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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zur ruthenischen Frage

und der damals in der Bukowina geführten Militärverwaltung hatte das
Land viel zu verdanken.*)

Am Schlüsse wollen wir einige Bemerkungen über die Namengebung der
Ruthenen folgen lassen.

Zur Bezeichnung dieses etwa 33 Millionen zählenden Volkes bediente man
sich bis vor wenigen Jahren in der deutschen Sprache fast ausschließlich des
Namens Ruthenen. Daneben hörte man auch von Kleinrussen, Rotrussen und
Rusfinen sprechen. In neuerer Zeit erst ist von den Ruthenen selbst noch die
Bezeichnung Ukrainer zur Geltung gebracht worden; es geschah dies unter dem
Einfluß der von der russischen Ukraine ausgegangenen und genährten jung-
ruthenischen Bewegung.

Welche von diesen Bezeichnungen verdient im Deutschen deu Vorzug?

"Kleinrusse" ist unbedingt abzuweisen. Er ist irreführend, weil er die
Ruthenen mit den Russen identifiziert und sie gewissermaßen als ein Anhängsel
der Moskowiter ("Großrussen") erscheinen läßt. Dieser Name wird
besonders von den Russen verwendet, weil er ihren politischen Ansprüchen ent¬
spricht. Ähnliches gilt von dem Ausdruck "Rotrusse." Der Name "Russine"
ist aus der ruthenischen Volksbezeichnung der Ruthenen (rü3^n) entstanden.
Er ist im deutschen Sprachgebrauch wenig verbreitet und wird von den Ruthenen
selbst nicht gern gehört. Seine weitere Pflege im Deutschen ist daher unstatthaft.

Aber auch die Bezeichnung Ukrainer erscheint im Deutschen bedenklich. Schon
Cleinow hat in seinem Artikel festgestellt, wie unsicher der Begriff der Ukraina
ist. Historisch war die Ukraina nur der südöstliche Teil des Nuthenengebiets
am Dniepr. Nie ist es früher üblich gewesen, das ganze von Ruthenen bewohnte
Gebiet als Ukraine zu bezeichnen. Es hätte dies auch keinen Sinn gehabt,
denn Ukraine heißt Mark, Grenzland. Es widerspricht daher jeder historischen
Überlieferung etwa auch Ostgalizien, die Bukowina und Nordostungarn (wo
ebenfalls Ruthenen wohnen) als Ukraina in Anspruch zu nehmen. Aber selbst
wenn man zugibt, daß das neue angestrebte ruthenische Reich nach seinem etwaigen
Hauptland (der Ukraina im Südosten) als "Ukraina" bezeichnet werden soll,
wie Österreich nach seinem alten Hauptland (Ostmark, Osterrichi), so muß man
sofort auch erinnern, daß "Österreicher" keine Bezeichnung für eine Nation ist.
Man muß ferner darauf hinweisen, wie irreführend die Bezeichnung "Ungar"
und "Böhme" ist. Der Ungar kann Magyare, Deutscher, Nuthene, Rumäne
usw. sein, der Böhme ist Tscheche oder Deutscher. Ebenso wird man
"Ukrainer" alle verschiedensprachigen Bewohner der Ukraina nennen, also auch
Russen. Türken, Polen, Deutsche, nicht nur Ruthenen. Die Ruthenen treten
für die Bezeichnung Ukrainer ein, trotzdem ihnen die erwähnten Schwierigkeiten
bekannt sein durften, weil sie die volkstümlichen Bezeihnungen für ihren Namen
(Rusun, - Nusnak, Ruski) wegen seiner Verwandtschaft mit den Russennamen
(Rossija, Russkije) vermeiden wollen.



*) Vgl. darüber meine "Geschichte der Bukowina" und "Geschichte von Czernowitz".
Zur ruthenischen Frage

und der damals in der Bukowina geführten Militärverwaltung hatte das
Land viel zu verdanken.*)

Am Schlüsse wollen wir einige Bemerkungen über die Namengebung der
Ruthenen folgen lassen.

Zur Bezeichnung dieses etwa 33 Millionen zählenden Volkes bediente man
sich bis vor wenigen Jahren in der deutschen Sprache fast ausschließlich des
Namens Ruthenen. Daneben hörte man auch von Kleinrussen, Rotrussen und
Rusfinen sprechen. In neuerer Zeit erst ist von den Ruthenen selbst noch die
Bezeichnung Ukrainer zur Geltung gebracht worden; es geschah dies unter dem
Einfluß der von der russischen Ukraine ausgegangenen und genährten jung-
ruthenischen Bewegung.

Welche von diesen Bezeichnungen verdient im Deutschen deu Vorzug?

„Kleinrusse" ist unbedingt abzuweisen. Er ist irreführend, weil er die
Ruthenen mit den Russen identifiziert und sie gewissermaßen als ein Anhängsel
der Moskowiter („Großrussen") erscheinen läßt. Dieser Name wird
besonders von den Russen verwendet, weil er ihren politischen Ansprüchen ent¬
spricht. Ähnliches gilt von dem Ausdruck „Rotrusse." Der Name „Russine"
ist aus der ruthenischen Volksbezeichnung der Ruthenen (rü3^n) entstanden.
Er ist im deutschen Sprachgebrauch wenig verbreitet und wird von den Ruthenen
selbst nicht gern gehört. Seine weitere Pflege im Deutschen ist daher unstatthaft.

Aber auch die Bezeichnung Ukrainer erscheint im Deutschen bedenklich. Schon
Cleinow hat in seinem Artikel festgestellt, wie unsicher der Begriff der Ukraina
ist. Historisch war die Ukraina nur der südöstliche Teil des Nuthenengebiets
am Dniepr. Nie ist es früher üblich gewesen, das ganze von Ruthenen bewohnte
Gebiet als Ukraine zu bezeichnen. Es hätte dies auch keinen Sinn gehabt,
denn Ukraine heißt Mark, Grenzland. Es widerspricht daher jeder historischen
Überlieferung etwa auch Ostgalizien, die Bukowina und Nordostungarn (wo
ebenfalls Ruthenen wohnen) als Ukraina in Anspruch zu nehmen. Aber selbst
wenn man zugibt, daß das neue angestrebte ruthenische Reich nach seinem etwaigen
Hauptland (der Ukraina im Südosten) als „Ukraina" bezeichnet werden soll,
wie Österreich nach seinem alten Hauptland (Ostmark, Osterrichi), so muß man
sofort auch erinnern, daß „Österreicher" keine Bezeichnung für eine Nation ist.
Man muß ferner darauf hinweisen, wie irreführend die Bezeichnung „Ungar"
und „Böhme" ist. Der Ungar kann Magyare, Deutscher, Nuthene, Rumäne
usw. sein, der Böhme ist Tscheche oder Deutscher. Ebenso wird man
„Ukrainer" alle verschiedensprachigen Bewohner der Ukraina nennen, also auch
Russen. Türken, Polen, Deutsche, nicht nur Ruthenen. Die Ruthenen treten
für die Bezeichnung Ukrainer ein, trotzdem ihnen die erwähnten Schwierigkeiten
bekannt sein durften, weil sie die volkstümlichen Bezeihnungen für ihren Namen
(Rusun, - Nusnak, Ruski) wegen seiner Verwandtschaft mit den Russennamen
(Rossija, Russkije) vermeiden wollen.



*) Vgl. darüber meine „Geschichte der Bukowina" und „Geschichte von Czernowitz".
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[0411] Zur ruthenischen Frage und der damals in der Bukowina geführten Militärverwaltung hatte das Land viel zu verdanken.*) Am Schlüsse wollen wir einige Bemerkungen über die Namengebung der Ruthenen folgen lassen. Zur Bezeichnung dieses etwa 33 Millionen zählenden Volkes bediente man sich bis vor wenigen Jahren in der deutschen Sprache fast ausschließlich des Namens Ruthenen. Daneben hörte man auch von Kleinrussen, Rotrussen und Rusfinen sprechen. In neuerer Zeit erst ist von den Ruthenen selbst noch die Bezeichnung Ukrainer zur Geltung gebracht worden; es geschah dies unter dem Einfluß der von der russischen Ukraine ausgegangenen und genährten jung- ruthenischen Bewegung. Welche von diesen Bezeichnungen verdient im Deutschen deu Vorzug? „Kleinrusse" ist unbedingt abzuweisen. Er ist irreführend, weil er die Ruthenen mit den Russen identifiziert und sie gewissermaßen als ein Anhängsel der Moskowiter („Großrussen") erscheinen läßt. Dieser Name wird besonders von den Russen verwendet, weil er ihren politischen Ansprüchen ent¬ spricht. Ähnliches gilt von dem Ausdruck „Rotrusse." Der Name „Russine" ist aus der ruthenischen Volksbezeichnung der Ruthenen (rü3^n) entstanden. Er ist im deutschen Sprachgebrauch wenig verbreitet und wird von den Ruthenen selbst nicht gern gehört. Seine weitere Pflege im Deutschen ist daher unstatthaft. Aber auch die Bezeichnung Ukrainer erscheint im Deutschen bedenklich. Schon Cleinow hat in seinem Artikel festgestellt, wie unsicher der Begriff der Ukraina ist. Historisch war die Ukraina nur der südöstliche Teil des Nuthenengebiets am Dniepr. Nie ist es früher üblich gewesen, das ganze von Ruthenen bewohnte Gebiet als Ukraine zu bezeichnen. Es hätte dies auch keinen Sinn gehabt, denn Ukraine heißt Mark, Grenzland. Es widerspricht daher jeder historischen Überlieferung etwa auch Ostgalizien, die Bukowina und Nordostungarn (wo ebenfalls Ruthenen wohnen) als Ukraina in Anspruch zu nehmen. Aber selbst wenn man zugibt, daß das neue angestrebte ruthenische Reich nach seinem etwaigen Hauptland (der Ukraina im Südosten) als „Ukraina" bezeichnet werden soll, wie Österreich nach seinem alten Hauptland (Ostmark, Osterrichi), so muß man sofort auch erinnern, daß „Österreicher" keine Bezeichnung für eine Nation ist. Man muß ferner darauf hinweisen, wie irreführend die Bezeichnung „Ungar" und „Böhme" ist. Der Ungar kann Magyare, Deutscher, Nuthene, Rumäne usw. sein, der Böhme ist Tscheche oder Deutscher. Ebenso wird man „Ukrainer" alle verschiedensprachigen Bewohner der Ukraina nennen, also auch Russen. Türken, Polen, Deutsche, nicht nur Ruthenen. Die Ruthenen treten für die Bezeichnung Ukrainer ein, trotzdem ihnen die erwähnten Schwierigkeiten bekannt sein durften, weil sie die volkstümlichen Bezeihnungen für ihren Namen (Rusun, - Nusnak, Ruski) wegen seiner Verwandtschaft mit den Russennamen (Rossija, Russkije) vermeiden wollen. *) Vgl. darüber meine „Geschichte der Bukowina" und „Geschichte von Czernowitz".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/411>, abgerufen am 23.07.2024.