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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Napoleons Kampf gegen England im Lichte der Gegenwart

den Besitz dieser Insel und den von Gibraltar war England geradezu eine
Mittelmeermacht geworden, die Ägypten, den Suezkanal und damit den Zugang
auch Indien beherrschte. Jmnier deutlicher gab es seine Absicht zu erkennen,
die Insel nicht mehr herauszugeben oder zu verlassen. Für die napoleonische
Weltpolitik war diese Situation von Übel. Denn für sie mußte vor allem
gelten, eine einflußreiche Position im Mittelmeer zu schaffen, ein Gegengewicht
zu der Alleinherrschaft der Engländer, das der große Korse in der Besetzung
der italienischen Küsten erblickte. In Italien erkannte er einen der gewichtigsten
Faktoren für die Lösung jeglicher Mittelmeerfragen.

, Rußlands Haltung war bei der Lösung der Maltasrage von entscheidenden
Belang. Solange England in dieser Hinsicht der russischen Unterstützung noch
nicht sicher war, zeigte sich seine Politik zurückhaltend und unentschlossen; es
wagte nicht, die Proklamation der Besitznahme Maltas auszusprechen.

Mit der Stunde aber, in der es der englischen Diplomatie und gleicher¬
maßen dem englischen Golde gelungen war, in Rußland den lange ersehnten
Verbündeten auf dem Festland gegen Frankreichs Übergewicht zu finden, ging
es festen Schrittes und unentwegt auf sein Ziel los, während der Vollendung
militärischer Rüstungen noch mit Scheinverhandlungen manöverierend. Er¬
leichtert ward für England diese Annäherung an das Zarenreich besonders
durch den Umstand, daß das unerhörte Emporkommen Frankreichs als Welt¬
macht auch in Petersburg und bei seinen reaktionären Machthabern stärkstes
Mißfallen erregte. Alexander der Erste bezeichnete im Jahre 1803 den
großen Korsen als einen der berüchtigsten Tyrannen, den die Geschichte hervor¬
gebracht habe.

Schon im Dezember des Jahres 1802 riet der russische Kanzler Alexander
Woronzow dem britischen Gesandten, England solle sich hüten Malta aufzu¬
geben; und wenige Wochen später versicherte diesem der Vertraute des Zaren
sogar, der Monarch wünsche geradezu, daß die Engländer Malta besetzt
hielten. Rußland hatte sich mit diesen Erklärungen an England verschrieben:
dies war das erfolgreiche und erstaunliche Ergebnis der Kunst einer mit allen
Mitteln arbeitenden Diplomatie. Daß diese unnatürliche russisch-englische
Koalition nicht von Dauer sein konnte, da die beiden Mächte in ihrer aus¬
wärtigen Politik die größten Neibungsflächen besaßen, mußte klar auf der
Hand liegen. Aber in dem Kampf Napoleons gegen die britische Weltmacht
bildete gerade dieses Verhältnis Rußland-England den Angelpunkt des ganzen
Problems, wie in unserem Zeitalter die Tatsache einer russisch-englischen
Entente das Haupterfordernis der Einkreisungspolitik Eduards des Siebenten
und damit der diplomatischen Gesamtentstehungsgeschichte des jetzigen Welt¬
krieges ausmachte. Auch heute sind die lange gesuchten Degen auf dem Kon-
ünent im Kampf für englische Interessen, und es gilt für die englische Politik,
diese günstige Konjunktur nach allen Seiten hin auszunützen. Auch heute
gilt es, diese russisch-englische Koalition zu sprengen. Unverhohlen äußerte sich


Napoleons Kampf gegen England im Lichte der Gegenwart

den Besitz dieser Insel und den von Gibraltar war England geradezu eine
Mittelmeermacht geworden, die Ägypten, den Suezkanal und damit den Zugang
auch Indien beherrschte. Jmnier deutlicher gab es seine Absicht zu erkennen,
die Insel nicht mehr herauszugeben oder zu verlassen. Für die napoleonische
Weltpolitik war diese Situation von Übel. Denn für sie mußte vor allem
gelten, eine einflußreiche Position im Mittelmeer zu schaffen, ein Gegengewicht
zu der Alleinherrschaft der Engländer, das der große Korse in der Besetzung
der italienischen Küsten erblickte. In Italien erkannte er einen der gewichtigsten
Faktoren für die Lösung jeglicher Mittelmeerfragen.

, Rußlands Haltung war bei der Lösung der Maltasrage von entscheidenden
Belang. Solange England in dieser Hinsicht der russischen Unterstützung noch
nicht sicher war, zeigte sich seine Politik zurückhaltend und unentschlossen; es
wagte nicht, die Proklamation der Besitznahme Maltas auszusprechen.

Mit der Stunde aber, in der es der englischen Diplomatie und gleicher¬
maßen dem englischen Golde gelungen war, in Rußland den lange ersehnten
Verbündeten auf dem Festland gegen Frankreichs Übergewicht zu finden, ging
es festen Schrittes und unentwegt auf sein Ziel los, während der Vollendung
militärischer Rüstungen noch mit Scheinverhandlungen manöverierend. Er¬
leichtert ward für England diese Annäherung an das Zarenreich besonders
durch den Umstand, daß das unerhörte Emporkommen Frankreichs als Welt¬
macht auch in Petersburg und bei seinen reaktionären Machthabern stärkstes
Mißfallen erregte. Alexander der Erste bezeichnete im Jahre 1803 den
großen Korsen als einen der berüchtigsten Tyrannen, den die Geschichte hervor¬
gebracht habe.

Schon im Dezember des Jahres 1802 riet der russische Kanzler Alexander
Woronzow dem britischen Gesandten, England solle sich hüten Malta aufzu¬
geben; und wenige Wochen später versicherte diesem der Vertraute des Zaren
sogar, der Monarch wünsche geradezu, daß die Engländer Malta besetzt
hielten. Rußland hatte sich mit diesen Erklärungen an England verschrieben:
dies war das erfolgreiche und erstaunliche Ergebnis der Kunst einer mit allen
Mitteln arbeitenden Diplomatie. Daß diese unnatürliche russisch-englische
Koalition nicht von Dauer sein konnte, da die beiden Mächte in ihrer aus¬
wärtigen Politik die größten Neibungsflächen besaßen, mußte klar auf der
Hand liegen. Aber in dem Kampf Napoleons gegen die britische Weltmacht
bildete gerade dieses Verhältnis Rußland-England den Angelpunkt des ganzen
Problems, wie in unserem Zeitalter die Tatsache einer russisch-englischen
Entente das Haupterfordernis der Einkreisungspolitik Eduards des Siebenten
und damit der diplomatischen Gesamtentstehungsgeschichte des jetzigen Welt¬
krieges ausmachte. Auch heute sind die lange gesuchten Degen auf dem Kon-
ünent im Kampf für englische Interessen, und es gilt für die englische Politik,
diese günstige Konjunktur nach allen Seiten hin auszunützen. Auch heute
gilt es, diese russisch-englische Koalition zu sprengen. Unverhohlen äußerte sich


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[0374] Napoleons Kampf gegen England im Lichte der Gegenwart den Besitz dieser Insel und den von Gibraltar war England geradezu eine Mittelmeermacht geworden, die Ägypten, den Suezkanal und damit den Zugang auch Indien beherrschte. Jmnier deutlicher gab es seine Absicht zu erkennen, die Insel nicht mehr herauszugeben oder zu verlassen. Für die napoleonische Weltpolitik war diese Situation von Übel. Denn für sie mußte vor allem gelten, eine einflußreiche Position im Mittelmeer zu schaffen, ein Gegengewicht zu der Alleinherrschaft der Engländer, das der große Korse in der Besetzung der italienischen Küsten erblickte. In Italien erkannte er einen der gewichtigsten Faktoren für die Lösung jeglicher Mittelmeerfragen. , Rußlands Haltung war bei der Lösung der Maltasrage von entscheidenden Belang. Solange England in dieser Hinsicht der russischen Unterstützung noch nicht sicher war, zeigte sich seine Politik zurückhaltend und unentschlossen; es wagte nicht, die Proklamation der Besitznahme Maltas auszusprechen. Mit der Stunde aber, in der es der englischen Diplomatie und gleicher¬ maßen dem englischen Golde gelungen war, in Rußland den lange ersehnten Verbündeten auf dem Festland gegen Frankreichs Übergewicht zu finden, ging es festen Schrittes und unentwegt auf sein Ziel los, während der Vollendung militärischer Rüstungen noch mit Scheinverhandlungen manöverierend. Er¬ leichtert ward für England diese Annäherung an das Zarenreich besonders durch den Umstand, daß das unerhörte Emporkommen Frankreichs als Welt¬ macht auch in Petersburg und bei seinen reaktionären Machthabern stärkstes Mißfallen erregte. Alexander der Erste bezeichnete im Jahre 1803 den großen Korsen als einen der berüchtigsten Tyrannen, den die Geschichte hervor¬ gebracht habe. Schon im Dezember des Jahres 1802 riet der russische Kanzler Alexander Woronzow dem britischen Gesandten, England solle sich hüten Malta aufzu¬ geben; und wenige Wochen später versicherte diesem der Vertraute des Zaren sogar, der Monarch wünsche geradezu, daß die Engländer Malta besetzt hielten. Rußland hatte sich mit diesen Erklärungen an England verschrieben: dies war das erfolgreiche und erstaunliche Ergebnis der Kunst einer mit allen Mitteln arbeitenden Diplomatie. Daß diese unnatürliche russisch-englische Koalition nicht von Dauer sein konnte, da die beiden Mächte in ihrer aus¬ wärtigen Politik die größten Neibungsflächen besaßen, mußte klar auf der Hand liegen. Aber in dem Kampf Napoleons gegen die britische Weltmacht bildete gerade dieses Verhältnis Rußland-England den Angelpunkt des ganzen Problems, wie in unserem Zeitalter die Tatsache einer russisch-englischen Entente das Haupterfordernis der Einkreisungspolitik Eduards des Siebenten und damit der diplomatischen Gesamtentstehungsgeschichte des jetzigen Welt¬ krieges ausmachte. Auch heute sind die lange gesuchten Degen auf dem Kon- ünent im Kampf für englische Interessen, und es gilt für die englische Politik, diese günstige Konjunktur nach allen Seiten hin auszunützen. Auch heute gilt es, diese russisch-englische Koalition zu sprengen. Unverhohlen äußerte sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/374>, abgerufen am 23.07.2024.