °) Der Dichter, mit Freytag befreundet.
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[0055] Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin erduldet.») Dulden, stillhalten, das ist die alte harte Aufgabe. Jeder von uns sucht sich in seiner Weise mit dem Schwersten abzufinden. Und es wäre unerträglich zu verlieren, wenn nicht gerade durch solchen Verlust ein gnädiges Schicksal dem Menschen auch eindringlich und werth machte, was er besitzt und festzuhalten im Stande ist. Aber trotzdem; ich weiß nicht, wie Sie in zarter und inniger Empfindung Besitz und Verlieren betrachten, mir aber wird bei jedem solchen Schlage, großem und kleinem, immer lebhafter fühlbar, wie wenig man als Einzelner auf der Erde haftet. Schneller und schneller laufen mir die Jahre, und es ist mir eine gewöhnliche Stimmung, mich als Reisenden zu betrachten. Bilder. Menschen, Liebe, Haß ziehen durch die Seele, in den fröhlichsten Stunden, in der wärmsten Stimmung überfällt mich das Gefühl, daß dies Alles auch das -Liebste nicht mein ist. Es ist kein Schmerz dabei, auch keine Resignation, es ist doch auch nicht innere Kälte, aber im Hintergrund eine Ruhe u. Stille. Und groß und dauerhaft fühle ich nur, woran ich mit Millionen Theil habe! So denke ich mir, wirds innerlich mit den Jahren immer kühler und stiller, bis das eigene Leben sich ganz verliert, allmälig, schmerzlos, im großen Ocean endet. Es war eine andere Art Verlust, der mich in diesen Tagen ernst gestimmt hat. Mathys^) sind nach Karlsruhe abgereist, und ich hatte mich seit sechs Jahren sehr an Beide gewöhnt. Ach Vieles stimmt ernst. Das confuse Aussehen der deutschen Verhältnisse, vor Allem die klägliche Wirthschaft in Preußen. Sie werden Gelegenheit gehabt haben, mit Dur!ers°) darüber zu sprechen. Und ich habe die geheime Empfin- dung. daß Ihres Hauses Ansichten für Max nicht ohne Vortheil gewesen sind. Der Freund ist nicht ganz so frei von dem Banne seines Kreises geblieben, als ich ihn gewünscht hätte. Er steht auf dem Standpunkt vieler Altliberalen in Preußen, welche durch persönlichen Groll und Nichtachtung der jetzigen Majorität in ihrem Urtheil befangen werden. Er ist in einem starken Irrthum, wenn er meint, daß einige Concessionen in der unglücklichen Militärfrage die tiefe Kluft zuschulden können. Und er ist nicht Diplomat genug, um mit Würde und innrer Haltung seine eigene Ueberzeugung zu conserviren. und die unver¬ meidlichen Concessionen an seine Stellung machen zu können. Ich wünsche ihm sehr, daß er über die Festigkeit seiner eigenen Stellung sich nicht täusche, und noch mehr, daß er zum Kronprinzen sich so stelle, daß er dem armen jungen Herrn von dauerndem Nutzen sein kann. Heut wage ich noch eine Bitte. Es sind bei mir 100 Thlr. für Otto Ludwigs eingegangen, ich möchte sie schnell und sicher in sein Haus geschafft °) Die Gräfin hatte ihren Bruder verloren. ^) Karl Mathy, badischer Staatsmann, später in Leipzig wohnhaft, mit Freytag befreundet (vgl. Freytag: K. Mathy, ein Lebens¬ bild). °) Der Historiker Max Duncker, der seit einigen Jahren als Geh. Regierungsrat in Berlin weilte. °) Der Dichter, mit Freytag befreundet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/55>, abgerufen am 23.07.2024.