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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Tagung für Ariegsbcschädigtenfnrsorge in Lötn a. Rh.

Im vierten Vortrag erläuterte Rechtsrat Dr. Fischer-Nürnberg den
Arbeitsnachweis für Kriegsbeschädigte. Der Kriegsbeschädigte soll nicht
auf Mitleid angewiesen sein, sondern auch unter rein wirtschaftlichen Bedingungen
sein Brot verdienen können. Hier fällt dem Arbeitsnachweis die schwierigste
Aufgabe der Fürsorge zu. Allgemeine Grundsätze für die Organisation der
Arbeitsvermittlung zu geben, ist kaum möglich. Jede Organisation ist gut, die
sich bewährt hat. Wo ein öffentliches Arbeitsamt besteht, muß es mit der
Fürsorge verbunden werden. Die private Stellenvermittlung ist wegen der
Spekulationsgefahr auszuschließen.

In der Aussprache verlangte der Reichstagsabgeordnete Giebel, daß bei
staatlichen Aufträgen eine Vertragsklausel die Einstellung einer gewissen Anzahl
von Kriegsbeschädigten durchsetzt.

Marx-Berlin betont, daß die Kriegsbeschädigtenfürsorge für die Dauer
nicht mit einem weichen Herzen zu machen ist. Es ist vielmehr gesetzlich zu
verlangen, daß sämtliche Kriegsbeschädigte wieder in ihren alten Stellungen
beschäftigt werden, wie man es in Ungarn gemacht hat.

In der Schlußsitzung sprach an erster Stelle Freifrau von Bisstng-Berlin
über die Mitarbeit der Frau in der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Die
Vaterländischen Frauenvereine, Verein für Jugendschutz und Jugendwohlsahrt u. a.
haben sich zusammengeschlossen zu einem Zentralkomitee, aus der Ansicht, daß
die Kriegsbeschädigtenfürsorge in vielen Füllen die Beeinflussung der ganzen
Familie verlangt und zu einen: guten Teil Frauenarbeit ist. Die Fürsorge¬
rinnen bedürfen für ihren Beruf einer eingehenden Schulung und sollen in
größeren Städten mit gut arbeitenden Fürsorgestellen den Gesamtumfang der
Fürsorge kennen lernen. Die Fürsorge der Frau soll nach Ansicht der Referentin
schon im Lazarett beginnen und bei der Rückkehr des Kriegsbeschädigten in seine
Familie zu einem guten Teil schon getan sein. Schwierig ist besonders die
Lage der kriegsgetrauten Ehefrauen. Viele von ihnen sind Ehefrauen geworden,
als sie kaum das Leben und den angetrauten Mann kannten. Hier wird die
Fürsorge doppelt notwendig und sorgsam sein müssen.

An letzter Stelle sprach Pastor Kießling-Hamburg über die Fürsorge
für die Familien der Kriegsbeschädigten. Die Rente muß den wirtschaft¬
lichen Verhältnissen der Kriegsbeschädigten Rechnung tragen. Dennoch ist die
Familienfürsorge nötig. Was den Kriegshinterbliebenen recht ist. sollte den
Kriegsbeschädigten billig sein, nämlich die Möglichkeit, ihre Kinder im Stande
des Vaters zu erziehen. Vor einer unüberlegten Verpflanzung in ganz neue
Verhältnisse soll man sich hüten, besonders vor der ungesunden Verpflanzung
Kriegsbeschädigter auf das Land. Für die wirtschaftliche Sicherheit der Familie
des Kriegsbeschädigten darf und muß die Erwerbskraft der Frau mithelfen.
Hier kann vielleicht ein gewisser Austausch der erwerbs- und der Hauswirt-
schaftlichen Arbeit erwünscht und nützlich sein. Dauernde Erfolge werden nur
möglich sein durch die Zusammenarbeit von ärztlicher und Arbeitsfürsorge.


Tagung für Ariegsbcschädigtenfnrsorge in Lötn a. Rh.

Im vierten Vortrag erläuterte Rechtsrat Dr. Fischer-Nürnberg den
Arbeitsnachweis für Kriegsbeschädigte. Der Kriegsbeschädigte soll nicht
auf Mitleid angewiesen sein, sondern auch unter rein wirtschaftlichen Bedingungen
sein Brot verdienen können. Hier fällt dem Arbeitsnachweis die schwierigste
Aufgabe der Fürsorge zu. Allgemeine Grundsätze für die Organisation der
Arbeitsvermittlung zu geben, ist kaum möglich. Jede Organisation ist gut, die
sich bewährt hat. Wo ein öffentliches Arbeitsamt besteht, muß es mit der
Fürsorge verbunden werden. Die private Stellenvermittlung ist wegen der
Spekulationsgefahr auszuschließen.

In der Aussprache verlangte der Reichstagsabgeordnete Giebel, daß bei
staatlichen Aufträgen eine Vertragsklausel die Einstellung einer gewissen Anzahl
von Kriegsbeschädigten durchsetzt.

Marx-Berlin betont, daß die Kriegsbeschädigtenfürsorge für die Dauer
nicht mit einem weichen Herzen zu machen ist. Es ist vielmehr gesetzlich zu
verlangen, daß sämtliche Kriegsbeschädigte wieder in ihren alten Stellungen
beschäftigt werden, wie man es in Ungarn gemacht hat.

In der Schlußsitzung sprach an erster Stelle Freifrau von Bisstng-Berlin
über die Mitarbeit der Frau in der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Die
Vaterländischen Frauenvereine, Verein für Jugendschutz und Jugendwohlsahrt u. a.
haben sich zusammengeschlossen zu einem Zentralkomitee, aus der Ansicht, daß
die Kriegsbeschädigtenfürsorge in vielen Füllen die Beeinflussung der ganzen
Familie verlangt und zu einen: guten Teil Frauenarbeit ist. Die Fürsorge¬
rinnen bedürfen für ihren Beruf einer eingehenden Schulung und sollen in
größeren Städten mit gut arbeitenden Fürsorgestellen den Gesamtumfang der
Fürsorge kennen lernen. Die Fürsorge der Frau soll nach Ansicht der Referentin
schon im Lazarett beginnen und bei der Rückkehr des Kriegsbeschädigten in seine
Familie zu einem guten Teil schon getan sein. Schwierig ist besonders die
Lage der kriegsgetrauten Ehefrauen. Viele von ihnen sind Ehefrauen geworden,
als sie kaum das Leben und den angetrauten Mann kannten. Hier wird die
Fürsorge doppelt notwendig und sorgsam sein müssen.

An letzter Stelle sprach Pastor Kießling-Hamburg über die Fürsorge
für die Familien der Kriegsbeschädigten. Die Rente muß den wirtschaft¬
lichen Verhältnissen der Kriegsbeschädigten Rechnung tragen. Dennoch ist die
Familienfürsorge nötig. Was den Kriegshinterbliebenen recht ist. sollte den
Kriegsbeschädigten billig sein, nämlich die Möglichkeit, ihre Kinder im Stande
des Vaters zu erziehen. Vor einer unüberlegten Verpflanzung in ganz neue
Verhältnisse soll man sich hüten, besonders vor der ungesunden Verpflanzung
Kriegsbeschädigter auf das Land. Für die wirtschaftliche Sicherheit der Familie
des Kriegsbeschädigten darf und muß die Erwerbskraft der Frau mithelfen.
Hier kann vielleicht ein gewisser Austausch der erwerbs- und der Hauswirt-
schaftlichen Arbeit erwünscht und nützlich sein. Dauernde Erfolge werden nur
möglich sein durch die Zusammenarbeit von ärztlicher und Arbeitsfürsorge.


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[0386] Tagung für Ariegsbcschädigtenfnrsorge in Lötn a. Rh. Im vierten Vortrag erläuterte Rechtsrat Dr. Fischer-Nürnberg den Arbeitsnachweis für Kriegsbeschädigte. Der Kriegsbeschädigte soll nicht auf Mitleid angewiesen sein, sondern auch unter rein wirtschaftlichen Bedingungen sein Brot verdienen können. Hier fällt dem Arbeitsnachweis die schwierigste Aufgabe der Fürsorge zu. Allgemeine Grundsätze für die Organisation der Arbeitsvermittlung zu geben, ist kaum möglich. Jede Organisation ist gut, die sich bewährt hat. Wo ein öffentliches Arbeitsamt besteht, muß es mit der Fürsorge verbunden werden. Die private Stellenvermittlung ist wegen der Spekulationsgefahr auszuschließen. In der Aussprache verlangte der Reichstagsabgeordnete Giebel, daß bei staatlichen Aufträgen eine Vertragsklausel die Einstellung einer gewissen Anzahl von Kriegsbeschädigten durchsetzt. Marx-Berlin betont, daß die Kriegsbeschädigtenfürsorge für die Dauer nicht mit einem weichen Herzen zu machen ist. Es ist vielmehr gesetzlich zu verlangen, daß sämtliche Kriegsbeschädigte wieder in ihren alten Stellungen beschäftigt werden, wie man es in Ungarn gemacht hat. In der Schlußsitzung sprach an erster Stelle Freifrau von Bisstng-Berlin über die Mitarbeit der Frau in der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Die Vaterländischen Frauenvereine, Verein für Jugendschutz und Jugendwohlsahrt u. a. haben sich zusammengeschlossen zu einem Zentralkomitee, aus der Ansicht, daß die Kriegsbeschädigtenfürsorge in vielen Füllen die Beeinflussung der ganzen Familie verlangt und zu einen: guten Teil Frauenarbeit ist. Die Fürsorge¬ rinnen bedürfen für ihren Beruf einer eingehenden Schulung und sollen in größeren Städten mit gut arbeitenden Fürsorgestellen den Gesamtumfang der Fürsorge kennen lernen. Die Fürsorge der Frau soll nach Ansicht der Referentin schon im Lazarett beginnen und bei der Rückkehr des Kriegsbeschädigten in seine Familie zu einem guten Teil schon getan sein. Schwierig ist besonders die Lage der kriegsgetrauten Ehefrauen. Viele von ihnen sind Ehefrauen geworden, als sie kaum das Leben und den angetrauten Mann kannten. Hier wird die Fürsorge doppelt notwendig und sorgsam sein müssen. An letzter Stelle sprach Pastor Kießling-Hamburg über die Fürsorge für die Familien der Kriegsbeschädigten. Die Rente muß den wirtschaft¬ lichen Verhältnissen der Kriegsbeschädigten Rechnung tragen. Dennoch ist die Familienfürsorge nötig. Was den Kriegshinterbliebenen recht ist. sollte den Kriegsbeschädigten billig sein, nämlich die Möglichkeit, ihre Kinder im Stande des Vaters zu erziehen. Vor einer unüberlegten Verpflanzung in ganz neue Verhältnisse soll man sich hüten, besonders vor der ungesunden Verpflanzung Kriegsbeschädigter auf das Land. Für die wirtschaftliche Sicherheit der Familie des Kriegsbeschädigten darf und muß die Erwerbskraft der Frau mithelfen. Hier kann vielleicht ein gewisser Austausch der erwerbs- und der Hauswirt- schaftlichen Arbeit erwünscht und nützlich sein. Dauernde Erfolge werden nur möglich sein durch die Zusammenarbeit von ärztlicher und Arbeitsfürsorge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/386>, abgerufen am 25.08.2024.