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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Alte und neue deutsche Politik

ist, eine deutsche Weltpolitik mit Erfolg zu treiben. Der Michelkultus darf
nach dem Kriege nicht wiederkehren. Politik ist eine hohe Kunst und
erfordert Menschen, die mehr sind als deutsche Michel. Ein ganzes
Volk kann nur allmählich zu wirklicher politischer Reife gelangen. Man darf
aber von den Deutschen, die auf glänzende Kulturleistun gen zurückblicken, die
seit dem alten Hellas und der italienischen Renaissance ihres gleichen suchen,
die jetzt ringsum von Feinden umlagert, durch ihre wissenschaftlichen und
technischen Fähigkeiten und durch ihre sittlichen Qualitäten sich behaupten, ohne
weiteres erwarten, daß sie lernen werden, wie vor dem Kriege schon nun
erst recht einer größeren politischen Reife zuzustreben. Das Vertrauen, das
das Volk in Waffen bewährt hat, wird schließlich auch das Volk in den
politischen Versammlungen nicht ganz zu Schanden werden lassen. Mag man
also der Demokratie ruhig geben, was man ihr doch nicht auf die Dauer
verweigern kann. An das rote Gespenst, das Frymann an die Wand malte,
glauben wir nicht mehr, auch wenn unser eigenes politisches Bekenntnis nicht
demokratisch ist. In der auswärtigen Politik aber würdige man mehr als
bisher die stillen Wege, die langsamen Erfolge und die verstandskühle Erwägung,
die Haß und Liebe, Begeisterung und Entrüstung gleichermaßen zurückhält.
Wir wollen uns nicht vornehmen, am deutschen Wesen die Welt genesen zu
lassen. Weltverbesserung ist nicht unsere Aufgabe, das bringt die Vorsehung
allein zuwege. Immer wieder, und gerade in diesem Kriege, werden bei uns
wohlgemeinte Bücher und Aufsätze geschrieben, die einen sittlichen Fortschritt
der Weltpolitik und eine ganz neue Kulturperiode der Menschheit durch deutschen
Sieg verlangen. Vor solchen Träumen von einer deutschen Kulturhegemonie
warnt sehr mit Recht auch Fürst Bülow in seinem Buche. Sagen wir lieber:
Wir wollen unseren Anteil an der Weltherrschaft und zwar in ehrlicher Arbeits¬
teilung mit den Völkern und Staaten, die uns in unserem Existenzkampf als
Bundesgenossen helfen. Damit sind wir ganz redlich und Freund und Feind
gut verständlich. Wir wollen denn doch nichts Irdisches anbeten: weder die
germanische Rasse, noch die deutsche Kultur, noch den preußischen Staats¬
gedanken. Aller wirklichen Vorzüge, die wir in diesen Gütern haben, wollen
wir von Herzen froh sein, im übrigen aber als gute Christen glauben, daß die
Welt nicht durch unsere Vernunft noch Kraft selig wird, wollen unsere Vergangen¬
heit ehren und unsere Zukunft mit kräftiger Hand so gestalten, daß wir und
unsre Kinder des Lebens wieder froh werden!




Alte und neue deutsche Politik

ist, eine deutsche Weltpolitik mit Erfolg zu treiben. Der Michelkultus darf
nach dem Kriege nicht wiederkehren. Politik ist eine hohe Kunst und
erfordert Menschen, die mehr sind als deutsche Michel. Ein ganzes
Volk kann nur allmählich zu wirklicher politischer Reife gelangen. Man darf
aber von den Deutschen, die auf glänzende Kulturleistun gen zurückblicken, die
seit dem alten Hellas und der italienischen Renaissance ihres gleichen suchen,
die jetzt ringsum von Feinden umlagert, durch ihre wissenschaftlichen und
technischen Fähigkeiten und durch ihre sittlichen Qualitäten sich behaupten, ohne
weiteres erwarten, daß sie lernen werden, wie vor dem Kriege schon nun
erst recht einer größeren politischen Reife zuzustreben. Das Vertrauen, das
das Volk in Waffen bewährt hat, wird schließlich auch das Volk in den
politischen Versammlungen nicht ganz zu Schanden werden lassen. Mag man
also der Demokratie ruhig geben, was man ihr doch nicht auf die Dauer
verweigern kann. An das rote Gespenst, das Frymann an die Wand malte,
glauben wir nicht mehr, auch wenn unser eigenes politisches Bekenntnis nicht
demokratisch ist. In der auswärtigen Politik aber würdige man mehr als
bisher die stillen Wege, die langsamen Erfolge und die verstandskühle Erwägung,
die Haß und Liebe, Begeisterung und Entrüstung gleichermaßen zurückhält.
Wir wollen uns nicht vornehmen, am deutschen Wesen die Welt genesen zu
lassen. Weltverbesserung ist nicht unsere Aufgabe, das bringt die Vorsehung
allein zuwege. Immer wieder, und gerade in diesem Kriege, werden bei uns
wohlgemeinte Bücher und Aufsätze geschrieben, die einen sittlichen Fortschritt
der Weltpolitik und eine ganz neue Kulturperiode der Menschheit durch deutschen
Sieg verlangen. Vor solchen Träumen von einer deutschen Kulturhegemonie
warnt sehr mit Recht auch Fürst Bülow in seinem Buche. Sagen wir lieber:
Wir wollen unseren Anteil an der Weltherrschaft und zwar in ehrlicher Arbeits¬
teilung mit den Völkern und Staaten, die uns in unserem Existenzkampf als
Bundesgenossen helfen. Damit sind wir ganz redlich und Freund und Feind
gut verständlich. Wir wollen denn doch nichts Irdisches anbeten: weder die
germanische Rasse, noch die deutsche Kultur, noch den preußischen Staats¬
gedanken. Aller wirklichen Vorzüge, die wir in diesen Gütern haben, wollen
wir von Herzen froh sein, im übrigen aber als gute Christen glauben, daß die
Welt nicht durch unsere Vernunft noch Kraft selig wird, wollen unsere Vergangen¬
heit ehren und unsere Zukunft mit kräftiger Hand so gestalten, daß wir und
unsre Kinder des Lebens wieder froh werden!




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[0404] Alte und neue deutsche Politik ist, eine deutsche Weltpolitik mit Erfolg zu treiben. Der Michelkultus darf nach dem Kriege nicht wiederkehren. Politik ist eine hohe Kunst und erfordert Menschen, die mehr sind als deutsche Michel. Ein ganzes Volk kann nur allmählich zu wirklicher politischer Reife gelangen. Man darf aber von den Deutschen, die auf glänzende Kulturleistun gen zurückblicken, die seit dem alten Hellas und der italienischen Renaissance ihres gleichen suchen, die jetzt ringsum von Feinden umlagert, durch ihre wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten und durch ihre sittlichen Qualitäten sich behaupten, ohne weiteres erwarten, daß sie lernen werden, wie vor dem Kriege schon nun erst recht einer größeren politischen Reife zuzustreben. Das Vertrauen, das das Volk in Waffen bewährt hat, wird schließlich auch das Volk in den politischen Versammlungen nicht ganz zu Schanden werden lassen. Mag man also der Demokratie ruhig geben, was man ihr doch nicht auf die Dauer verweigern kann. An das rote Gespenst, das Frymann an die Wand malte, glauben wir nicht mehr, auch wenn unser eigenes politisches Bekenntnis nicht demokratisch ist. In der auswärtigen Politik aber würdige man mehr als bisher die stillen Wege, die langsamen Erfolge und die verstandskühle Erwägung, die Haß und Liebe, Begeisterung und Entrüstung gleichermaßen zurückhält. Wir wollen uns nicht vornehmen, am deutschen Wesen die Welt genesen zu lassen. Weltverbesserung ist nicht unsere Aufgabe, das bringt die Vorsehung allein zuwege. Immer wieder, und gerade in diesem Kriege, werden bei uns wohlgemeinte Bücher und Aufsätze geschrieben, die einen sittlichen Fortschritt der Weltpolitik und eine ganz neue Kulturperiode der Menschheit durch deutschen Sieg verlangen. Vor solchen Träumen von einer deutschen Kulturhegemonie warnt sehr mit Recht auch Fürst Bülow in seinem Buche. Sagen wir lieber: Wir wollen unseren Anteil an der Weltherrschaft und zwar in ehrlicher Arbeits¬ teilung mit den Völkern und Staaten, die uns in unserem Existenzkampf als Bundesgenossen helfen. Damit sind wir ganz redlich und Freund und Feind gut verständlich. Wir wollen denn doch nichts Irdisches anbeten: weder die germanische Rasse, noch die deutsche Kultur, noch den preußischen Staats¬ gedanken. Aller wirklichen Vorzüge, die wir in diesen Gütern haben, wollen wir von Herzen froh sein, im übrigen aber als gute Christen glauben, daß die Welt nicht durch unsere Vernunft noch Kraft selig wird, wollen unsere Vergangen¬ heit ehren und unsere Zukunft mit kräftiger Hand so gestalten, daß wir und unsre Kinder des Lebens wieder froh werden!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/404>, abgerufen am 22.07.2024.