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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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U?o liegt unser Rolonialland?

sehen, wie die gescheiten Kulturvölker um einen Anteil an der Lösung der Auf¬
gabe sich balgen und raufen, in der irrigen Meinung, daß dabei ein Profit zu
machen sei, während der Staat, der subtropische oder Tropengebiete kolonisiert,
seitdem die räuberische Monopolwirtschaft aufgehört hat, nichts davon hat als
Arbeit, Kosten und Zersplitterung seiner Wehrkraft. Den vollen Gewinn der
Kolonisation solcher Gebiete haben allein die Nationen, die sich an ihr gar
nicht beteiligen; dadurch, daß wir selbst Kolonien erworben haben, sind uns
Kaffee, Tee, Kakao, Baumwolle, Kautschuk nicht um einen Pfennig verbilligt
worden. Der einzige Nutzen dieser Kolonien besteht darin, daß unsere jungen
Leute in der Welt herumkommen, und daß wir nicht in kleinbürgerlicher Enge
verkümmern, sondern den Blick in die Weite zu richten gewöhnt werden. Eng"
land zieht materiellen Gewinn nur aus den beiden Ländern, die von alten
Kulturvölkern bewohnt werden; die darum besteuert werden können und englische
Waren kaufen; Indien und Ägypten sind aber leider nur in je einem Exem¬
plare vorhanden. (Dasselbe gilt von niederländisch - Indien), Und wenn
Frankreich im gegenwärtigen Kriege einige hunderttausend Schwarze als Kanonen¬
futter verbrauchen kann, so verdankt es diesen zweifelhaften Vorteil der geogra¬
phischen Lage seines afrikanischen Kolonialreichs, die, wie ich oft ausgeführt
habe, und wie auch Professor Becker hervorhebt, dieses Kolonialreich als das
natürlichste von der Welt erscheinen läßt, während es eine große Dummheit
gewesen wäre, wenn die Deutschen Marokko hätten erobern wollen. Was Eng¬
land vor allem gebraucht hat, das waren Ansiedlerkolonien. Man stelle sich
vor, die Millionen Bewohner der Dominien und die noch zahlreicheren Millio¬
nen Uankees wären auf ihrer kleinen Heimatinsel zusammengepfercht geblieben!
Das ganze Land würde mit scheußlichen Sinns bedeckt sein. Freilich hätte
der größere Teil dieser Bevölkerungen gar nicht geboren werden können. Über¬
seeische Länder, die sich zu Ansiedlerkolonien eignen, sind aber nicht mehr vor¬
handen, und das Streben nach solchen ist zudem politisch bedenklich für einen
Staat, den seine geographische Lage, seine geschichtliche Entwicklung und seine
Volksart zum Kontinentalstaat prädestiniert haben.

Unentbehrliche Bodenerzeugnisse aber sind nicht Kaffee und Kakao, Baum¬
wolle und Kautschuk, sondern Brot, Fleisch und Milch. Deren Erwähnung
lenkt unsere Blicke nach Osteuropa und Westasien, denn bei deren zukünftiger
Gestaltung handelt es sich nicht bloß um unser Brot, sondern um das Brot
Europas. Die Vereinigten Staaten werden am längsten Weizenlieferanten
Europas gewesen sein. Zwar könnte ihr ungeheures Land, neunmal so groß
wie das Deutsche Reich, bequem 500 Millionen Menschen ernähren, aber der
Uankee treibt Raubbau, und der Fleischtrust ruiniert zudem die Viehzüchter,
so daß sich die Farmer scharenweise nach Kanada flüchten. Doch auch dieses
wird der fürchterliche Oktopus nicht verschonen; setzt er doch seine Saugwarzen
schon auf Argentinien, und Australien wird ihm nicht entgehen. Setzt ihm
nicht eine höhere Gewalt Schranken, so wird er nicht ruhen, bis er alles Brot


U?o liegt unser Rolonialland?

sehen, wie die gescheiten Kulturvölker um einen Anteil an der Lösung der Auf¬
gabe sich balgen und raufen, in der irrigen Meinung, daß dabei ein Profit zu
machen sei, während der Staat, der subtropische oder Tropengebiete kolonisiert,
seitdem die räuberische Monopolwirtschaft aufgehört hat, nichts davon hat als
Arbeit, Kosten und Zersplitterung seiner Wehrkraft. Den vollen Gewinn der
Kolonisation solcher Gebiete haben allein die Nationen, die sich an ihr gar
nicht beteiligen; dadurch, daß wir selbst Kolonien erworben haben, sind uns
Kaffee, Tee, Kakao, Baumwolle, Kautschuk nicht um einen Pfennig verbilligt
worden. Der einzige Nutzen dieser Kolonien besteht darin, daß unsere jungen
Leute in der Welt herumkommen, und daß wir nicht in kleinbürgerlicher Enge
verkümmern, sondern den Blick in die Weite zu richten gewöhnt werden. Eng»
land zieht materiellen Gewinn nur aus den beiden Ländern, die von alten
Kulturvölkern bewohnt werden; die darum besteuert werden können und englische
Waren kaufen; Indien und Ägypten sind aber leider nur in je einem Exem¬
plare vorhanden. (Dasselbe gilt von niederländisch - Indien), Und wenn
Frankreich im gegenwärtigen Kriege einige hunderttausend Schwarze als Kanonen¬
futter verbrauchen kann, so verdankt es diesen zweifelhaften Vorteil der geogra¬
phischen Lage seines afrikanischen Kolonialreichs, die, wie ich oft ausgeführt
habe, und wie auch Professor Becker hervorhebt, dieses Kolonialreich als das
natürlichste von der Welt erscheinen läßt, während es eine große Dummheit
gewesen wäre, wenn die Deutschen Marokko hätten erobern wollen. Was Eng¬
land vor allem gebraucht hat, das waren Ansiedlerkolonien. Man stelle sich
vor, die Millionen Bewohner der Dominien und die noch zahlreicheren Millio¬
nen Uankees wären auf ihrer kleinen Heimatinsel zusammengepfercht geblieben!
Das ganze Land würde mit scheußlichen Sinns bedeckt sein. Freilich hätte
der größere Teil dieser Bevölkerungen gar nicht geboren werden können. Über¬
seeische Länder, die sich zu Ansiedlerkolonien eignen, sind aber nicht mehr vor¬
handen, und das Streben nach solchen ist zudem politisch bedenklich für einen
Staat, den seine geographische Lage, seine geschichtliche Entwicklung und seine
Volksart zum Kontinentalstaat prädestiniert haben.

Unentbehrliche Bodenerzeugnisse aber sind nicht Kaffee und Kakao, Baum¬
wolle und Kautschuk, sondern Brot, Fleisch und Milch. Deren Erwähnung
lenkt unsere Blicke nach Osteuropa und Westasien, denn bei deren zukünftiger
Gestaltung handelt es sich nicht bloß um unser Brot, sondern um das Brot
Europas. Die Vereinigten Staaten werden am längsten Weizenlieferanten
Europas gewesen sein. Zwar könnte ihr ungeheures Land, neunmal so groß
wie das Deutsche Reich, bequem 500 Millionen Menschen ernähren, aber der
Uankee treibt Raubbau, und der Fleischtrust ruiniert zudem die Viehzüchter,
so daß sich die Farmer scharenweise nach Kanada flüchten. Doch auch dieses
wird der fürchterliche Oktopus nicht verschonen; setzt er doch seine Saugwarzen
schon auf Argentinien, und Australien wird ihm nicht entgehen. Setzt ihm
nicht eine höhere Gewalt Schranken, so wird er nicht ruhen, bis er alles Brot


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/388>, abgerufen am 23.07.2024.