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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Akademische Ariegsliteratur
Professor or. Paul Ssymank Line hochschulgeschichtliche Zeitstudie von

Ml s ist ein bedeutungsvolles Zeichen der gewaltigen Stärke und
des unerschöpflichen Reichtums deutschen Geistes, daß mitten im
Toben des Weltkriegs, der alle militärischen, wirtschaftlichen,
moralischen und geistigen Kräfte unseres Volkes bis zu ihren
^Höchstleistungen anspannt, das wissenschaftliche Leben an den
deutschen Hochschulen der beiden mitteleuropäischen Kaiserreiche -- abgesehen
von wenigen kleinen Fachhochschulen und der Universität Czernowitz -- nach kurzer
Stockung in seiner alten Bahnen weitergeht. Ja, Deutschland hat sogar die Kraft be¬
sessen, zur Zeit der "ruhmvollen Verödung" der Hörsäle, der kausw mfrequentia,
wie der Philologe Böckh während der Freiheitskriege sagte, seinen alten Hochschulen
in der Universität Frankfurt eine neue hinzuzufügen und im feindlichen Auslande dem
polnischen Geistesleben durch Gründung der Warschauer Hochschulen und dem
vlämischen durch Umwandlung der Universität Gent zu einem glänzenden Siege
zu verhelfen. Nicht abseits vom Krieg oder gar völlig unbeeinflußt durch ihn,
vollzieht sich die Entwicklung der Wissenschaft; im Gegenteil, die tiefe Ein¬
wirkung der großen Zeitereignisse offenbart sich bei ihr schon jetzt und wird
auch fernerhin ein Umwerten und Neuwerten alter Urteile, eine Umwälzung
und Erneuerung überlebter Methoden und Denkweisen sowie eine Erweiterung
der Forschungsgebiete zur Folge haben, wie sie sich in der Schaffung des
Instituts für ostdeutsche Wirtschaft zu Königsberg und der Leipziger Forschungs¬
institute, im Ausbau des Kieler Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft,
sowie der Berliner Einrichtungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft noch während
des Weltkrieges gezeigt hat.

Die Anpassung an die herrschende Zeitlage und die ihr Rechnung tragende
Neuordnung des Hochschullebens ging nur allmählich, sowie unter mancherlei
Opfern und Zugeständnissen vor sich; weilten doch zahlreiche Hochschullehrer
bald nach Kriegsbeginn im Dienste des Vaterlandes fern von der ^Jena mater
und fehlte doch überall der größte Teil der akademischen Jugend, welche außer
etwa vierhundert studentischen Helferinnen rund sechzigtausend Krieger gestellt
hat, davon gegen vierzigtausend Universitätsstudenten. Daß an vielen Stellen,
zumal an den Universitäten, die Entwicklung trotzdem so glatt vonstatten ging,
war zum guten Teil ein Verdienst der Studentinnen, die gleich ihren Geschlechts¬
genossinnen in anderen Berufen voll vaterländischer Begeisterung und Hin-


Grenzboten III 1916 26


Akademische Ariegsliteratur
Professor or. Paul Ssymank Line hochschulgeschichtliche Zeitstudie von

Ml s ist ein bedeutungsvolles Zeichen der gewaltigen Stärke und
des unerschöpflichen Reichtums deutschen Geistes, daß mitten im
Toben des Weltkriegs, der alle militärischen, wirtschaftlichen,
moralischen und geistigen Kräfte unseres Volkes bis zu ihren
^Höchstleistungen anspannt, das wissenschaftliche Leben an den
deutschen Hochschulen der beiden mitteleuropäischen Kaiserreiche — abgesehen
von wenigen kleinen Fachhochschulen und der Universität Czernowitz — nach kurzer
Stockung in seiner alten Bahnen weitergeht. Ja, Deutschland hat sogar die Kraft be¬
sessen, zur Zeit der „ruhmvollen Verödung" der Hörsäle, der kausw mfrequentia,
wie der Philologe Böckh während der Freiheitskriege sagte, seinen alten Hochschulen
in der Universität Frankfurt eine neue hinzuzufügen und im feindlichen Auslande dem
polnischen Geistesleben durch Gründung der Warschauer Hochschulen und dem
vlämischen durch Umwandlung der Universität Gent zu einem glänzenden Siege
zu verhelfen. Nicht abseits vom Krieg oder gar völlig unbeeinflußt durch ihn,
vollzieht sich die Entwicklung der Wissenschaft; im Gegenteil, die tiefe Ein¬
wirkung der großen Zeitereignisse offenbart sich bei ihr schon jetzt und wird
auch fernerhin ein Umwerten und Neuwerten alter Urteile, eine Umwälzung
und Erneuerung überlebter Methoden und Denkweisen sowie eine Erweiterung
der Forschungsgebiete zur Folge haben, wie sie sich in der Schaffung des
Instituts für ostdeutsche Wirtschaft zu Königsberg und der Leipziger Forschungs¬
institute, im Ausbau des Kieler Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft,
sowie der Berliner Einrichtungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft noch während
des Weltkrieges gezeigt hat.

Die Anpassung an die herrschende Zeitlage und die ihr Rechnung tragende
Neuordnung des Hochschullebens ging nur allmählich, sowie unter mancherlei
Opfern und Zugeständnissen vor sich; weilten doch zahlreiche Hochschullehrer
bald nach Kriegsbeginn im Dienste des Vaterlandes fern von der ^Jena mater
und fehlte doch überall der größte Teil der akademischen Jugend, welche außer
etwa vierhundert studentischen Helferinnen rund sechzigtausend Krieger gestellt
hat, davon gegen vierzigtausend Universitätsstudenten. Daß an vielen Stellen,
zumal an den Universitäten, die Entwicklung trotzdem so glatt vonstatten ging,
war zum guten Teil ein Verdienst der Studentinnen, die gleich ihren Geschlechts¬
genossinnen in anderen Berufen voll vaterländischer Begeisterung und Hin-


Grenzboten III 1916 26
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[0413] [Abbildung] Akademische Ariegsliteratur Professor or. Paul Ssymank Line hochschulgeschichtliche Zeitstudie von Ml s ist ein bedeutungsvolles Zeichen der gewaltigen Stärke und des unerschöpflichen Reichtums deutschen Geistes, daß mitten im Toben des Weltkriegs, der alle militärischen, wirtschaftlichen, moralischen und geistigen Kräfte unseres Volkes bis zu ihren ^Höchstleistungen anspannt, das wissenschaftliche Leben an den deutschen Hochschulen der beiden mitteleuropäischen Kaiserreiche — abgesehen von wenigen kleinen Fachhochschulen und der Universität Czernowitz — nach kurzer Stockung in seiner alten Bahnen weitergeht. Ja, Deutschland hat sogar die Kraft be¬ sessen, zur Zeit der „ruhmvollen Verödung" der Hörsäle, der kausw mfrequentia, wie der Philologe Böckh während der Freiheitskriege sagte, seinen alten Hochschulen in der Universität Frankfurt eine neue hinzuzufügen und im feindlichen Auslande dem polnischen Geistesleben durch Gründung der Warschauer Hochschulen und dem vlämischen durch Umwandlung der Universität Gent zu einem glänzenden Siege zu verhelfen. Nicht abseits vom Krieg oder gar völlig unbeeinflußt durch ihn, vollzieht sich die Entwicklung der Wissenschaft; im Gegenteil, die tiefe Ein¬ wirkung der großen Zeitereignisse offenbart sich bei ihr schon jetzt und wird auch fernerhin ein Umwerten und Neuwerten alter Urteile, eine Umwälzung und Erneuerung überlebter Methoden und Denkweisen sowie eine Erweiterung der Forschungsgebiete zur Folge haben, wie sie sich in der Schaffung des Instituts für ostdeutsche Wirtschaft zu Königsberg und der Leipziger Forschungs¬ institute, im Ausbau des Kieler Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft, sowie der Berliner Einrichtungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft noch während des Weltkrieges gezeigt hat. Die Anpassung an die herrschende Zeitlage und die ihr Rechnung tragende Neuordnung des Hochschullebens ging nur allmählich, sowie unter mancherlei Opfern und Zugeständnissen vor sich; weilten doch zahlreiche Hochschullehrer bald nach Kriegsbeginn im Dienste des Vaterlandes fern von der ^Jena mater und fehlte doch überall der größte Teil der akademischen Jugend, welche außer etwa vierhundert studentischen Helferinnen rund sechzigtausend Krieger gestellt hat, davon gegen vierzigtausend Universitätsstudenten. Daß an vielen Stellen, zumal an den Universitäten, die Entwicklung trotzdem so glatt vonstatten ging, war zum guten Teil ein Verdienst der Studentinnen, die gleich ihren Geschlechts¬ genossinnen in anderen Berufen voll vaterländischer Begeisterung und Hin- Grenzboten III 1916 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/413>, abgerufen am 23.07.2024.